Der Chef und sein bester Zuhörer

31.01.2002
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Ob Umstrukturierung, gestiegene Fluktuation oder Rollenwechsel vom Kollegen zum Chef, Anlässe für Coaching gibt es viele. Verstärkt stellen Unternehmen ihren Führungskräften externe, meist psychologisch ausgebildete Trainer zur Seite.

Problem ist ein Wort, das Michael Kremin nicht in den Mund nimmt – zumindest nicht während seiner Arbeitszeit. Im Dialog mit Managern spricht der Münchner Coach lieber von Stärken und Ressourcen, die es gilt zu nutzen beziehungsweise weiterzuentwickeln: „Führungsfähigkeit ist vergleichbar mit einem Orgelspiel – umso mehr Manuale einer bedienen kann, ein desto besserer Musiker ist er.“

Führungskräfte in der IT haben sich in der Regel damit für ihre Position empfohlen, dass sie ein Manual perfekt beherrschen: die Technik. Doch gute IT-Spezialisten sind noch lange keine guten Manager. Eine Binsenweisheit, die sich mitttlerweile auch in vielen Personalabteilungen herumgesprochen zu haben scheint. Verstärkt bieten diese ihren Neu-Managern eine befristete Begleitung durch einen externen, meist in Psychologie geschulten Trainer an. Diese externen Helfer sind auf das Vertrauen ihrer Kunden angewiesen und behandeln auch die erhaltenen Informationen vertraulich.

Kremin, der früher Softwaretrainer ausbildete und nach einem Psychologiestudium nun seit Jahren als Coach arbeitet, kennt die Branche und weiß, warum vielen IT-Spezialisten der Rollenwechsel vom Kollegen zum Chef anfangs schwer fällt. Zum einen müssen sich die neuen Chefs eine innere Autorität aufbauen, da es nun etwa zu ihren Aufgaben gehört, mit früher gleichrangigen Kollegen ein Mitarbeitergespräch zu führen und an diesen Kritik zu üben. Zum anderen müssen sie lernen lozulassen. „Für gute Fachexperten ist es nicht leicht, die Aufgaben, die sie vor ihrer Beförderung wahrnahmen, aus der Hand zu geben und vielleicht auf Mitarbeiter zu verteilen, die ihnen fachlich nicht das Wasser reichen können“, sagt Kremin. Dazu komme oft der Glaube, alles kontrollieren zu müssen.

Der Trainer schlüpft in die Rolle des Zuhörers

Damit der Coach eine solche Gemengelage erkennen kann, muss die von ihm betreute Führungskraft erst einmal erzählen. Der Trainer schlüpft in die Rolle des geneigten Zuhörers, was nach Ansicht der Hamburger Psychologin Yasmin Sautter, die seit fünf Jahren als Coach freiberuflich und für Lucas Consulting Team arbeitet, eine entscheidende Voraussetzung ist: „Da der Druck auf Führungskräfte ständig zunimmt, können sie über bestimmte Dinge weder mit ihren Vorgesetzten noch mit ihren Mitarbeitern sprechen. Auch dem privaten Partner kann man nicht alle beruflichen Schwierigkeiten zumuten. In solchen Situationen bekommt Coaching eine entlastende Funktion, weil jemand dem Manager seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmet und ihn annimmt.“

Zuwendung wird nach der Erfahrung von Kremin um so wichtiger, je höher jemand in der Unternehmenshierarchie aufsteigt: „Auf Vorstandsebene funktionieren amicale, kollegiale oder familiäre Netze oft nicht mehr. Die Zahl der Wegbegleiter, die sich trauen, einem die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, nimmt kontinuierlich ab.“

Aber auch der Coach wird sich davor hüten, gegenüber seinem Kunden als Oberlehrer aufzutreten. Explizite Ratschläge und Patentrezepte teilt er nicht aus, stattdessen wechselt er zwischen den Rollen des Zuhörers und Moderators und stellt die richtigen Fragen, bis sein Gegenüber sich und die Situation reflektiert hat und selbst eine Lösung findet. Dafür müssen die solchermaßen Trainierten Geduld mitbringen, wie Sautter anmahnt: „Vor allem männliche Führungskräfte tendieren dazu, sofort eine Lösung finden zu wollen. Ich muss sie erst einmal bremsen, sie dazu bringen, dass sie den Prozess zunächst gründlich beleuchten – umso tragfähiger sind hinterher auch die Lösungen.“

Coaching ist effizienter als ein Standardseminar

Der genauen Anlayse und Lösungsfindung sind in der Regel aber zeitliche Grenzen gesteckt, schließlich berechnen die Coaches zwischen 300 und 1000 Mark pro Beraterstunde. Eine kostenintensive Weiterbildung, in deren Genuss auch bei großen Unternehmen wie der SAP AG nur ein ausgewählter Kreis an Managern kommt. In der Walldorfer Softwareschmiede werden etwa die Führungskräfte, die direkt an den Vorstand berichten, gecoacht. Dazu SAP-Personalleiter Ingo Nicolay: „Wir setzen Coaching seit einiger Zeit ein, da es effizienter als ein Standardseminar und auch leichter planbar ist: Die die Trainer kommen zu uns ins Haus und richten sich nach den vollen Terminplänen der Manager.“

Allerdings nutze man das Instrument „selektiv und dosiert“: Es muss immer einen konkreten Anlass geben, sei es, dass ein Manager einen Vortrag vor einem größeren Publikum halten muss oder dass er einen größeren Verantwortungsbereich übertragen bekommt. Ein konkretes Problem, ein klares Ziel und eine zeitliche Befristung sind auch für Ina-Maria Fliegen, Personalchefin der Düsseldorfer Planetactive GmbH, die unabdingbaren Rahmenbedingungen für Coaching.