Interview

"Das Wintel-Modell bricht zusammen"

28.03.1997

CW: Was ist Ihnen in den gut zwei Monaten in ihrer neuen Position am negativsten aufgefallen? Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Lamberti: Sicher in der Kommunikation nach außen. Hier herrschen große Mißverständnisse. Es müssen Felder neu besetzt werden. Die IT-Branche kann sich nicht darauf zurückziehen, daß der kleinste gemeinsame Nenner Microsoft heißt.

CW: Aber es drängt sich der Eindruck auf, daß sich alle hinter Microsoft zusammenscharen.

Lamberti: Das ist unsinnig und wird zu nichts führen. Um das zu vermitteln, müssen wir aktiver kommunizieren und die wichtigen Felder besetzen.

CW:Zum Beispiel?

Lamberti: Wir wollen den Slogan "let's net together" als Lösungsmodell leben. Ein kleines Beispiel: Vor 14 Tagen haben wir die sogenannte Secure-Enabled-Transaction-(SET)-Technologie, die wir zusammen mit Visa und Mastercard entwickelt haben, beispielhaft in einer Kooperation mit dem Südwestfunk erstmals eingeführt. Ein anderes Beispiel ist der Reiseveranstalter Tiss, der mit dieser Technologie ohne eigenes Vertriebsnetz im Internet agiert. Das sind Beispiele dafür, wie sich durch ein transaktionsorientiertes Internet ganze Geschäftsmodelle verändern. In diesen Zusammenhang gehören auch unsere Networkstation, Smartcards und die Voicetype-Technologie.

CW:Was halten Sie von der Microsoft-Initiative, die Komplexität des PCs zu reduzieren? Dort sieht man den NC natürlich nicht als Alternative zum "Fat Client". Glauben Sie an einen NC-Standard, an dem nicht dauernd gedreht wird?

Lamberti: Die Standarddiskussion bei der Hardware ist relativ unproblematisch. Die Thematik liegt eher auf der Softwareseite. Da haben wir die große Chance, mit Java nicht nur Standards einzuziehen, sondern Klassenbibliotheken zu schaffen, die austauschbar und Cross-kompilierbar sind. In dem Moment, wo diese Sachen stehen, bricht das Microsoft-Intel-Komplexitätsmodell zusammen. Dann bekommen wir im gesamten PC-Bereich ein neues Business-Modell. Außerdem verschwimmen die Grenzen zwischen PC und NC.

CW:Also bekommt der Anwender eine Wahlmöglichkeit ?

Lamberti: Ja, und die Leute verheddern sich nicht mehr in Millionen Lines of Code. Natürlich sind die Bemerkungen, die Microsoft in diesem Zusammenhang macht, von großer Empfindlichkeit geprägt, weil das Wintel-Modell per Definition komplex ist, und Microsoft und Intel vom Drehen dieses großen Rades leben. Vielleicht dauert der Boom für die Produkte dieser Firmen noch eine Zeitlang an, aber die Power, die in dem Hebel aus Java, NC und der Deregulierung der Telecom-Märkte sowie den veränderten Geschäftsmodelle liegt, ist so groß, daß sich der Markt wandeln wird.

CW:Der Gedanke ist frappierend, aber es fehlt noch an allen Ecken und Kanten, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Der NC verlagert die Komplexität in die Infrastruktur, und die ist heute nur begrenzt stabil.

Lamberti: Es gibt verschiedene Entwicklungen, die offensichtlich in eine Richtung laufen. Und obwohl jede noch in den Kinderschuhen steckt, ist die Dynamik nicht aufzuhalten. Es kommt nicht darauf an, ob Java gut oder schlecht ist, ob es mit dem Objektmodell zusammenarbeitet oder nicht. Die Dynamik im gesamten Markt ist es, die Microsoft zu schaffen macht.

CW:Wie wirkt sich die neue Big-Blue-Organisation in global agierende Geschäftsbereiche auf die deutsche IBM aus? Haben Sie als Vorsitzender der Geschäftsführung überhaupt noch Gestaltungsfreiräume?

Lamberti: In den letzten drei Jahren haben wir im Grunde die IBM neu erfunden. Die Umorganisation war notwendig geworden, weil die sehr kurzen Technologiezyklen in einem immer stärker wettbewerbsorientierten Markt stattfinden. In einem solchen Umfeld hätten die klassischen Verhaltensmuster und Kommunikationslinien der IBM zu Unflexibilitäten, hohen Kosten und divergierenden Entwicklungen in den Landesgesellschaften geführt. Dabei ging es nie darum, die nationalen Gesellschaften zu entmachten, sondern darum, wie man die Power der IBM auf die Straße bringt.

CW:Und was bedeutet das für Sie?

Lamberti: Früher hätte ich Lobbying betreiben müssen . Als Repräsentant des zweitgrößten IT-Marktes brauche ich das nicht mehr. Die 30 General-Manager der Geschäftsbereiche fragen mich, was die IBM Deutschland benötigt.