Rasterfahndung

Datenschutzaffäre bei der Bahn weitet sich aus

29.01.2009
Die Datenschutzaffäre bei der Deutschen Bahn hat weit größere Ausmaße als bisher bekannt. Der Konzern hat in den Jahren 2002 und 2003 heimlich 173.000 der damals gut 240.000 Mitarbeiter auf Korruptionsverdacht überprüft.

Das sagte der Bahn- Antikorruptionsbeauftragte Wolfgang Schaupensteiner nach Angaben von Teilnehmern am Mittwoch im Verkehrsausschuss des Bundestages in Berlin. Damit waren fast drei Viertel der Beschäftigten betroffen. Daten wie Wohnadressen, Telefonnummern und Bankverbindungen seien mit jenen von 80.000 Firmen abgeglichen worden, zu denen die Bahn Geschäftsbeziehungen hatte. Bei den 173.000 Überprüfungen seien laut Schaupensteiner 300 Auffälligkeiten entdeckt worden, hieß es aus dem Verkehrsausschuss. In etwa 100 Fällen hätten sich tatsächlich Hinweise auf Korruption ergeben. Von den Führungskräften seien 774 kontrolliert worden sowie etwa 500 Ehepartner. Dabei habe es 12 Treffer - also Verdachtsmomente auf Korruption - gegeben.

Die Bahn stellte fest, das Screening sei rechtlich nicht zu beanstanden, "unabhängig von der Zahl der überprüften Mitarbeiter". "Hieraus einen Spitzel- oder Ausspähskandal wie bei anderen Unternehmen zu konstruieren, ist maßlos übertrieben", sagte Schaupensteiner nach seiner Befragung. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix sagte Teilnehmern zufolge im Ausschuss, die Bahn müsse wegen Verstößen gegen Datenschutzbestimmungen in mindestens zwei Fällen mit Geldbußen von 250.000 Euro rechnen. Die Mitarbeiter seien ohne konkreten Verdacht überprüft und auch im Nachhinein nicht informiert worden. Die Überprüfungen hatten nach Dix' Worten den Charakter einer Rasterfahndung.

SPD, FDP und Grüne zeigten sich bestürzt über die neue Dimension des Falles. Die Bahn habe ihre Mitarbeiter unter einen Generalverdacht gestellt, kritisierten Abgeordnete von SPD und Grünen. Der SPD-Verkehrsexperte Uwe Beckmeyer sagte der dpa, die genannte Zahl an Überprüfungen sei unglaublich. Offensichtlich sei jeder Inlandsmitarbeiter in den Datenabgleich einbezogen worden.

Der Ausschussvorsitzende Klaus Lippold (CDU) sah dagegen keinen Anlass zu Kritik. "Überall, wo es Investitionen gibt, lockt die Gefahr", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung" (Donnerstag). "Und wir haben im Bahnbereich erhebliche Investitionssummen. Das ist eine reine Frage der Verhältnismäßigkeit von Korruptionsvermeidung und dem Umfang, in dem hier gescreent worden ist." Screening nennt man den systematischen Datenabgleich.

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck legte Bahnchef Hartmut Mehdorn den Rücktritt nahe. "Mit ihm sind wir seit langem Kummer gewohnt, mich wundert es immer wieder aufs Neue, mit welcher Beharrlichkeit er an seinem Posten klebt", sagte Beck am Mittwoch im Gespräch mit "Handelsblatt.com".

Der FDP-Abgeordnete Horst Friedrich wies darauf hin, dass es keine Betriebsvereinbarung oder Ähnliches gegeben habe, die als Rechtsgrundlage für eine "solche Rasterfahndung" hätte dienen können. "Der Großteil aller Bahnbeschäftigen hat mit Einkäufen und Auftragsvergaben überhaupt nichts zu tun", sagte Friedrich. Der Verkehrsausschuss des Parlaments will seine Befragung am 11. Februar fortsetzen und dazu auch die Leiter der Konzernrevision und der Konzernsicherheit einladen.

Die Affäre reicht zurück bis zum Sommer 2008. Damals hatte die Bahn eingeräumt, der Berliner Ermittlungsfirma Network Deutschland in den Jahren 1998 bis 2007 in 43 Fällen Aufträge erteilt zu haben. Network stand damals im Mittelpunkt des Bespitzelungsskandals bei der Deutschen Telekom. Recherchen des Magazins "Stern" ergaben vor einer Woche, dass mindestens 1000 Bahn-Führungskräfte von Kontrollen betroffen waren. (dpa/ajf)