CW-Übersicht über Computer-Einsatz im Verkehr:

Der Mensch denkt - der Computer lenkt

06.06.1975

Längst kann man die Verkehrsteilnehmer nicht mehr sich selbst überlassen: schon ist der Polizist der Ampelregelung ohne Computer-Hilfe nicht mehr gewachsen, ebensowenig der Flugleiter der Erfüllung der Sicherheitsvorschriften oder der Straßenbahner den Ansprüchen an eine sinnvolle Kapazitätsauslastung. Der Sektor Verkehr wird zu einem der wichtigsten Anwendungsgebiete der EDV - auch wenn der einzelne davon erst dann erfährt, wenn etwas schiefgeht und er - wie kürzlich in Hamburg - im Rush-hour-Verkehr steckenbleibt, weil der Verkehrsrechner streikte.

MÜNCHEN - Für die Computerisierung im Bereich Verkehr gibt es drei wesentliche Teilgebiete: Verwaltungsautomation, Betriebsautomation und Verkehrslenkung.

Die Verwaltungsautomation wird charakterisiert durch das Warten auf die Zollverwaltung mit ihrem Projekt Alpha zur automatisierten Abfertigung in Frankfurt und durch das Warten auf die Bundesbahn (Einführung des rechnergesteuerten Fahrkartendruckes und Mitarbeit beim Gemeinschaftsprojekt Start). Zudem gibt es Zusammenarbeits-Probleme bei der Privatwirtschaft (Gemeinschaftslösung contra individuelle EDV bei Spediteuren, Reedern, Kraftverkehrsunternehmen und anderen). Die Automation von Transportabläufen ist auf absehbare Zeit eine innerbetriebliche Angelegenheit. Die Ausnahme könnte nach den Vorstellungen der Konstrukteure der öffentliche Nahverkehr bilden: von den 320 Millionen Mark, die das Bundesministerium für Forschung und Technologie in den Jahren 1974 bis 1978 für Forschung und Entwicklung in diesem Schwerpunkt-Bereich ausgeben will, sollen die größten Brocken der Entwicklung neuer, rechnergesteuerter vollautomatischer Nahverkehrssysteme dienen. Versuche macht man in Hagen, München-Allach, Erlangen und Rheinhausen.

Daneben laufen Bemühungen um eine Teilautomatisierung bestehender Systeme - beispielsweise in Hamburg und Hannover.

Hilfen für den Autofahrer

Von den etwa 400 Fahrten, die derzeit pro Jahr und Einwohner in der Bundesrepublik unternommen werden, wird nur ein Viertel mit dem öffentlichen Nahverkehr - aber drei Viertel mit dem Auto gemacht. Um diesen Individualverkehr zu lenken gibt es verschiedene Ansatzpunkte: Ampelsteuerung: In Berlin, der verkehrsrechner-reichsten Stadt Europas, aber auch in Hamburg, Köln und Aachen schalten Prozeßrechner die Ampeln entsprechend dem Verkehrsaufkommen.

Wechselspuranlagen: Was es vor Jahren schon auf den Zufahrtstraßen zur Hamburger City gab und was zur Zeit am Heumarer Dreieck (Autobahn Köln) noch mit Handschaltung praktiziert wird, soll erstmals auf der Autobahn zwischen Heumarer und Dernbacher Dreieck computerisiert werden. Je nach Verkehrsdichte soll ein Rechner die insgesamt sechs Fahrspuren durch entsprechende Ampel- und Wegweiserschaltung auf die Fahrtrichtungen verteilen - man kann dann beispielsweise vierspurig in der einen und zweispurig in der anderen Richtung fahren, fünf Minuten später dreispurig in beiden Richtungen.

Nebelwarnung: An der Autobahn Nürnberg - München bei Eching und auf der Strecke Stuttgart-Wallberg bei Pleidelsheim werden automatisch Warnschilder enthüllt, wenn die Sichtweite unter 150 Meter sinkt.

Stauwarnung: Die erste Anlage wird in diesem Jahr an der Autobahn Stuttgart-München beim Aichelberg eingerichtet. Es werden automatisch Warnschilder enthüllt, wenn aus verringerter Fahrgeschwindigkeit auf einen Stau zu schließen ist.

Alternativ-Wegweisung: Ab 1976 werden automatisch Umleitungsschilder enthüllt, wenn das Frankfurter Kreuz überlastet ist und der Verkehr deswegen über Wiesbadener Kreuz, Mönchhof und Rüsselsheim zum Darmstädter Kreuz geführt werden soll.

Ali: Das Autofahrer-Lenkungs- und Informationssystem von Bosch/Blaupunkt, das produktionsreif sein soll, erfordert im Auto ein Zieleingabegerät und eine Sichttafel, die zusammen rund 150 Mark kosten sollen.

Am Eingabegerät tastet der Fahrer einen aus vier Buchstaben bestehenden Code für das Zielgebiet ein (Planquadrat). Diese Angabe wird von Induktionsschleifen in der Fahrbahnoberfläche abgenommen und an einen Rechner weitergeleitet. Auf der Anzeigetafel erscheinen dann innerhalb von Sekundenbruchteilen Fahrtrichtungspfeile (rechts, links, geradeaus), Warnsymbole (Glätte, Nebel, Stau) und Zahlenangaben über die Richtgeschwindigkeit. Ist das Ziel erreicht, so leuchtet eine Kontrollampe auf. Ob die Bundesregierung einen Großversuch finanzieren wird, ist noch offen.

Bedarfsgesteuerter Nahverkehr

Dornier, MBB, die TH Aachen und die Hamburger Gesellschaft für Verkehrsberatung untersuchen die Durchführbarkeit. Der Benutzer äußert seinen Fahrwunsch per Telefon oder spezielle Rufsäule an die Betriebszentrale. Dort ermittelt ein Rechner, welches Fahrzeug den Verkehrswunsch am besten erfüllen könnte und meldet einerseits dem Fahrgast Abfahrtszeit und Preis sowie andererseits dem Fahrzeugführer, welche Haltestelle er anzufahren hat. Zur Zeit laufen Simulationsmodelle

für den Bodenseekreis und die Stadt Ahrensburg - im Herbst sollen die Ingenieure ihre Berechnungen vorlegen, ob ein solcher Taxi-Bus zu vertretbaren Kosten fahren könnte.

Rechner im Auto

Zwar hat sich die elektronische Benzineinspritzung im VW 411 E nicht bewährt - aber am Einsatz von Mikroprozessoren in Kraftfahrzeugen wird weiter gearbeitet.

Ein Antiblockiersystem für Bremsen hat Daimler-Benz gebaut und mit technisch gutem Ergebnis erprobt: ein Miniatur-Rechner sorgt dafür, daß auch bei kräftigem Tritt aufs Pedal die Räder nicht blockieren (und das Fahrzeug damit ins Rutschen kommt), andererseits aber doch die bestmögliche Bremswirkung erreicht wird. Vorläufig ist das aber selbst den Untertürkheimern noch zu teuer.

Abstand-Warngeräte, die die Entfernung zum vorausfahrenden Wagen ermitteln, den Abstand mit der gefahrenen Geschwindigkeit vergleichen und sie gegebenenfalls so weit drosseln, daß es nicht zum Auffahrkrach kommt, sind in der Entwicklung. Ob und wann zu einem vernünftigen Preis praktisch brauchbare Geräte auf den Markt kommen, ist ebenso ungewiß wie die Entwicklung einer automatischen Abschaltung des Fernlichtes, um die Blendung entgegenkommender Fahrzeuge zu verhindern.

Ein "Auto-Computer" wurde zwar kürzlich von RCA in Amerika vorgestellt, der zum sparsamen Fahren und zum Umweltschutz beitragen soll, indem er Benzinzufuhr, Gemischbildung und ähnliche Abläufe optimiert - aber es handelt sich nur um ein weiteres Modell, das die Sammlung der Vorschläge und Versuche bereichert. Der Rechner im Auto wird vorerst nicht die Vernunft des Fahrers ersetzen.