Absturz im vierten Quartal?

Der Neue Markt zeigt Skepsis gegenüber ERP-Anbietern

27.08.1999
MÜNCHEN (hv) - Software für das Enterprise Resource Planning (ERP) ist out - das bekommen derzeit nicht nur Unternehmen wie SAP und Baan, sondern auch kleinere Anbieter zu spüren, die am Neuen Markt in Frankfurt notiert sind. Dabei können Brain International, Soft M und PSI ein erstaunliches Wachstumstempo vorweisen.

Soviel vorweg: Am Neuen Markt unterbewertete Titel aufzustöbern ist ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Selbst die Werte mit geringer Performance weisen noch immer Kurs-Gewinn-Verhältnisse auf, von denen andere öffentlich gehandelte Firmen nur träumen können. Allerdings zeigt sich auch: Die Anbieter betriebswirtschaftlicher Standardsoftware gehören zu den Unternehmen, denen in den vergangenen Monaten die meisten Anleger davonliefen.

Kurt Rembold, Chief Executive Officer (CEO) der Brain International AG in Breisach, hält das derzeit "negative Image" der gesamten Branche für Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Produkte für das zentrale Problem. "Die Kurse aller Anbieter sind abgestürzt, ob man nun Brain, Soft M, PSI oder andere hernimmt."

Die Branche sei in den Sog der schwächelnden Marktführer geraten: Der Kurs der SAP-Vorzugsaktie fiel seit dem Höchststand von knapp 1300 Mark im August vergangenen Jahres auf aktuell 720 Mark. Auch Baan, Peoplesoft, J.D. Edwards und Oracle sind weit von ihrem historischen Hoch entfernt. Schuld ist nach Meinung der Betroffenen vor allem das Jahr-2000-Problem: Unternehmen, die ihre Software einmal auf ein millenniumfähiges Niveau gebracht haben, warten den Wechsel ins Jahr 2000 ab, bevor sie neue Softwareprojekte anstoßen.

Ins Trudeln geriet auch der mittelständische Softwaremarkt. Die Aktie von Brain International fiel von 125 auf 77 Mark. Zum Teil sei die Besorgnis der Anleger nachzuvollziehen, räumt Rembold ein. "Die entscheidende Frage lautet: Was passiert im vierten Quartal? Da haben wir immer unsere besten Geschäfte gemacht. Wenn der Schlußspurt 1999 wegfällt, trifft das die ganze Branche hart."

Brain, Soft M, PSI und andere könnten jedoch nach Meinung von Marktforschern mit einem blauen Auge davonkommen. Während Großunternehmen meist Individualsoftware in großem Umfang einsetzen, die zeitaufwendig an neue Standardprodukte ê la SAP anzupassen ist, tauschen mitt- lere Betriebe ihre Altanwendungen überwiegend komplett aus und setzen vorkonfigurierte Produkte ein. Der zeitliche und technische Aufwand einer Neueinführung ist hier überschaubarer.

"Verhalten optimistisch" gibt sich denn auch Karsten Pierschke, Manager Investor Relations bei der Berliner PSI AG. Seine Hoffnung richtet sich weniger auf die Nachzügler, die in letzter Sekunde auf das Jahr-2000-Problem reagieren, als auf Betriebe, die bereits vorausschauend handeln. "Wenn Unternehmen Jahr-2000-fest sind und alles getestet haben, kümmern sie sich wieder um die Zukunft und schließen noch in diesem Jahr Lizenzverträge für neue Software ab", so seine Theorie. PSI erwartet im nächsten Jahr einen starken Geschäftsverlauf, da viele Unternehmen ihren "Investitionsstau" abbauen müßten.

Allerdings räumt der Börsenfachmann ein, daß auch bei PSI die Ungewißheit bezüglich des vierten Quartals groß sei. Da die Berliner aber rund 60 Prozent ihrer Einnahmen im weniger anfälligen System- und Lösungsgeschäft generierten, wo derzeit aufgrund der Deregulierung des Marktes vor allem von seiten großer Energieversorger rege Nachfrage herrsche, werde der Schaden auf jeden Fall in Grenzen gehalten werden können.

Optimismus legt auch Hannes Merten, Vorstandsvorsitzender der Soft M Software und Beratung AG in München, an den Tag. Dem Unternehmen lägen für das vierte Quartal 1999 bereits genügend Aufträge vor, um vor "bösen Überraschungen" gefeit zu sein. Waren im Vorjahr zusätzliche Aufträge hereingekommen, weil Betriebe verstärkt Jahr-2000-Vorsorge betrieben, so blieb der Zuwachs 1999 laut Merten bisher im Rahmen der - ausgesprochen hohen - Erwartungen.

Im Markt für ERP-Produkte ist nach Meinung des Unternehmenssprechers noch viel Dynamik. Firmen wie Soft M, aber auch Mitbewerber wie PSI, Brain und Infor könnten überdurchschnittlich wachsen, weil zahllose kleinere Häuser aus dem Markt ausschieden und sich deren Kunden neu orientierten. "Immer weniger Firmen wollen bei kleinen Softwarehäusern kaufen", beobachtet Merten. "Zum einen wegen der geringen Zukunftssicherheit, zum anderen, weil komplette Produktpaletten bevorzugt werden, nach dem Motto: alles aus einer Hand."

Bei Brain hat das Management dieselbe Erfahrung gemacht. Allerdings laufen nach Rembolds Angaben nicht nur die Kunden über, auch die Anbieter spekulieren darauf, aufgekauft zu werden und so noch einen guten Schnitt zu machen. Viele Softwarehäuser mit weniger als 100 Mitarbeitern hätten sich auf einzelne ERP-Sparten wie PPS, Warenwirtschaft oder Rechnungswesen spezialisiert. Sie suchten nun nach einem überlebensfähigen Partner, der sie übernimmt.

"Der mittelständische Markt für Standardsoftware ist total zerfleddert", berichtet der Brain-Sprecher. "Den kleinen Häusern, denen früher der Markt gehörte, sagen heute die Kunden: ,Euer Produkt ist okay, eure Präsentation ist auch in Ordnung - aber eure Größe stimmt nicht.'' Dieser Markt wird jetzt aufgeteilt. In zwei Jahren ist das passiert."

Wenn die Felle verteilt werden, wollen Brain, Soft M und PSI natürlich dabeisein. Ihnen geht es dabei keineswegs um die Softwareprodukte der Akquisitionskandidaten - die werden eher als Ballast betrachtet. Ziel ist es vielmehr, Kunden zu kaufen, die nach einer Schamfrist mit den eigenen Produkten versorgt werden können. Außerdem läßt sich auf diese Weise auch zusätzliches Personal rekrutieren.

Halbjahresergebnisse

Ein Umsatzplus von 60,2 Prozent auf 111,3 Millionen Mark verbuchte die Brain International AG, Breisach, im ersten Halbjahr 1999. Die Erwartungen für das Gesamtjahr, Einnahmen von 257,4 Millionen Mark, bezeichnet das Unternehmen als "bereits sichergestellt". Brain verbuchte einen Verlust von rund einer Million Mark, doch ein Aufwärtstrend ist erkennbar: Im zweiten Quartal wurde bereits ein kleines Plus von 96 000 Mark eingefahren.

Um 65 Prozent auf 107 Millionen Mark steigerte die PSI AG, Berlin, im ersten Halbjahr 1999 ihre Einnahmen. Hier mußte man aufgrund eines schwachen Produktgeschäfts ein Minus von insgesamt 4,9 Millionen Mark verbuchen. Doch auch für PSI geht es aufwärts: Im zweiten Quartal konnte bereits ein Gewinn von 800 000 Mark ausgewiesen werden, der allerdings weniger durch verkaufte Softwarelizenzen als durch Geschäftszuwachs im Systemgeschäft erzielt wurde.

Kein Problem mit roten Zahlen hat die Münchner Soft M AG. Sie fuhr in der ersten Hälfte 1999 einen um 42 Prozent gestiegenen Profit von rund drei Millionen Mark ein. Der Umsatz kletterte um 67 Prozent auf 37 Millionen Mark. Stolz vermeldete die AS/400-Softwareschmiede einen trotz Jahr-2000-Problematik 60prozentigen Anstieg im Lizenzgeschäft.