"Der Markt ist nach wie vor volatil"

27.02.2006
Mit Martin Jetter, Chef der Beratungssparte IBM Business Consulting Services (BCS) in Nordost-Europa, sprachen die CW-Redakteure Christoph Witte und Joachim Hackmann.

CW: Wie entwickelt sich der deutsche und europäische Business-Consulting-Markt 2006?

IBM Business Consulting Services

Nachdem die IBM im vergangenen Jahr die PC-Sparte an Lenovo verkauft hat, entfallen nun mehr als die Hälfte des Jahresumsatzes auf Dienstleistungen. Insgesamt beliefen sich die IBM-Einnahmen im Jahr 2005 auf 91,1 Milliarden Dollar, 47,4 Milliarden Dollar steuerte IBM Global Services bei.

Die Dienstleistungssparte gliedert sich in die Bereiche Strategic Outsourcing (IT-Betriebsdienste), Business Consulting Services (Management- und IT-Beratung, Systemintegration und Geschäftsprozess-Outsourcing), Integrated Technology Services (Aufbau, Optimierung und Betrieb von IT-Umgebungen) sowie Maintenance (Wartung). Mit rund 40 Prozent vom Umsatz ist das klassische IT-Outsourcing das wichtigste Geschäftsfeld innerhalb der Dienstleistungssparte, gefolgt von den Aktivitäten der Berater, die rund 30 Prozent der Einnahmen (etwa 13,5 Milliarden Dollar) liefern. IBMs Beratungs- geschäft hat durch die Übenahme von Pricewaterhouse-Coopers Consulting im Jahr 2002 einen erheblichen Schub erfahren. Damals wechselten rund 30 000 Berater zu Big Blue und brachten geschätzte Jahreseinnahmen in Höhe von 4,9 Milliarden Dollar mit.

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Jetter: Die Nachfrage steigt. Der europäische Markt hat sich im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich erholt, wir sehen insbesondere einen Trend zu Innovationen, die auf Umsatzsteigerung zielen. Eine ähnliche Entwicklung gibt es auch in Deutschland. Dennoch ist der Markt nach wie vor volatil. Wenn die Wirtschaft anzieht, registrieren wir eine steigende Nachfrage. Gibt es hingegen negative Meldungen, reagieren Unternehmen umgehend.

CW: Profitieren Sie von der positiven Stimmung in Deutschland seit der vergangenen Bundestagswahl?

Jetter: Wir sehen eindeutig, dass sich der Fokus der Unternehmen, der in der Vergangenheit streng auf Kostensparen ausgerichtet war, verlagert hat. Weiterhin gilt strenge Kostenkontrolle, aber mittlerweile steigt die Nachfrage nach Wachstums- und Innovationsprojekten.

CW: Das letzte Quartal 2005 von IBM Global Services sah ja nicht so gut aus, der Umsatz ging zurück. Woran hat das gelegen?

Jetter: Unser weltweites Geschäft des vergangenen Jahres war ausgeglichen. In Wachstumsbereichen konnten wir den Umsatz um bis zu 25 Prozent steigern, unter anderem im Business Transformation Outsourcing. Wir sind sehr zufrieden mit dem, was wir erreicht haben. Dennoch sind wir von der Flüchtigkeit und den schnellen Aufs und Abs des Marktes betroffen.

CW: Gab es Wachstum auch in Europa und Deutschland?

Jetter: In Europa ist das Geschäft auch sehr gut verlaufen, vor allem im zweiten Halbjahr 2005. Das ist besonders nach der Einführung der neuen Strukturen mit der nordost- und südwesteuropäischen Organisation bemerkenswert.

CW: Gibt es Beispiele für die von Ihnen angesprochenen Wachstums- und Innovationsprojekte?

Jetter: Viele Unternehmen strukturieren ihre Geschäfte neu. Die Banken überarbeiten ihr Front-Office, ihren Kundenzugang. In der Automobilindustrie gibt es immer mehr Modelle und Marken, die etwa durch Ersatzteillager und Zusatzangebote unterstützt werden wollen. Die Telekommunikations-Branche hat ihr Angebotsspektrum extrem erweitert, die Betreiber müssen sehr dynamisch und flexibel arbeiten. Dafür benötigen die Unternehmen Systeme, Architekturen, Anwendungen und Prozesse, die diese Flexibilität fördern.

CW: Das hört sich zwar strategisch an, aber nicht unbedingt innovativ, denn über Prozesse reden wir nicht erst seit 2005.

Jetter: An den Kreuzungspunkten von Branchenwissen, Prozess-Know-how und neuen Techniken entstehen Innovationen. Innovationen basieren nicht nur auf einem guten Gedanken, sondern lassen sich wie Produkte und Lösungen entwickeln, wenn etwa eine Dienstleistung am Markt erfolgreich umgesetzt wird.

CW: Wie beeinflusst dies Angebote im Bereich BPO (Business Process Outsourcing)?

Jetter: Das ganze Thema Business Process Transformation kommt aus dem angelsächsischen Raum. Dort haben die Kunden viel früher damit begonnen, nicht nur die IT-Systeme, sondern ganze Geschäftsprozesse zu verlagern. Ein Beispiel liefert etwa Procter & Gamble, dort wurde das Personalwesen ausgelagert. Solche Angebote werden zunehmend auch in Deutschland, Skandinavien, Frankreich und Italien aufgegriffen. Diese Länder befinden sich im Vergleich zu den USA und Großbritannien in einer sehr frühen Phase der Marktentwicklung.

CW: Das Business Process Outsourcing ist innerhalb der IBM-Organisation ein Teilbereich der Beratungseinheit, parallel dazu gibt es das Geschäft mit dem IT-Outsourcing. Lassen sich die Vorhaben so eindeutig trennen?

Jetter: Nein. Zum Auslagern von Geschäftsprozessen benötigen Unternehmen eine IT-Infrastruktur und -Architektur, und das ist die Stärke des Outsourcing-Bereichs. Hier gibt es eine Konvergenz, der wir Rechnung tragen, indem die Mitarbeiter aus den jeweiligen Bereichen sehr eng zusammenarbeiten. Außerdem führen wir sie in der Zukunft auch organisatorisch zusammen.

CW: Was meinen Sie damit?

Jetter: Wir stellen den Bereich Business Transformation Outsourcing parallel zum Strategic Outsourcing auf, so dass wir die Organisationen viel enger miteinander verzahnen. Die Mitarbeiter aus dem IT-Outsourcing spielen eine sehr wichtige Rolle, wenn die Überarbeitung der Prozesse abgeschlossen ist.

CW: Im BPO-Bereich haben Konkurrenten wie Accenture und Capgemini ein schärferes Profil. Wir oft treffen Sie im BPO-Umfeld auf diese Firmen?

Jetter: Bei den großen Deals treffen wir sie relativ selten. Das Marktvolumen weltweit ist so groß wie das des klassischen IT-Geschäfts, und bislang sind erst wenige Anbieter in diesen Bereich eingestiegen.

CW: Wer ist im Spannungsfeld zwischen Outsourcing und Beratung erster Ansprechpartner für die Kunden?

Jetter: Die klassische Aufstellung der IBM löst dies. Wir haben eine Vertriebsorganisation, die für die Betreuung des Kunden in allen Belangen verantwortlich ist und die Beziehungen pflegt.

CW: Nehmen Kunden die IBM als Management-Beratung wahr?

Jetter: IT ist keine isolierte Funktion mehr. Es geht längst um die Verschmelzung von Geschäftsabläufen mit Informationstechnologie. Wir werden auch auf der Vorstandsebene zu Rate gezogen, weil das Thema als wichtiger Wettbewerbsfaktor erachtet wird.

CW: Das war in der Vergangenheit ja anders, die IT hat für viel Enttäuschung gesorgt, wurde vor allem als Kostenblock gesehen. Woher kommt der Wandel?

Jetter: Sie können es auf das Internet reduzieren. Urplötzlich spielen Ländergrenzen keine Rolle mehr, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen begrenzt sich nicht mehr auf einen einzigen Markt, heute gibt es weltweit Konkurrenz.

CW: Herr Weihen, der Deutschland-Geschäftsführer der IBM, hat in einem Gespräch mit der COMPUTERWOCHE sinngemäß gesagt: "Im Herzen ist die IBM eine Technologie-Company." Wie kommentieren Sie diese Aussage?

Jetter: Schauen Sie beispielsweise auf unsere neuen Power-Prozessoren. Sie untermauern den Anspruch der IBM als Technologieführer. Die blanke Erfindungskraft schafft aber nicht automatisch wirtschaftlichen Erfolg. Parallel dazu brauchen wir Branchen- und Prozessverständnis, so dass sich die Erfindungen in Innovationen umsetzen lassen, die den wirtschaftlichen Erfolg gewährleisten. Der Begriff Innovation beinhaltet nicht nur Erfindungen, sondern auch die erfolgreiche Umsetzung in Produkte, Dienstleistungen und Lösungen.

CW: Dennoch hat das Gespräch den Eindruck hinterlassen, dass die IBM eine Balance der Geschäftsfelder Software, Hardware und Dienstleistungen anstrebt.

Jetter: Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie beim Kunden einen Servicemitarbeiter der IBM treffen, ist sehr hoch, denn 190000 Mitarbeiter arbeiten im Dienstleistungsbereich, und sie erzielen rund die Hälfte des gesamten Umsatzes. Die Strategie der IBM fußt auf Services, Technologie und Hardware sowie Software. Aber wie definiert sich die IBM? Sind wir eine IT-Company? Sind wir eine Service-Company? Wir sind weder das eine noch das andere. Wir sind eine Innovations-Company.