Dax-Konzerne entdecken die Cloud

21.05.2010
Von 
Ariane Rüdiger ist freie Autorin und lebt in München.
Während auf Fachkongressen noch heftig über das Für und Wider debattiert wird, setzen viele Großunternehmen längst Cloud-Computing-Dienste ein.

Mit Cloud Computing wollen wir nichts zu tun haben, das ist nur ein Hype, der von einigen Firmen und der Fachpresse geschürt wird. Diese Aussage aus einem Unternehmen, das nicht namentlich zitiert werden möchte, ist nicht mehr die Regel unter Deutschlands im Dax gelisteten Konzernen. Viele von ihnen haben sich bereits intensiv mit dem Konzept beschäftigt, kennen die Vor- und Nachteile der diversen Varianten und nutzen Dienste aus der IT-Wolke. So weit zurück scheint Deutschland gegenüber den USA also nicht zu liegen. Dort werden 15 bis 20 Prozent der Anwendungen in einem überschaubaren Zeitraum in die Cloud wandern, prognostiziert Richard Watson, Analyst für Cloud Computing beim Marktforschungsunternehmen Burton Group, das jetzt zu Gartner gehört. In Deutschland hingegen diskutierten viele Entscheider noch darüber, mit welchen Applikationen man am besten anfangen sollte.

Telekom betreibt interne Cloud

Besonders aufgeschlossen gegenüber der Cloud sind Firmen, die der IT in irgendeiner Form nahestehen – haben sie doch qua Geschäft eine bessere Vorstellung von Chancen und Risiken der neuen Techniken. Ein Beispiel ist die Deutsche Telekom. Hier hat man dem Kind einen anderen Namen gegeben: Dynamic Computing. Betreiber der Dynamic-Computing-Plattform ist die IT-Service-Sparte T-Systems, wo man die sensiblen Firmendaten sicher aufgehoben glaubt. Schon seit 2005 bietet T-Systems "Dynamic Services for SAP" an. Diese werden nach Gigabyte, Speicher und ansonsten nach dem SAP Application Performance Standard (SAPS) abgerechnet. Die Hälfte der T-Systems-Kunden nutzt bereits Cloud-Services für den externen SAP-Betrieb, Zielmarke des Providers sind 80 Prozent.

Die Deutsche Telekom verwendet die Dienste seit 2008, als der Carrier SAP-Systeme mit 20.000 Nutzern und 8 Terabyte Daten in die T-Systems-Wolke verlegte. Schritt für Schritt werden nun alle SAP-Anwendungen, danach Backups und andere Applikationen in die Cloud überführt. "Dynamic Computing ist integraler Bestandteil unserer IT-Strategie. Wir planen, dass in vier Jahren 70 Prozent unserer Anwendungen aus der Telekom-Wolke kommen werden", sagt Steffen Roehn, CIO der Deutschen Telekom.

Lufthansa drückt aufs Tempo

Sehr schnell fährt der Cloud-Zug auch bei Lufthansa Systems, einem Tochterunternehmen der Lufthansa AG. "Wir betreiben Cloud Computing für den Lufthansa-Konzern als geschlossene Benutzergruppe", erklärt Roland Schütz, COO Infrastructure Services bei Lufthansa Systems. Im Web stellt sich die Lösung als "Aviation Workplace" dar. Von dieser Umgebung aus greifen Benutzer auf die Anwendungen in der Cloud zu. Bisher hat die Lufthansa-Tochter rund 300 Web-basierende Anwendungen von insgesamt etwa 900 Applikationen migriert, die weltweit nutzbar sind.

Nun geht der Dienstleister für seinen Hauptkunden Lufthansa einen Schritt weiter: Alle Anwendungen, also auch die nicht Web-basierenden, werden ins Intranet (eBase) verlagert. Dieser Schritt wird mit einer Virtualisierung der Desktops und Server Based Computing kombiniert. "Wir haben eine schwierige Umgebung für dieses Vorhaben", berichtet Schütz. "Es gibt Sonderperipherie an den Endgeräten und Spezialanwendungen auf manchen Stationen, wir müssen den weltweiten Zugriff auch mobil bieten und abhängig vom Zugriffsweg unterschiedliche Sicherheitsmaßnahmen implementieren." Ein Single-Sign-on wurde bereits realisiert – derzeit läuft er über Novell-Technik, parallel wird die Migration auf Microsoft Active Directory vorbereitet. Schrittweise verschwindet auch die alte Telefoninfrastruktur: "Tischtelefone können durch Softphones ersetzt werden", sagt Schütz. Nach dem Rollout im internen Bereich von Lufthansa Systems folgen als Nächstes der Lufthansa-Personalbereich und die Konzernstäbe; im kommenden Jahr werden weitere Konzernbereiche einbezogen.

Siemens verlagert Anwendungen

Bei der Siemens AG setzt man seit 2009 Cloud Computing ein, und zwar derzeit vor allem im Vertrieb. In die Wolke werden in erster Linie Anwendungen verlegt. "Infrastruktur- und Technologiethemen wie Fileservice oder E-Mail kommen in Zukunft", sagt Siemens-CIO Norbert Kleinjohann.

K+S betreibt SAP in der Cloud

Aber auch in anderen Branchen ist Cloud Computing längst nichts Exotisches mehr. Der Kasseler Düngemittelanbieter K+S zum Beispiel hat eine Private Cloud für alle SAP-Geschäftsanwendungen und Microsoft Exchange eingerichtet. Schon 2004 begann man dort mit der Virtualisierung. Als Speicher dient ein Netapp-Cluster, SAP-Services werden über FlexFrame betrieben. Bei FlexFrame handelt es sich um eine auf Blade-Servern basierende IT-Infrastrukturlösung von Fujitsu, die aufgrund weitreichender Skalierungsoptionen vor allem für Enterprise-Anwendungen geeignet ist. Alle übrigen virtualisierbaren RZ-Services stellt K+S über ein VMware-System zur Verfügung. Im SAP-Umfeld nutzt das Unternehmen SAP Adaptive Computing Controller (ACC). Das System dient als Steuerzentrale, die den Anwendungen flexibel und bedarfsorientiert Rechenleistung, Netzwerk- und Speicherkapazität bereitstellt. Benutzer greifen über das SAP-Enterprise-Portal auf die Dienste zu.

BMW bezieht CRM zur Miete

Bei BMW sind Cloud Services seit zwei bis drei Jahren im Einsatz. Der Hersteller nutzt einerseits die SaaS-Angebote von Salesforce.com, andererseits diverse Plattformdienste (PaaS) für Server-Space im Web- und Hochleistungs-Computing. "So können wir skalieren, wenn wir nicht die kritische Masse erreichen, oder Lastspitzen abdecken", erklärt Frank Wienstroth, der bei der BMW Group für Konzernkommunikation und Politik zuständig ist.

VW macht vieles selbst

Eine spezielle Situation herrscht beim Autohersteller Volkswagen. "Aufgrund unserer Größe können wir vieles aus eigener Kraft realisieren", erklärt Stefan Ostrowski, Group Chief Technology Officer im IT-Bereich des Volkswagen-Konzerns: "Unsere Applikationen laufen in unserer ‚ÄöVolkswagen Cloud‚Äô rund um die Uhr. Denn auf sie müssen weltweit mehr als 150 Märkte jederzeit zugreifen können. Das macht uns zu einem Unternehmen, das niemals ruht." Rund 700.000 Anwender inner- und außerhalb des Unternehmens, darunter Zulieferer, Importeure sowie Handels- und Servicepartner, nutzen täglich Anwendungen und Daten der Konzern-IT. Dabei ist es laut Ostrowski für den Anwender unerheblich, wo diese physisch installiert sind. Die unternehmenseigene Cloud ist für den IT-Chef eine Kernkompetenz, die der Volkswagen-Konzern niemals aus der Hand geben werde.

Im Design unterscheidet sich die Volkswagen Cloud von Standard-Clouds. Sie läuft zum Beispiel nicht über das normale Internet, sondern über geschützte virtuelle private Netze (VPN). Dabei nutzt Europas führender Automobilhersteller vor allem Web-Services sowie Standardprodukte zur Virtualisierung. Anwendungen und Daten sollen künftig ähnlich wie die Applikationen von Google betrieben werden: immer verfügbar, unabhängig von einem bestimmten Rechenzentrum. Diese Technologie sei bereits für 43 Kernprozesse im After-Sales-Bereich im Einsatz und arbeite zur vollen Zufriedenheit, berichtet Ostrowski. Schrittweise würden weitere Anwendungen hinzugefügt. Volkswagen steuert konzernweit auch die Auslastung seiner Hochleistungsrechner über die Cloud. Sie teilt automatisch Hardware und Rechenzeit zu, die für komplexe Simulationen benötigt werden. Beispiele hierfür sind virtuelle Crashtests für die Fahrzeugsicherheit, die Abbildung von Tiefziehprozessen im Werkzeugbau oder Berechnungen von Produktionsprogrammen für einzelne Fertigungsstandorte.

"Mehr noch als diese Hardwarezuteilungen sind für den Cloud-Ansatz vor allem Geschäftabläufe von Bedeutung, die der Wertschöpfung dienen", erläutert der CTO. "Diese Anwendungen passen wir maßgeschneidert an unsere Cloud-Technologie an, so dass sie für unsere Anwender weltweit und jederzeit verfügbar sind." Bei der Realisierung von neuen Cloud-Anwendungen haben die Wolfsburger den Nutzen für den Endkunden im Auge. Beispielsweise stellt Volkswagen über die Cloud seinen Werkstattpartnern sämtliche Serviceinformationen weltweit und tagesaktuell zur Verfügung.

Allianz-Konzern bleibt skeptisch

Während also techniklastige Unternehmen den Schritt in die Cloud-Welt recht beherzt angehen, sieht es bei Firmen aus dem Finanzsektor anders aus. Public-Cloud-Anwendungen dürften für sie noch lange nicht in Frage kommen. Und auch den übrigen Cloud-Varianten steht zum Beispiel die Allianz AG eher skeptisch gegenüber.

"Die Allianz ist seit hundert Jahren im Versicherungsgeschäft und arbeitet mit Kundendaten", sagt beispielsweise Tobias Fritsch, Assistant CIO bei der Allianz Deutschland AG. "Vertrauen zum Kunden aufzubauen und es dauerhaft zu bewahren ist eine unserer Kernkompetenzen. Alles, was das Vertrauen in unseren Umgang mit diesen Kundendaten erschüttern könnte, verbietet sich deshalb." Immerhin nutzt das Unternehmen für die Dienstleistungen der Allianz ein Shared Service Center des internen IT-Providers ASIC. Dieser nimmt seinerseits die Dienste des SaaS-Anbieters Salesforce.com in Anspruch.

Doch auch hier verändert sich vieles: In Sachen Lizenz-Management realisiert ASIC für die Allianz mittlerweile eine nutzenbezogene Abrechnung. ASIC ermöglicht die dynamische Zuweisung von Rechenkapazitäten. "Das Problem ist dabei aber die Planungssicherheit", so Fritsch. "Benötigen wir kurzfristig zusätzliche Ressourcen, ist das im Regelfall überproportional teuer." Alle Daten des Versicherers werden aber im Allianz Business System zusammengeführt, das vom internen IT-Personal der Allianz selbst gepflegt wird.

Das Hauptproblem für die Allianz ist laut Fritsch, dass die IT viele und sehr unterschiedliche Kundengruppen ansprechen muss, bei denen teilweise auch kein Bedarf besteht, Rechenleistung dynamisch zu skalieren. Vertreter zum Beispiel benötigten weder IaaS (Infrastructure as a Service) noch SaaS. "Die Ansprüche unserer Anwender werden immer vielfältiger und unterschiedlicher", erläutert der IT-Manager. "Sie driften daher auseinander, der Trend geht zur Individuallösung. Trotzdem befassen wir uns natürlich mit Cloud Computing. Aber aufgrund unserer Größe können wir selbst viele Skaleneffekte heben." Die Cloud müsste daher aus Sicht der Allianz noch deutlich günstiger werden, um in puncto Kosten attraktiv zu sein.

Nutzen und Gefahren der Cloud

Alle Cloud-Anwender schwärmen von den gleichen Nutzeffekten: Kostensenkung durch verbrauchsorientierte Abrechnung, reduzierte Komplexität für die Anwender und erhöhte Flexibilität auch im Kerngeschäft, weil Anforderungen an die IT schneller umgesetzt werden könnten. Hinzu kommen Standardisierung, verringerter Hardwarebedarf und ein besseres IT-Nachfrage-Management durch Preissignale. "Wir haben eine sprunghafte Erhöhung der Produktivität der Mitarbeiter im Rechenzentrum erreicht", sagt beispielsweise Ulrich Lamp, Leiter IT bei K+S.

An diese Vorteile glaubt auch Jakob Rehof, Professor am Lehrstuhl für Softwareengineering an der TU Dortmund und Direktor des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik (FH ISST): "Die Firmen betreiben heute schließlich auch kein eigenes Stromnetz mehr. Das Internet ist jetzt in einem Zustand, in dem sich Versorgungsmodelle realisieren lassen." In einigen Fällen werde Cloud Computing dazu führen, dass die interne IT ganz wegfällt.

Knackpunkt Sicherheit

Doch wo viel Licht ist, ist auch Schatten. Der wichtigste Kritikpunkt ist und bleibt die Sicherheit gerade öffentlicher Cloud-Umgebungen, verbunden mit Bedenken hinsichtlich der Compliance und der Vertragskonstrukte. Letztere sind gerade bei den meist aus dem amerikanischen Raum stammenden Cloud Anbietern nachgerade undurchschaubar, warnt die Experton Group.

Das zweite Thema ist die Wirtschaftlichkeit. Wer erwartet, dass sein Unternehmen durch eine Cloud-Implementierung der Konkurrenz gleich um Längen davonstürmt, irrt. "Es wird lange dauern, bis aus Cloud Computing direkte ökonomische Vorteile der Nutzer gegenüber den Nicht-Nutzern der Technologie resultieren werden", erwartet Analyst Watson. Auch er sieht die größeren Chancen derzeit in der Private Cloud: "Große Unternehmen werden nur das Modell und die Charakteristik des Cloud-Konzepts kopieren und dann Clouds intern oder in losen Partnerschaften realisieren."

Allerdings birgt Cloud Computing aus seiner Sicht noch ein weiteres, oft unterschätztes Risiko: Es forciere einen Trend zum One-Stop-Shopping und damit zur weiteren Konsolidierung der ohnehin immer dünner besiedelten IT-Herstellerlandschaft. Die unteren bis mittleren Ebenen der IT-Architektur der unterschiedlichen Anbieter seien aber mitnichten voll kompatibel. Es könne also durchaus passieren, dass sich Anwender, die in Cloud-Infrastruktur investieren, am Ende genauso eng an einen Hersteller fesseln wie zu Mainframe-Zeiten. Watson: "Das Geschäftsmodell jedes vertikal integrierten Herstellers ist schließlich: Die Kunden sollen am besten alles von mir kaufen, weil es am besten zueinander passt. Wenn sie das erreicht haben, gehen die Preise nach oben." Für Anwender entständen damit Risiken, es sei denn, sie setzen auf Open Source und das Web als Anwendungsplattform. Dort wartet mit Google allerdings schon der nächste Quasi-Monopolist. (wh/jha)