Bonn errichtet Bundesdatenbank für Naturschutz und Landschaftspflege:

Der Bildschirm macht saure Wälder sichtbar

20.05.1983

BONN - Eine Datenbank für Naturschutz und Landschaftsplege, verbunden mit einem Landschaftsinformationssystem, bauen Prof. Walter Mrass und seine Mitarbeiter von der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftspflege (BFANL) auf. Damit ist es in Zukunft möglich, Planungs- und Bauvorhaben bundesweit so abzustimmen, daß der ökologische "Flurschaden" möglichst gering gehalten wird.

BFANL

Die Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftspflege (BFANL) mit rund 60 Mitarbeitern unterhält drei Institute:

- Vegetationskunde/Botanik

- Naturschutz und Tierökologie/Rote Listen

- Landschaftspflege und Ökologie/Landschaftsplanung/Freizeit und Erholung.

Die Bundesforschungsanstalt in Bad Godesberg ging aus einer vor mehr als 75 Jahren gegründeten Anstalt für Naturdenkmalpflege hervor. Heute ist die BFANL direkt dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unterstellt.

Chef der letztgenannten Abteilung, die den "Grünen Computer" betreibt, ist Prof. Dr. Walter Mrass.

Neben der Beratung des Landwirtschaftsministeriums besteht in Form eines ständigen Arbeitskreises eine enge Zusammenarbeit mit den einschlägigen Instituten und Anstalten der Bundesländer. Zugleich ist die BFANL in dem Ausschuß vertreten, der die "ökologische Kartierung auf EG-Ebene" vorbereitet.

Bereits 1974 wurde die BFANL vom zuständigen Bundesminister mit der Forschungsarbeit "Entwicklung und Aufbau eines Landschaftsinformationssystems auf der Grundlage einer rasterbezogenen Flächendatenbank" beauftragt. Vorausgegangen waren 1972/1973 bereits Arbeiten zur Ermittlung "von Methoden zur Aufbereitung der Landschaftsfaktoren für die elektronische Datenverarbeitung und Auswertung der Daten für ein Landschaftskataster der Bundesrepublik Deutschland".

Der Sprödheit dieser langatmigen Titel entsprachen die Schwierigkeiten bei der Lösung dieser Aufgabe, da es damals - so Dipl.-Ing. Hans Werner Koeppel, Wissenschaftlicher Oberrat im BFANL - eben nicht nur an Methoden und geeigneten EDV-Werkzeugen fehlte (was Hard- und Software betrifft), sondern schlicht auch an genügend geeigneten Daten, die man hätte erfassen und verarbeiten können. Es war nicht einmal klar, welche Daten man überhaupt heranziehen sollte.

Den Teil der Sisyphosarbeit, das ganze Bundesgebiet in ein Landschaftsinformationssystem und eine entsprechende Datenbank einzubringen, übernahm 1978 ein bei der Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz (LANa) eingerichteter Ausschuß. Noch im gleichen Jahr legte er einen Landschaftsdatenkatalog vor. Der Katalog umfaßt (Stand 1982) in rund zwei Dutzend Merkmalsgruppen rund 100 Merkmale und Hunderte von Einzelheiten (Klassen) im Gelände zu erfassender Daten. Sie beinhalten Grenzen ebenso wie Bodenbeschaffenheit, Klima, Gewässer, Bebauung, Vegetation, Tierwelt, Nutzungsarten Verkehrsanlagen und Erholungseinrichtungen, aber auch Details wie Wanderwege, Naturdenkmäler, Mineralfundstätten und so weiter.

Die reale Landschaft abbilden

Dieser umfangreiche Datenkatalog ist erforderlich, um über das Informationssystem in Kartenwerken und (Text-) Beschreibungen die "reale" Landschaft abbilden zu können. Rein statistische Angaben, wie sie bei Bund, Ländern und Gemeinden vorliegen, sind hier nicht ausreichend.

Ein Beispiel: Das Informationssystem begnügt sich nicht damit, zu wissen, wieviel Prozent der Bundesfläche oder kleinerer Einheiten Naturschutzgebiete sind. Es will und kann Aussagen darüber machen, wo genau diese einzelnen (oft sehr kleinen) Gebiete liegen und was dort speziell unter Schutz steht.

Wie wenig man über dieses heikle Thema, über das derzeit soviel geredet wird, wirklich weiß, kann man bei der BFANL studieren: Zur Zeit wird dort erstmals ein bundesweites Kartenwerk erstellt, das alle Natur- und Landschaftsschutzgebiete ausweist.

Die Naturschutzgesetze des Bundes und der Länder sind - so Prof. Mrass - die eigentliche gesetzliche Grundlage für eine flächendeckende Landschaftsplanung. Dann aber, meint Mrass, "kann als sicher unterstellt werden, daß Aussagen über die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, die Pflanzen- und Tierwelt oder die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft, nur auf der Grundlage umfangreicher Daten quantifiziert werden können, die dafür ausreichend genau und aktuell sein müssen".

Nur zwei Vorbilder

In diesem Sinne formulierten denn auch Hans-Werner Koeppel und sein Kollege Falk Arnold die Ziele beim Aufbau des Landschaftsinformationssystems: "Abbau des Informationsdefizits im Bereich Naturschutz und Landschaftspflege und Schaffung eines vielseitig einsetzbaren Instrumentariums für Naturschutz und Landschaftspflege." Das Informationssystem selbst definiert Koeppel so: "Das ist aus technischer Sicht, was international als geographisches Datenverarbeitungssystem verstanden wird - im Prinzip eine Automatisierung der Karte."

Doch so schnell automatisiert es sich nicht. Neben geringfügigen Ansätzen im Bundesgebiet konnten Koeppel und Arnold zunächst nur auf zwei Vorbilder zurückgreifen, das "Canada Land Data System" und das "Minnesota Land Management System", beides Projekte mit ähnlichen, aber im Prinzip doch anderen Zielsetzungen. Auch die ersten Programme, die eingesetzt werden konnten, kamen von wissenschaftlichen Instituten, später aus USA. Als Rechner für die ersten Gehversuche diente das IBM-Großsystem der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) in Bonn. Noch heute wird für spezielle Anwendungen eine Terminalverbindung zum GMD-Rechenzentrum unterhalten.

Buntgemixte Peripherie

Mit der Intensivierung der Arbeit am Informationssystem richtet die BFANL in einem angemieteten ehemaligen Wohnhaus in Institutsnähe ein eigenes Rechenzentrum ein.

Doch hängt auch hier das Institut über ein Bildschirmterminal und Standleitung direkt am EDV-System.

Die Hardwareausstattung lieferte PRIEMc unter anderem. Entscheidend für die Systemwahl war, daß auch in der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg ein derartiges System installiert ist und mit diesem und anderen Instituten Programme ausgetauscht werden. Von den "Schwaben" stammt zum Beispiel das Digitalisierungsprogramm, das heute in der Hauptsache dazu dient, Daten aus Kartenwerken in die dem Informationssystem zugrundeliegende Datenbank zu übernehmen.

Heute verfügt die BFANL über eine breite Softwarepalette aus Fremdprogrammen, Eigenentwicklungen und Kombinationen aus Teilen fremder Programme, die allesamt auf das vorhandene System und die wahrhaft buntgemixte Peripherie angepaßt ist.

Neben der Digitalisierung von Kartenunterlagen steht die manuelle Erfassung. Anfangs wurde vorwiegend mit einer manuellen Quadratrastererfassung gearbeitet, da die Rasterverarbeitung im Vordergrund stand. Sie wird heute durch exakte Flächendarstellung und sogar Möglichkeiten der dreidimensionalen Wiedergabe wesentlich ergänzt. Datenquellen sind überwiegend Karten, Luftbilder, Eigenkartierungen und Tabellen. Die Unterlagen und Karten kommen aus verschiedenen Behörden und Instituten. Nicht nur Datenermittlung und Kartierung sind arbeitsaufwendig, sondern auch die Erfassung, ob nun manuell, über Scanner oder automatisch aus übermittelten Datenträgern; es treten eine Fülle von Maßstabs-, Genauigkeits- und Qualitätsproblemen auf. Das alles sind Gründe, die für das "gut Ding" Bundesdatenbank und Informationssystem "Weile haben wollen".

Begleitet wird die Erfassung und Speicherung der "automatischen Karte" von einer Textdatei. Neben den reinen Flächendaten werden Texte verfaßt und erfaßt, die in Form von Kurzbeschreibungen, das heißt inhaltliche Beschreibung aller Aspekte eines jeden Naturschutzgebietes oder Biotops, das Informationssystem ergänzen.

Die Wiedergabe erfolgt über Bildschirm und (plottenden) Matrixdrucker, bis zum Format DIN A1 aber auch über einen Plotter, der in bis zu acht anwählbaren Farben maßstabsgerecht zeichnet. Über das 3-D-Programm lassen, sich Geländeausschnitte mit ihren topographischen Formen - auch in Überhöhungen - darstellen.

Farbe für bestimmte Merkmale

Farbe ist neben Flächenrastern ein Mittel, Details und Merkmale einer Karte nach den Gesichtspunkten des Landschaftskatalogs darzustellen. In fast extremer Weise ist das über ein jüngst installiertes graphisches Bildschirmterminal möglich. Hier kann der Bediener in beinahe beliebigem Umfang bestimmten Merkmalen Farben zuordnen, so daß das auf dem Bildschirm aufgebaute Kartenbild auf einen Blick beispielsweise zeigt, wo Lurche laichen und Wälder sauer werden. Die ökologische, gleichwohl informative Buntheit der Karten läßt sich per Kamera zur "Hardcopy" umwandeln. Natürlich ist das, was Prof. Mrass und seine Mitarbeiter Koeppel und Arnold unter Mithilfe von studentischen Hilfstruppen (vor allem für die Datenerfassung) treiben, kein Selbstzweck. Schon lange bevor Datenbank und Informationssystem bundesweit helfen können, die Landschaftsplanung zu unterstützen, bearbeitet die BFANL aktuelle Projekte.

Als eine Art Vorstudie im Rahmen des Forschungsauftrages wurde eine komplette Öko-Kartierung des Raumes Bonn erstellt. Zur Zeit läuft die Kartierung des ökologisch besonders empfindlichen Auenwaldgebietes Oberrhein zwischen Basel und Mainz. Daten und Karten aus der BFANL flossen in den derzeitigen Entwicklungsplan Kassel ein.

Für nordrheinwestfälische Biologen unterstützten die Naturschutzcomputeure ein Kartenwerk über das Vorkommen von Moosen und Flechten. Bei verschiedenen Autobahnprojekten - so im Raum Neuss und in Schleswig-Holstein - wurden die Umweltverträglichkeit geprüft und Alternativtrassen untersucht. Leider wohl ein wenig zu spät wird für den ökologisch unrühmlich belasteten Lebensraum Unterelbe eine ökologische Kartierung erarbeitet. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Prof. Walter Mrass hofft, daß in Zukunft immer mehr Landschaftsplaner, Städteplaner und Straßenbauer auf die Informations- und Planungshilfen der BFANL zurückgreifen. Sein Argument: "Dem Ideenreichtum und der Kreativität des Planers sind durch den Einsatz der EDV keine einengenden Grenzen gesetzt, im Gegenteil. Mit dem Landschaftsinformationssystem lassen sich abgestuft die Auswirkungen vorgesehener Planungsschritte oder Folgen nicht getroffener Entscheidungen auf Natur und Landschaft zeigen als Antwort auf die Fragestellung: Wenn - dann.