Anwender kalkulieren den GAU im Netz oft nicht ein

Das Vorsorgebewußtsein wächst nur langsam

31.01.1992

Eine Konfiguration, in der PC-Netze zunehmend das Rückgrat der unternehmensweiten DV bilden, ist bei den meisten Anwendern, wenn nicht realisiert, dann zumindest beschlossene Sache - auch wenn sich vielerorts die Auskunftsfreudigkeit darüber noch in Grenzen halt. Sparsamkeit ist offensichtlich Trumpf, wenn es um Fragen des Supports und der Wartung neuer DV-Strukturen geht. Verleitet von einem Markt, in dem sich Anbieter mit Dumping-Preisen zum Teil gegenseitig unterbieten, greifen die DV-Planer bei der Installation von Netzwerken oft noch zu den vermeintlich billigeren Lösungen. Ausgespart bleibt dann meist eine Vereinbarung über koordinierte Pannenhilfe für den Fall, daß im Netz nichts mehr geht. Weil gleichzeitig immer häufiger auch unternehmenskritische Applikationen auf PC-Netze verlagert werden, herrscht bei vielen Anwendern am Tag X deshalb Alarmstufe eins. Die jeweilige Netzadministration ist in der Regel sehr schnell mit ihrem Latein am Ende. Kommt der herbeigerufene Händler ins Haus, ist guter Rat nicht nur teuer, sondern strapaziert meist auch die Nerven der Betroffenen - denn ohne begleitendes Netz-Management gestaltet sich die Fehlersuche oft langwierig. Mit dem Schaden, der dabei entstehen kann, wächst, so scheint es, langsam auch das Vorsorgebewußtsein in den Unternehmen. Zunehmend beziehen Downsizer Störfälle im Netz in ihre Kalkulation mit ein und greifen dabei auf vielfältige Formen der Absicherung zurück.

In erster Linie eine Kosten- frage ist Sicherheit im Netz; zum Beispiel für die Münchner Kapitalanlage AG. Dort sind rund 50 DOS-Rechner über Netware 3.11 auf Ethernet vernetzt und verfügen via Gateway über eine Host-Anbindung zum Siemens-Großrechner des Dortmunder Mutterhauses, der Continentale Krankenversicherungsgesellschaft. Nach Angaben von DV-Leiter Peter Dosch lief das Netz bisher anstandslos Probleme gab es nur bei der erst kürzlich vorgenommenen Umstellung von Netware 286 auf 3.11.

Für die Zukunft plant sein Haus ein Sicherheitskonzept mit einem zusätzlichen Server, um im Ernstfall Daten "restoren" zu können, sowie den Einsatz von Hub-Technologie und geeigneter Management-Software. Die Fäden dieses neuen Konzeptes laufen beim PC-Benutzerservice zusammen, der aus zwei Mitarbeitern besteht, in deren Schulung, so Dosch, "einiges investiert werde". Nicht investieren will die Münchner Wertpapierfonds-Gesellschaft derzeit hingegen in eine vertragliche Absicherung von Serviceleistungen, "weil zu teuer und nicht rentabel". "Bisher sind die auch ohne Wartungsvertrag gekommen", weist Dosch auf die Flexibilität seines Fachhändlers hin, mit der er auch weiterhin kalkuliert, wenn der eigene Benutzerservice nicht mehr weiter weiß.

Ähnlich argumentiert auch Paul Wullers, Leiter Endanwendersysteme bei der Neckermann Versand AG. Für ihn sind die konzerneigenen, größtenteils noch als Insellösungen konzipierten Novell-Netze "im Prinzip Selbstläufer", die keine externe Hilfe bei Wartung und Support benötigen. Gleichzeitig gilt Wullers zufolge für den gesamten Konzernverbund, zu dem auch der Reiseveranstalter NUR und der Warenhausriese Karstadt gehören, "daß wir im Bereich der PC-Netze nur solche Projekte in Angriff nehmen, die wir auch selber beherrschen können und die dann auch in der Betriebsphase relativ stabil laufen und nicht kritisch im unternehmerischen Sinne sind".

Stimmen dieser Art scheinen Eckhard Klockhaus zu bestätigen, der jedem Netzanwender unterstellt, "Administrationsaufgaben wahrnehmen zu können". Für den Vorsitzenden der LAN-Man-User-Group und Produkt Manager der Düsseldorfer Microware GmbH ist dies vor allem eine Frage der besser gewordenen Transparenz der Netz-Management-Tools und dokumentiert sich unter anderem auch in der deutlich gestiegenen Qualität der Anfragen beim User-Support über die Fachhandelsschiene. Der Düsseldorfer LAN-Spezialist zieht das Fazit, "daß PC-Netze in der Bedienung einfacher geworden sind und in Unternehmen nichts Außergewöhnliches mehr darstellen".

Nicht ganz so einfach sieht das Jean-Pierre Lucaire von der User-Group LAN Manager Forum e.V., der vor allem auf den Unterschied zwischen Netz-Management und Administration hinweist. Seiner Ansicht nach existiert bei vielen Anwendern gar kein Management im eigentlichen Sinne, vor allem auch nicht das Bewußtsein, daß ein solches nötig ist. Netz-Management ist für ihn zunächst auch Definitionssache und endet nicht dort, "wo ich vor einem Monitor sitze und schaue, wer sich ein- und ausloggt". Professionelle Netzsteuerung heißt für Lucaire vielmehr, das Netz nach der Installation zunächst wochenlang zu analysieren und zu verifizieren, "wie viele Pakete transportiert, wie viele Brücken belastet und wie viele Host-Verbindungen gegebenenfalls in welcher Zeit aufgebaut werden."

Anhand einer solchen Analyse kann dann, wie Lucaire meint, durch präventive Maßnahmen beispielsweise in Form zusätzlicher Bridges und Router das Netz an hochfrequentierten Stellen unstrukturiert und entlastet werden. Dies geht jedoch nur, so der Anwender-Sprecher, durch eine aufwendige Analyse vor Ort mit entsprechendem Aufwand an Manpower und technischem Equipment. Inhouse-Lösungen kommen dafür in der Regel nicht in Frage und führen auf den Holzweg, weil in den Unternehmen größtenteils Netz-Management noch mit Netzadministration verwechselt wird.

Hier differenziert freilich auch Klockhaus, der das Netz-Management bei den Anwendern unterschiedlich aufgehängt und -abhängig von der Größe des Unternehmens - in der Regel in eigenen Wartungsgruppen oder in der zentralen DV beheimatet sieht. Grundsätzlich vertritt auch er die Meinung, "man sollte nicht jeden Endkunden zum Systemingenieur machen". Für ihn ist marktübergreifend ein "abgestuftes Know-how vom Endkunden über den Fachhändler und Distributor bis hin zum Hersteller" erkennbar, wobei der Kenntnisstand in Großunternehmen durchaus ausreiche, um ein Netz zu administrieren und bei auftretenden Fehlern lauffähig zu halten.

Was aber, wenn das Netz am Boden liegt und die Netzadministratoren, sofern vorhanden, kapitulieren müssen? Erster Ansprechpartner ist dann fast immer der Händler, bei dem man gekauft hat. Hier zeigt sich sehr schnell, daß, wie Markus Wartha, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Netware Benutzergruppe e. V. (Denet) in Augsburg, konstatiert, "die Qualität der Händler schillernd sein kann". Besitzt der Händler nur geringe Kompetenz, ist es für den Endanwender schwer, geeigneten Support zu bekommen. Ein Wechsel des Händlers ist laut Wartha meistens auch problematisch, ebenso der Durchgriff auf das Wissen der Distributoren und Hersteller.

Für den Netware-User-Anwalt ist diese Konstellation typisch für einen Markt, der lange Zeit von Grauimporteuren und Billigangeboten in Form des "Box Movings" geprägt wurde und ein sich letztlich nicht immer auszahlendes Preisbewußtsein bei den Anwendern erzeugt hat. Dies ändere sich zwar langsam, wie Wartha in seiner täglichen Praxis feststellt, weil angesichts der komplexer werdenden Netzapplikationen mehr und mehr "qualitativ hochwertige Beratung, Service und Schulungen gefragt sind" - nur kosten darf es nach wie vor nicht viel.

Die Anwender stünden hier einerseits vor dem Problem, daß sich immer mehr Lieferanten aus dem Handelsgeschäft zurückzögen und in den Dienstleistungssektor wechseln wollen. In der Umstellungsphase sei es für solche Häuser aber schwierig, entsprechende Kapazitäten insbesondere im Personalbereich zur Verfügung zu stellen, vor allem, weil es sich schlichtweg - und hier schließt sich laut Wartha der Teufelskreis - nicht rechnet. Die Folge: Support, wie er eigentlich per definitionem geleistet werden müßte, als "externe DV-Abteilung des Kunden", finde in der Regel nicht statt - zumindest solange der Anwender, wie Wartha bilanziert, nicht bereit ist einzusehen, daß auch ein PC-Netz wie die gesamte DV ein Endprodukt ist, dessen Instandhaltung - analog zum Kundendienst des Autos - Geld kostet.

In die gleiche Kerbe haut LAN-Manager-Spezialist Lucaire. Der Product Manager beim Münchner Systemhaus Ceplus weiß ein Lied von brisanten "Feuerwehreinsätzen" beim Kunden zu singen.

Die meisten Anwender interessiert "bei der Installation eines PC-Netzes in erster Linie der Preis". Mit einem Breakdown kommt dann meistens auch das böse Erwachen: "Wir sagen dem Anwender, wie wir vorgehen und was die Stunde beziehungsweise der Mann kostet." Viele betonen dann, so Lucaire, "das ist mir zu teuer und telefonieren erst mal alle Systemhäuser durch, mit der Frage, wer das Problem am günstigsten lösen kann".

Daß die Suche letztlich wieder beim Händler endet, der geliefert hat, ist naheliegend. Und dann rächt sich meistens auch die Sparsamkeit der Anwender, die angesichts der Tatsache, daß das Netz lange Zeit ohne Probleme lief, fragten, wozu brauche ich Support, Netz-Management oder einen Wartungsvertrag? Nach wie vor unterschätzen die DV-Planer nach Ansicht Lucaires zum Beispiel die Tatsache, daß immer mehr PCs, Drucker und Gateways zu Lasten des Netzservers installiert werden. Fällt dieser dann aus, darf das ganze nur wenig kosten und muß so schnell wie möglich behoben werden, weil "die meisten nicht bedenken, daß oft die ganze Wirtschaftlichkeit einer Firma von einer Kiste abhängt". Sein trockenes Fazit: "Erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, können Sie mit den Anwendern über Support und Wartung reden."

Manche Anwender vertrauen allen Warnungen zum Trotz auf ihr Glück. DV-Leiter Dosch zum Beispiel ist ein Vollwartungsvertrag, der ihn nach eigenen Angaben "30 000 bis 50 000 Mark im Jahr kosten würde", derzeit noch zu teuer - erst recht die komplette externe Vergabe des Netz-Managements. Auch bei der Sparkassen-Informatik-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH hat man laut Aribert Herd Fachbereichsleiter Benutzerservice, bisher die Dinge selbst in die Hand genommen. Das Mainzer Rechenzentrum, das landesweit alle Sparkassen bedient, versucht allerdings erst seit kurzer Zeit, sich von seiner Großrechner-Lastigkeit zu befreien und ist im Aufbau eines Token-Ring-PC-Netzes mit rund 60 OS/2-Endgeräten begriffen.

Wenn das Netz steht, werden die Pfälzer allerdings laut Herd "zumindest für die Netzhardware einen Wartungsvertrag abschließen, der eine gewisse Reaktionszeit beinhaltet". Alles andere, sagt der Netzkoordinator, "werden wir weiterhin selbst lösen". Zweigleisig will auch Herds Kollege Wullers bei Neckermann fahren. Das "Problem-Shooting bei technischen Defekten im Netz" bleibt laut Wullers in jedem Fall weiterhin Aufgabe des eigenen "User-Help-Desks", einer konzernweiten Rechnerleitstelle, die auch den Großrechnerbereich supported.

Ab 1993 plant jedoch auch der Neckermann-Karstadt-Konzern die zunehmende Verlagerung des operationalen Tagesgeschäfts auf PC-Netze. Dort wird man sich dann laut Wullers durch entsprechende Stand-by-Verträge mit den örtlichen Händlern absichern, zumindest was die Bereiche mit unternehmenskritischen Applikationen angeht. Hier hat bei Neckermann, wie der DV-Verantwortliche betont, die Qualität des Supports absoluten Vorrang vor den Kosten, denn "wo es im geschäftlichen Sinne ernst wird, müssen wir Outsourcing betreiben".

Daß es nicht in jedem Fall ein Full-Service-Wartungsvertrag sein muß, gibt indes Klockhaus zu bedenken und plädiert für individuell zugeschnittene Lösungen. Sein Haus bewältigt rund 50 Prozent der Anfragen, die von den Händlern aus dem Kundenkontakt gefiltert und gebündelt weitergegeben werden über die telefonische Hotline. Relativ einfache Netztopologien erfordern zudem, so Klockhaus, nicht unbedingt einen Wartungsvertrag. In den meisten Fällen sei hier eine saubere und nachvollziehbare Dokumentation bei der Installation ausreichender Garant für eine schnelle und erfolgreiche Fehlersuche und durch den eigenen Benutzerservice sowie dem Händler-Support nach Aufwand eine ausreichende Sicherheit gewährleistet.

Klockhaus sieht darüber hinaus eine erhöhte Inanspruchnahme bei Support-Instrumenten wie der Ferndiagnose. Rund 80 Prozent aller Netzabstürze können beispielsweise nach Angaben des Microware-Managers über das Einwählen via Modem ins Netz behoben werden - für ihn gleichzeitig ein Beleg dafür daß "der Bedarf, mit dem Fachhandel zu kommunizieren, auch per Datenkommunikation deutlich steigt". Netze sind für ihn generell sicherer geworden, und zwar sowohl durch verbesserte Betriebssysteme und Management-Software als auch durch neue Verkabelungsstrukturen wie Ethernet.

Bleiben die Netzadministratoren, der PC-Benutzerservice oder wie immer der entsprechende Servicebereich in den Unternehmen bezeichnet wird. Als Schnittstelle zum Händler - gefangen in der Zwickmühle zwischen Budgetzwängen und steigender Komplexität der Strukturen, die sie zu verwalten und zu betreuen haben - wird deren Aufgabe in Zukunft sicherlich nicht leichter. Peter Dosch von der Münchner Kapitalanlage AG will seine entsprechenden Spezialisten permanent unter den Aspekten Sicherheit, Software, Mitarbeiterinformation und Anwenderschulung durch Fort- und Weiterbildung auf dem laufenden halten, weil, wie er für seinen Verantwortungsbereich ausgemacht hat, "mit dem Angebot an die PC-Benutzer gleichzeitig auch die Anforderungen an deren Betreuung steigen".

Auch Verkäufer Klockhaus wünscht sich kompetente Gesprächspartner beim Endkunden, schon alleine aus dem Grund, weil die PCs mit immer mehr Verantwortung innerhalb der Unternehmens-DV und Kommunikation ausgestattet werden. Daher sei es heute nicht mehr zu verantworten, "daß sich einer ins PC-Netz hineinbastelt".