Anwendungsprojekte brauchen harmonische Teams

Der "Faktor Mensch" wird viel zu häufig unterschätzt

13.09.1991

Der Erfolg von Software-Entwicklungsprojekten hängt von einer Reihe verschiedener Einflüsse ab. Falsch eingeschätzt wird dabei nach Ansicht von Günther Thoma* häufig die Rolle der Mittarbeiter. Eine gemeinsame Intention und gegenseitiges Vertrauen können ein Team um ein Mehrfaches produktiver machen. Voraussetzung: Die Mittarbeiter müssen lernen, miteinander zu kommunizieren.

Als ich vor einigen Jahren mein Informatikstudium beendete und voller Erwartung in das Berufsleben einstieg, dachte ich, daß ich eine vollständige Berufsausbildung erhalten hätte und praxisbezogenes, modernstes Informatikwissen mit auf den Weg nähme.

Ich konnte es kaum erwarten, mit diesem Wissen und meinem jugendlichen Eifer an der "Schöpfung" moderner Technik mitzuwirken.

Leider ist die Welt oft anders als erträumt, und mein damaliger Optimismus wurde bald gedämpft. Ich habe zwei Jahre an der Entwicklung einer Programmierumgebung mitgearbeitet. Wir setzten Informatiktechnologie wie "Entity-Relationship-Datenbank" oder eine "polymorph typisierte funktionale Sprache" ein und glaubten, hiermit einen Meilenstein in der DV-Welt setzen zu können.

Das Entwicklungsteam war sich aber keineswegs einig, ob der eingeschlagene Weg zum Erfolg führen würde, denn um neue Mitarbeiter einzuarbeiten, war ein erheblicher Aufwand notwendig. "Wie soll das werden, wenn das System für Projekte in der Praxis eingesetzt wird?" war eine ketzerische Frage, mit der man den Projektleiter auf die Palme bringen konnte.

Meilenstein in der DV-Welt setzen

Schließlich wurde das System doch "erfolgreich" fertiggestellt und konnte seine Vorteile in mehreren kleinen Demonstrations-Projekten nachweisen. Das gesamte Entwicklungsteam hatte ein Erfolgserlebnis.

Wer waren diese Entwickler? In der Regel handelte es sich um Informatiker und Mathematiker, die sich jahrelang mit den Theorien und Konzepten moderner Informatiktechnologien beschäftigt hatten und hier eine "Insel" fanden, dieses Wissen anzuwenden. Die Begeisterung sank jedoch sehr schnell, als es an der Zeit war, dieses "Wundersystem" auf den Markt zu bringen.

Das große Problem waren die Mitarbeiter, die damit arbeiten sollten. Das System wurde kaum akzeptiert, es unterschied sich zu sehr von dem, was bisher eingesetzt wurde und stellte die Kompetenz vor allem der älteren DV-Mitarbeiter in den Unternehmen in Frage.

Die Probleme in der DV der meisten Unternehmen waren offensichtlich nicht primär technologischer Natur. Ich sage hier ausdrücklich primär, denn letztendlich würden neue Informationstechnologien und Entwicklungsmethoden aus der Forschung selbstverständlich eine Verbesserung schaffen, aber deren erfolgreiche Einführung ist nur zusammen mit den betroffenen Menschen möglich. Das primäre Problem ist also der "Aspekt Mensch" selbst.

Die Einführung neuer Technologien, zum Beispiel durch Schulung und Beratung der Mitarbeiter der konventionellen DV, bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Die Welt der akademisch ausgebildeten Informatiker ist von der Welt der Praktiker weit entfernt. Bei der derzeitigen rasanten Entwicklung nimmt dieser Abstand immer schneller zu. Dies gilt sowohl für die Technologie als auch für Denkweise und Sprache der Menschen.

Nicht nur bei der Einführung neuer Technologien, sondern auch in laufenden Projekten haben die "menschlichen" Probleme in der Regel höheres Gewicht als technologische Probleme. Eine Untersuchung von mehr als 500 großen Software-Projekten durch den renommierten amerikanischen Informatiker Tom DeMarco hat ergeben, daß beim Scheitern von Projekten technologische Probleme sehr selten ausschlaggebend waren.

Technische Probleme nicht entscheidend

Dazu schreibt DeMarco in seinen jüngstem Buch "Peopleware": "Ein Viertel der Projekte mit einem Aufwand von 25 Mannjahren oder mehr erleidet Schiffbruch, bevor es vollendet ist... Bei der überwältigenden Mehrheit der von uns untersuchten fehlgeschlagenen Projekte war das Scheitern nicht allein mit technischen Schwierigkeiten zu erklären."

Ein kürzlich in der Frankfurter Rundschau erschienener Artikel mit dem Titel "CASE _ ein klarer Fall für Technologiegläubige", der auch auf DeMarco Bezug nimmt, beschreibt dasselbe Phänomen. Hier wird angezweifelt, daß allein durch den Einsatz von CASE-Systemen die Qualität der Software und die Produktivität der Software-Entwicklung gesteigert werden können. Vielmehr müßten die Unternehmen durch mehr Kommunikation und humanere Arbeitsbedingungen die Basis für eine Verbesserung schaffen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Professor Peter Molzberger von der Universität der Bundeswehr in München, der umfangreiche Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt hat. Auch er vertritt die Auffassung, daß sich eine produktive Software-Entwicklung nicht allein auf die Anwendung modernster Technologie stützen darf .

Das Ersetzen eines Entwicklungswerkzeuges durch ein "besseres" mag vielleicht eine Produktivitäts- und Qualitätssteigerung von 30 bis 50 Prozent versprechen. Allerdings bleibt die Frage: Wurde bei diesem Versprechen auch der Faktor Mensch berücksichtigt?

Untersuchungen von Software-Entwicklungsteams haben ergeben, daß die Leistungsfähigkeit eines harmonisch zusammenarbeitenden - synergetischen - Teams mitunter bis zu zehnmal so produktiv ist wie die eines "durchschnittlichen" Teams.

Professor Molzberger hat durch Untersuchungen typische Charakteristika solcher Teams entdecken können, etwa:

- ein hohes Maß an Vertrauen unter den Mitgliedern,

- wenig Hierarchien,

- äußerst intensive Kommunikation, auch auf nichtverbaler Ebene,

- körperliche Gesundheit und

- große Zufriedenheit mit der Arbeit sowie Loyalität gegenüber dem Team und der Firma.

Ergänzend sei noch auf Untersuchungen über sogenannte Spitzenprogrammierer hingewiesen, die ebenfalls von dem Münchner Professor durchgeführt wurden. Molzberger geht davon aus, daß die "Programmierleistung" stark von der Persönlichkeit des Programmierers abhängig ist und nicht nur eine Frage des Trainings besonderer Fähigkeiten zu sein scheint. Charakteristische Eigenschaften solcher Spitzenprogrammierer sind:

- Zustand äußerst hoher Konzentration;

- Alpha-Gehirnwellen-Muster: hohe Kreativität;

- hohe ästhetische Eleganz;

- häufige Berichte über seltsame Erscheinungen wie zum Beispiel Vorahnungen oder "außerkörperliche" Erfahrungen sowie

- ein wohlgeordnetes und erfülltes Privatleben.

Nach soviel Untersuchungsergebnissen stellt sich nun die Frage, was getan werden kann, um zum Beispiel ein Arbeitsteam "synergetisch" zu machen. Zwei Aspekte, die DeMarco und Molzberger als grundlegend bezeichnen, sind "eine gemeinsame Intention" und "gegenseitiges Vertrauen".

Eine gemeinsame Intention zu haben, bedeutet ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Modernen Management-Methoden ist diese Zielorientierung bereits bekannt. Die Teammitglieder müssen sich das Gruppenziel zu eigen machen, sich mit dem gemeinsamen Ziel "identifizieren".

Genau das ist aber der springende Punkt, denn diese Identifikation setzt ein hohes Vertrauen in der Gruppe voraus. Vertrauen kann man jedoch nicht "machen" - auch wenn die "Macher" in unserer Gesellschaft dies vielleicht glauben. Der alte Leitsatz von Lenin "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" herrscht leider in unserer Arbeitswelt noch vor.

Peter Elzer schreibt in einem Artikel über Projektmanagement im "Informatik-Spektrum" (Heft 4, 1989), daß technische Führungskräfte dazu neigen, die psychologischen und sozialen Aspekte der Projektleitung unterzubewerten, obwohl diese eigentlich die wichtigsten sind, die ein Manager beachten muß. Detaillierte Planungen und Statistiken sowie beste technische Ausstattung nützen dem Projekt nichts, wenn ein Projektleiter es nicht versteht, die nötige Motivation und den Zusammenhalt seiner Mitarbeiter zu schaffen.

Soll ein synergetisches Team entstehen, so muß jeder Beteiligte bei sich selbst beginnen. In den letzten Jahren werden in diesem Zusammenhang Meditationskurse für Manager angeboten. Dieser Trend ist sehr interessant, denn offensichtlich erkennen Manager, daß Führung und Gruppensynergie mit der eigenen Transformation beginnen muß.

Alternative Ansätze im Bereich des Projektmanagements sind seit einiger Zeit im Gespräch. Namhafte Unternehmen wie zum Beispiel Großbanken investieren bereits auf diesem Gebiet. Dabei treten immer häufiger Formulierungen wie "Vernetztes Denken", "neues Denken", "systemisches Projektmanagement" oder "ganzheitliches Denken und Handeln" auf.

Wenn ein Projekt in eine kritische Phase gerät, ist die Versuchung groß, durch Hinzufügen weiterer Mitarbeiter Zeit und Qualität zu gewinnen. Oftmals wird das Prinzip vergessen, daß ein Projekt, das im Verzug ist, durch Hinzunahme neuer Mitarbeiter nur noch weiter in Verzug gerät.

Für einen Manager oder Projektleiter, der mit seinem Projekt in Termindruck gerät, ist dies eine schwierige Situation: Eine Aufstockung seines Teams könnte den endgültigen Zusammenbruch seines Projektes bedeuten.

Die Produktivität eines Projektes ist im wesentlichen von der Kommunikation abhängig. Menschen, die in einem Team arbeiten, müssen sich untereinander absprechen, um ihre Arbeit erledigen zu können. Dies gilt insbesondere für anspruchsvolle geistige Tätigkeiten wie das Programmieren.

Hinzu kommen die besonderen Schwierigkeiten bei der Kommunikation in der Software-Entwicklung, wenn zum Beispiel unterschiedliche Welten wie Fachabteilung und DV-Abteilung aufeinanderprallen; hier wird für die Kommunikation sehr viel Zeit benötigt. Ein gutes Kommunikationsvermögen ist eine zentrale Voraussetzung für die Arbeit eines DV-Mitarbeiters im Berufsleben.

Wie kann nun die Kommunikationsfähigkeit verbessert werden? Friedemann Schulz von Thun, Professor für Kommunikationspsychologie an der Universität Hamburg schreibt hierzu: "Das Lernziel Kommunikationsfähigkeit braucht ein Curriculum, das die seelische Gesundheit der Gesamtpersönlichkeit fördert".

Die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit ist nur innerhalb einer kommunizierenden Gemeinschaft möglich. Hier bieten sich zum Beispiel gruppendynamische Trainingsprogramme an. Neue Forschungsergebnise haben allerdings gezeigt, daß kommunikative Qualifikationsziele ohne fachspezifischen Bezug, zum Beispiel zur DV-Welt, nur wenig Sinn machen. Ein bloßes "Ankleben" von Kommunikationskursen, ohne die konkrete berufliche Situationen zu berücksichtigen, hat sich als wenig erfolgreich herausgestellt.

Eine sinnvolle Methode, um Kommunikationsstörungen in Arbeitsteams zu beheben, ist die sogenannte Metakommunikation. Gemeint ist eine Kommunikation über die Kommunikation. Metakommunikation ist allerdings nur dann effizient, wenn die Grundlagen wie beispielsweise prinzipielle Wirkungsweise der Kommunikation bekannt sind.

Langfristig muß der Aspekt Mensch bereits in die Ausbildung von Informatikern an den Hochschulen oder in die betrieblichen Mitarbeiterausbildung integriert werden, bevor es zu den geschilderten Problemen kommt. Bisher wurde dieser Aspekt meist völlig vernachlässigt, da sich das Problembewußtsein erst seit kurzer Zeit zu bilden beginnt.