DEC zwischen allen Stühlen

30.08.1991

Daß VAX-Anwender angesichts der nach Vergeltung trachtenden Lizenzpolitik von DEC, unbequeme Drittanbieter sich notfalls per Gerichtsbeschluß vom Leibe zu halten, nun bereits mit einem Herstellerwechsel liebäugeln, ist nicht anzunehmen. Aber Beifall kann der Mini-Marktführer nicht erwarten (siehe Thema der Woche, Seite 7: "Streit mit Third-Parties schadet dem DEC-Image"). Auf Unverständnis trifft Digital überall dort, wo über offene Systeme diskutiert wird.

Um fair zu sein: Der Patentstreit hat mit der Open-Systems-Thematik unmittelbar nichts zu tun. Die VAX ist eine proprietäre Maschine, und DEC sagt nur: "Hände weg von unserer Technik!" Und: "Haltet den Dieb!" Gemeint ist - aktueller Fall - die Emulex Corporation, US-Hersteller von kompatiblen Speicher- und Peripherieprodukten im DEC-Markt. Nichts läßt sich dagegen sagen, daß die Olsen-Company ihr geistiges Eigentum, das in der VAX steckt, schützen will.

Doch man kann auch übertreiben, daran sollten die DEC-Strategen denken: Den Kunden war es doch recht, Mixed-Hardware-Alternativen zu haben. Die Situation, daß es zahlreiche Nachahmer gab, hat DEC also auch großen Nutzen gebracht - zu Lasten der Wettbewerber. Desto wichtiger wäre es für den Mini-Marktführer, das Risiko eines Mißverständnisses (siehe Thema der Woche) zu vermeiden. Hier können die VAX-Entwickler von der IBM lernen, die sich ja - auf einem ungleich größeren Anwendungsfeld freilich - in einer ähnlich zwiespältigen Lage befindet, nämlich eindeutig für offene Systeme Position beziehen zu müssen, gleichzeitig aber einen Machtverlust im proprietären Lager verhindern zu wollen.

Bisher ist Big Blue damit erstaunlich gut fertig geworden. DEC tut sich in diesem Punkt wesentlich schwerer. Geschmeidigkeit, was Marketing-Argumente betrifft, ist Ken Olsens Sache nicht. Zur Erinnerung: Unix-Rechner verächtlich als "russische LKWs" abzutun, wie es Olsen vor drei Jahren getan hat, hängt dem DEC-Gründer noch heute nach. Das ist ein Beispiel für Realitätsverdrehung - ob gewollt oder nicht -, die zwangsläufig vom Markt - sprich: vom Käufer - bestraft werden muß. Die VAX ist eine hervorragende Maschine, schon wahr; ihr Aktionsradius, gemessen an der Verfügbarkeit von Anwendungssoftware, bleibt freilich begrenzt - das haben proprietäre Systeme so an sich.

Womit offene Systeme durch die Hintertür doch noch ins DEC-Spiel kommen. Was ein Einkäufer zu der VAX-Patent-Problematik sagt, bietet ein gutes Rezept: "Man kann auch andere Systeme kaufen, es gibt ja Gott sei Dank nicht nur DEC." Dieses Rezept - und wir denken hier nicht nur an DEC-Anwender - wird leider viel zu selten angewandt. Was nicht heißt, daß das so bleiben muß.