Der Putz bröckelt ab

17.12.1982

Eine neue Einstellung breitet sich aus in der Datenverarbeitung, sowohl bei den Anbietern als auch bei den Anwendern: Wurstigkeit wäre das richtige Wort dafür - es macht einfach nicht mehr soviel Spaß wie früher. Dazu trägt sicher bei, daß die DV-Gehälter nicht mehr ins Uferlose steigen. Die Zeiten, in denen ein Cobol-Programmierer doppelt soviel verdiente wie ein Fachabteilungsleiter, sind vorbei.

Schwarzmalerei ist gleichwohl nicht angebracht. Nach wie vor gefragt ist Know-how für komplexe Datenübertragungs- und Datenbanklösungen. Es ist bisher kein Fall bekanntgeworden, daß ein DB/DC-Spezialist auf der Straße sitzt. Wohl wächst ein Wald-und-Wiesen-Programmierer-Proletariat heran.

Verantwortungslos ist es da, Berufsanfänger durch DV-Schnellkurse zu jagen und ihnen eine heile Computerwelt vorzugaukeln. Derartige Praktiken sollen ja noch nicht ausgestorben sein. Man kann beinahe täglich in den regionalen und überregionalen Zeitschriften lesen, wie sich öffentliche und private Institute um neue Computer-Pennäler bemühen. Die EDV wird, als gäbe es keinen Fall "Agfa", zum Evergreen hochstilisiert: Haste was, am besten Programmierkenntnisse, biste was. Diese Schein-Offenheit verwischt die Grenze zwischen Information und Augenwischerei. Zum Erkennen der Realitäten gehört jedoch unabhängige, kritische Information - nicht nur im Ausbildungsbereich: Kein DV-Chef kann sich heute noch rühmen, ein exzellenter Techniker, aber nur ein mittelmäßiger Kaufmann zu sein. Für die Ware "Information" verantwortlich zu sein, verlangt Computerkenntnisse und Managementfähigkeiten.

Mit gutem Gespür für Schwachstellen hat sich die DV-interessierte Öffentlichkeit den Computerfachmann als Opfer ausgesucht: Die vermeintliche Softwareschwäche dient als Alibi für eine naiv-verschreckte Anwenderschaft, in der allein die "DV-Chinesen" das Sagen haben, obwohl - oder gerade weil - sie keiner versteht. Damit wird verdeckt, daß die Endbenutzer unfähig sind, ihre Ansprüche zu definieren und an den (DV-)Mann zu bringen. Der "mächtige" DV-Chef wird als Experte zwar noch gefürchtet - doch der Putz bröckelt ab. Schuld an dem Popularitätsschwund der DV-Halbgötter ist freilich nicht nur der normale Abnutzungseffekt, den Machtausübung mit sich bringt, sondern der desolate innere Zustand einer Berufsgruppe, die sich immer noch in der Pubertät befindet.

Das Selbstbewußtsein der Datenverarbeiter muß zwangsläufig gestört sein, wenn der Computer in den Medien schlecht wegkommt und auch die Abnehmer der RZ-Dienstleistungen ständig an der EDV herummäkeln. Nutzlos scheint der gegenwärtige Streit um die Killerphrase "Jobkiller". Er bringt diejenigen Datenverarbeiter, die pragmatisch an die Einführung neuer Technologien herangehen, dabei jedoch nicht in die Sackgasse hineinlaufen wollen, natürlich keinen Schritt weiter.

Was ist zu tun? Die DV-Verantwortlichen sollten sich hüten, ihre Unternehmen total zu vernetzen. Kopplung von Applikationen: Ja, doch nur so weit, wie es der Anwender noch versteht. Mehr individuelle Datenverarbeitung am Arbeitsplatz: Ja, doch Eingriffe müssen möglich sein. Wichtigste Forderung: Das Software-Engineering muß schneller und besser werden. Mit dieser Option rennt man bei problembewußten Informatikern offene Türen ein. Mehr Software, ob vom eigenen Hersteller oder von unabhängigen Softwarehäusern, steht auf der Wunschliste obenan. Nur: Das Manpowerproblem kann auch der Weihnachtsmann nicht lösen.