Ein Tag in der Computerwelt des Jahres 2020:

"Der Mensch verliert die Reize und Gefühle"

23.05.1980

KÖLN - Wie sehen Schüler die Computerwelt von morgen? Eine zehnte KIasse des Kölner Gymnasiums Kaiserin-Theophanu-Schule, die kürzlich der GMD einen Informationsbesuch abstattete, beurteilte einen Text, in dem die Annehmlichkeiten und die Perfektions eines Arbeitstages im Jahr 2020 geschildert werden. Erstaunliches Ergebnis: Die Sechzehnjährigen teilen keineswegs die Begeisterung der Techniker und Ingenieure von heute. Die Aufsätze von Claudia Neumann und Monika Grehl stehen als Beispiel für die

kritische Einstellung von Jugendlichen gegenüber der perfekten, automatengesteuerten Welt von morgen. Wir geben hier Auszüge aus den Aufsätzen wieder, wie sie der GMD-Spiegel in seiner letzten Nummer zur Illustration des Innen-Weltbildes von Jugendlichen gebracht hat.

Dies alles hört sich vielleicht gut und schön an. Doch finde ich, daß das alles Augenwischerei ist. Ich möchte nicht am Morgen aufstehen und direkt im Bann eines Computers stehen. Die eigene Handlungsmöglichkeit ist so eng begrenzt, daß der Mensch keine eigene Persönlichkeit mehr entwickeln kann. Am Morgen ist schon alles vorgeheizt, es gibt kein Zittern oder Erkälten mehr.

Claudia Neumann: Augenwischerei

Der Mensch verliert nicht nur seine Persönlichkeit, sondern auch die menschlichen Reize und Gefühle. Da jeder sein morgendliches Fitnessprogramm durchzuführen hat, wird es in Zukunft keine dicken oder unsportlichen Menschen mehr geben. Doch sind es gerade sie, die andere Menschen aufheitern und belustigen können. Es wird also keine dicken und gemütlichen Menschen mehr geben, sondern nur dünne, durchtrainierte und meist aggressive Leute. Hat man Probleme mit der Gesundheit, wird automatisch ein Arztbesuch vereinbart. Doch ist zum Beispiel eine Ehe kaputt, wird sie meist aufrecht erhalten, wenn es dem anderen Partner plötzlich sehr schlecht geht und man sich Sorgen um ihn macht.

Auch eine Küche, in der alles vorprogrammiert ist, würde mir nicht zusagen. Wird einem jeder kleine Handgriff weggenommen und programmiert, kommt man sich für meine Ansicht sehr überflüssig vor. Man kann zum Beispiel seinen Kindern nicht einmal eine kleine "süße" Überraschung mitbringen, da der Computer die Einkaufsliste schon berechnet. Er kann aber keine Zuneigung oder eine Überraschung in seine Einkaufsliste programmieren. Die Kinder müssen frühmorgens aufstehen, damit sie an ihrem Terminal nochmals ihre Hausaufgaben überprüfen können. Das führt dazu, daß in einer solchen Schulklasse bald nur noch intelligente und wissensbegierige Kinder sind. Es würde keine Klassengemeinschaft mehr zustande kommen und die Kinder würden schon in ihrer frühen Jugend kalt und abgestumpft.

Auch fände ich es wesentlich interessanter, einen Fehler im Auto selbst zu suchen, statt so ein modernes Gerät zu befragen. Überhaupt finde ich diese ganze Art von Auto ziemlich abschreckend. Alles ist viel zu perfekt und bequem. Der Mensch braucht nicht zu überlegen, sondern nur auf ein Knöpfchen zu drücken. Dies, finde ich, ist eine ziemlich stupide Art, sein Leben zu verbringen.

Doch nicht nur im Haushalt oder im Auto, nein, auch im Büro hat der Computer seine Dienste getan und den Menschen die Arbeit abgenommen. Herr X wird daran erinnert, daß sein beziehungsweise ihr Hochzeitstag sei. Ich würde mich nicht über einen Strauß Blumen von meinem Mann freuen, der die Anweisung von einem Blechkasten bekommen hat, Blumen zu besorgen. Auch finde ich es sehr dumm, das Geld abzuschaffen. Was ist mit den kleinen Kindern, die sich jetzt über 20 Pfennig freuen, weil sie sich dafür einen Lutscher kaufen können ? Ist die ganze neue Computerwelt nur darauf programmiert, Gefühle abzustellen? Auch das gemütliche Abendessen für Herrn und Frau X wird durch einen Computer errechnet. Dies scheint mir sehr unromantisch und gefühlsarm zu sein. In dem vorliegenden Text endet der Tag damit, daß das Ehepaar ins Bett geht und zum ersten mal an diesem Tag ein Programm durchführt, das nicht vom Computer errechnet ist.

Udo Lindenberg singt in einem seiner Lieder von einer Stadt, die sich Utopia nennt und die durch ein Robotersystem gesteuert ist. Die Menschen schlucken morgens ihr Rauscholin und merken nicht, wie sehr sie erniedrigt werden. Auch die letzten menschlichen

Gefühle werden von einem Lustcomputer, übernommen.

Monika Grehl: Gleiche Stufen mit Affen

Wenn es wirklich so weit kommen sollte, daß ein Tag im menschlichen Leben vom Wecken am Morgen bis zum lns-Bett-Gehen am Abend von Computern gesteuert wird, dann können sich die Menschen fast wieder auf die gleiche Stufe mit Affen stellen, denn dann ist bei ihnen das Denken unnötig geworden. Es gibt zwar bestimmt auch Vorteile bei so einem computergesteuerten Leben, zum Beispiel, daß man pünktlich geweckt wird, daß das Frühstück schon fertig ist, wenn man aufsteht, daß der Computer billig und nur das Nötigste einkauft. Aber wofür stehen die Menschen morgens überhaupt noch auf wenn der ganze Tagesablauf doch vom Computer gesteuert wird und er so ziemlich alles für sie erledigt. Und die "Arbeit" im Büro von Herrn X? Warum fährt er überhaupt ins Büro um die Frage, nach welchem Zeitraum personenbezogene Daten endgültig gelöscht werden sollen, zu diskutieren, wenn der Computer schon alle verschiedenen Möglichkeiten und Konsequenzen durchgerechnet hat? Die Entscheidung überlassen die Menschen dann auch noch einem Computer, indem sie verschiedene Simulationsmodelle durchspielen lassen.

Meiner Meinung nach hätte sich Herr X den Weg zur Arbeit sparen können. Und sogar das Festessen am Abend wird von einem Computer zusammengestellt, so daß die Menschen in keinem Gebiet des Lebens mehr selber denken müssen. Es ist zwar möglich, daß die Menschen im Jahre 2020 gesünder leben als heute, da sie ein Fitnessprogramm zusammengestellt bekommen, Kreislauf angepaßt duschen können und das Essen leicht kalorienarm, bekömmlich, wohlschmeckend und dem persönlichen Gesundheitswert angepaßt ist, aber das selbständige Denken werden die Menschen so bald verlernt haben.

Ich möchte nicht in so einer computergesteuerten Welt leben, es wäre zwar ganz lustig, sich für ein paar Wochen vom Computer bedienen zu lassen und nicht arbeiten zu müssen, da das auch von Computern geregelt wird, aber daß mein ganzes Leben (außer nachts) von Computern gesteuert werden soll, stelle ich mir grausam vor. Was machen die Menschen im Jahre 2020 eigentlich, wenn einmal der Strom ausfällt und die Computer nicht

mehr für sie arbeiten können? Ich glaube, dann wären sie hoffnungslos verloren.