Der Computer unter Nichtsnutz-Verdacht: Informationsvorsprung eine Schimäre?

02.03.1990

Lester C. Thurow

Sloan Management School des MIT, Boston

Lester C. Thurow, Dekan der Sloan Management School des Massachusetts Institut of Technology (MIT) in Boston und engagierter Wirtschaftswissenschaftler vertritt eine Querdenker-Position, was die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft betrifft. Thurow ist der Ansicht, daß Computer oft in überholten Abläufen eingesetzt werden und überflüssige Informationen erzeugen. "Wenn man nur Fakten heranziehen würde, käme man in vielen Fällen zu dem Schluß, daß der Einsatz von Computern ein Fehler ist!" In einem Gespräch mit der CW-Schwesterpublikation "COMPUTERWORLD" präsentierte Thurow seine ungewöhnliche Sichtweise des Informations-Managements. Hier die wichtigsten Statements:

1. Über die aktuellen Schwierigkeiten der Computerindustrie:

Eines der Probleme liegt darin, daß jeder Markt zu einem bestimmten Zeitpunkt gesättigt ist. Der zweite Punkt ist, daß die Büroautomatisierung sich nicht in einer vertikalen Produktivitätssteigerung ausgedruckt hat. Wenn dies der Fall wäre, könnte man davon ausgehen, daß die Anzahl der Büroangestellten langsamer - als der Output wächst. In der Tat wächst aber die Anzahl der Büroangestellten weitaus schneller als der Output. Das bedeutet, daß die Produktivität der Angestellten trotz all der Investitionen in das elektronische Büro zurückgegangen ist. Eines hat sich klar gezeigt: Wenn man das Büro automatisiert, muß man praktisch das Büro neu definieren. Wer berichtet an wen, weiche Berichte erden erstellt, alle diese Dinge. Aber das Büro auseinanderzureißen und ein neues Büro einzuführen, ist soziologisch sehr problematisch, da man mit gewachsenen Machtstrukturen, Gewohnheiten und Abläufen in Kollision kommt.

2. Über die zunehmende Fluktuation im amerikanischen DV-Management:

Diese Fluktuation reflektiert zwei Dinge. Sie reflektiert zum einen die Frustration über die mangelnde Rentabilität. Zum anderen hängt diese Fluktuation mit der Beschaffenheit der Position zusammen, die ähnlich wie die des Personalleiters einen Einbahnstraßencharakter hat. Sehen Sie sich einmal an, wer heutzutage Geschäftsführer werden kann. Es gibt Jobs in der zweiten Reihe, die keine Aufstiegschancen ins erste Glied bieten. Der Job des DV-Leiters wird als zu spezialisiert angesehen, als daß er zur Geschäftsführung qualifizieren würde. Also gibt es auch auf dieser Ebene eine gewisse Frustration, da diese Leute bis zu einer bestimmten Ebene kommen können, von der es nicht weiter nach oben geht.

3. Über die Wirtschaftlichkeit der Daten- und Informationsverarbeitung.

Das Problem mit Informationsdiensten ist, daß es sehr einfach ist, Daten über alles und jedes zu produzieren. Das einzelne Bit ist so billig, daß wir dazu tendiere, Millionen von Bits zu produzieren, wodurch alles wieder fürchterlich teuer wird. Wenn man einmal ernsthaft betrachtet, was wir brauchen und was nicht, mit der Betonung darauf, was wir nicht brauchen, dann sieht man schon den Wege der gegangen werden muß, da man mit dieser Technologie wirklich hervorragende Sachen machen kann. Die Frage lautet, wie man verhindern kann, daß Ressourcen verschwendet werden, wenig die Systeme einmal keine hervorragenden Dinge tun.

4.Über die Rolle der Japaner in der Computertechnik:

Wenn man den Einsatz von DV-Systemen betrachtet, kann man nicht sagen, daß die Japaner Pioniere sind. Sie waren auf ihre Art Nachzügler. Der Grund für die japanische Produktivitätssteigerung der letzten Jahre liegt nicht in der Computertechnologie. Daher würde ich nicht sagen, daß die Jpaner führend sind, wenn es durum geht, Computersysteme in Produktivität umzusetzen.

5. Über den "information overkill":

Ich glaube, daß wir Amerikaner denken, mehr Information sei generell besser als wenig Information. Da aber die Informationsbeschaffung Geld kostet, stimmt das nicht. Ich bin der Ansicht, daß die "leiste" Universitäten und Unternehmen enorme Datenbestände mit sich herumschleppen, die keinerlei positiven Wert haben. Man sammelt Informationen, um Informationen zu sammeln, falls man sie einmal gebrauchen könnte.

6. Über den Nutzen von DV-Anwendungen am Beispiel Buchhaltung:

Mit dem Einsatz von Computern aktualisieren viele Unternehmen jeden Abend ihre Bücher. Aber was lernt man eigentlich dadurch, daß man jeden Abend seine Bücher aktualisiert?

7. Über die Informatik als Wettbewerbsfaktor am Beispiel POS:

Mit den Daten der elektronischen Registrierkassen produzieren die Läden riesige Datenmengen. Der Hintergedanke dabei ist, mit diesen Informationen bessere Verkaufs- und Marketing-Strategien zu entwickeln.

Die Frage ist: Was kann wirklich damit erreicht werden? Ich weiß es nicht, aber ich bin jedesmal skeptisch, wenn ich an solch einer Kasse vorbeilaufe.

8. Über die Zwitterstellung des DV-Managers:

Wenn Sie Informationen ändern, ändern Sie Machtstrukturen und das soziologische Gefüge im Unternehmen. Wenn sich der Informationsfluß ändert, berichten nicht mehr dieselben Leute an dieselben Stellen.

Ich glaube, daß ein Teil des Problems darin liegt, daß ein DV-Manager mehr Machtbefugnis haben müßte, die Strukturen des Unternehmens neu zu organisieren, als das bisher der Fall ist.

Damit sich der Einsatz der Informationstechnologie rentiert, müssen überdies mehr Leute als nur DV-Spezialisten involviert werden.

9. Über die Machtstrukturen in Unternehmen:

Der DV-Manager verfügt nicht über die Autorität, Strukturveränderungen durchzusetzen. Diese Autorität hat nicht einmal der Geschäftsführer. Ich will damit sagen, daß der Geschäftsführer zwar unternehmenspolitisch sicherlich diese Macht hat, daß sie jedoch nicht durchsetzbar ist, wenn Änderungen zu Unruhe im Unternehmen führen und diese das gesamte System stört.

10. Über das Unvermögen, Veränderungen herbeizuführen:

Die meisten Menschen sind sich nicht darüber im klaren, wie schwierig es ist, Beziehungen zu ändern. Das liegt hauptsächlich daran, daß Menschen lügen. Wir sagen, daß wir Änderungen positiv gegenüberstehen, aber tatsächlich sperren wir uns gegen Änderungen.