Viele Manager verstehen nichts von Innovationen

Das riskante Spiel mit dem Outsourcing

02.07.2004
Das Auslagern von Wissen und Know-how in andere Länder wird die wirtschaftliche Krise hierzulande verschärfen. Bald kennt kein Mitarbeiter mehr die Prozesse im eigenen Unternehmen. Viele deutsche Manager sind stark im operativen Geschäft, doch es fehlt an Visionen. Von Arno Rolf*

Warum, so fragt man sich, wissen Manager über Outsourcing bestens Bescheid, sind aber bei technischen oder sozialen Innovationen eher fantasielos?

Nehmen wir eine im Management verbreitete Geiz-ist-geil-Mode: das Auslagern von Arbeiten in Billiglohnländer. Es sind ja mittlerweile nicht nur einfache Fließbandarbeiten. Siemens, Deutsche Bank, Daimler-Chrysler, SAP wollen in nennenswertem Umfang gut bezahlte Jobs in Forschung und Entwicklung nach Polen, Tschechien, China oder Indien verlagern.

Der Mythos von den Kernkompetenzen

Die häufig vom Management zur Beruhigung angekündigte Vorgehensweise, beim Outsourcing des Wissens nicht die Kernkompetenzen auszulagern, also die Kompetenzen, die Werte generieren, schwer imitierbar sind und das besondere Know-how der Firma und damit einer Volkswirtschaft ausmachen, ist ein riskantes Spiel. Erstens kann die Beteuerung nicht stimmen, wenn ganze Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ausgelagert werden. Und zweitens sind Kernkompetenzen nur schwer zu fassen und hoch dynamisch; sie entwickeln sich permanent weiter. Oft werden sie erst im Nachhinein, im Erfolgsfall sichtbar. Das scheinbar beruhigende Konzept der Kernkompetenzen zählt zu den unwägbarsten Mythen der Management-Literatur. Es ist nicht nur nebulös, sondern eine hochgradig riskante Illusion.

Erfahrungsberichte zeigen, dass Offshore-Projekt häufig nur unzureichend geplant werden. Zuweilen kann man sich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass Tageszeitungen mal wieder ein Thema gefunden haben, es aufblasen und Managern suggerieren, sie würden einen wichtigen Zug verpassen. Dabei wird der Blick oft allein auf schnelle Einsparungen durch geringere Lohnkosten geworfen. Der Verlust an wichtigem Know-how oder Prozessqualität im eigenen Unternehmen durch zusätzliche Kommunikations- und Anlernarbeiten wird übersehen. Erst viel später kommt zum Vorschein, dass man sein Business und seine Prozesse nicht mehr beherrscht. Man hat niemanden mehr, der sich noch auskennt.

Volkswirtschaftlich wird das Outsourcing des Wissens dann problematisch, wenn ganze Wissenskomplexe wie Forschungseinrichtungen verschwinden und nicht mehr weiterentwickelt werden.

Berücksichtigt man zugleich die Übernahmeschlachten großer Unternehmen - Beispiel Aventis - und die damit einhergehende Konzentration von Forschungsbereichen sowie den Weggang deutscher Forscher in die USA, so wird eines deutlich: Wir sind dabei, die Forschungsinfrastruktur an wenigen Standorten in Europa zu zentralisieren beziehungsweise in den Osten, nach Polen, Indien oder China zu verlagern und die ganze Intelligenz in den Westen, an amerikanische Universitäten, zu verschenken. So wird der Nährboden für das Wachstum von zukünftigen Kernkompetenzen woanders, nur nicht in Deutschland gelegt. Zynisch könnte man daraus schlussfolgern, dass wir uns so auch das Geld für Schulen und Universitäten zukünftig sparen können. Alles in allem ist das der sicherste und schnellste Weg in den ökonomischen Abgrund.

Fachwissen steht zu stark im Vordergrund

Warum ist die Faszination für Abbau und Outsourcing beim deutschen Management so viel stärker ausgebildet als Wille und Kompetenz, technische und soziale Innovationen voranzubringen? Warum haben Forschungslabors in Deutschland Zukunftstechnologien wie Fax, MP3 oder Flüssigkristallbildschirme entwickelt, die andernorts zu innovativen Produkten umgesetzt wurden? Warum erleben zwei deutsche Weltkonzerne mit ihrer Maut-Innovation ein solch unglaubliches Desaster?

Dem Management, oft besetzt mit studierten Betriebswirten und Ingenieuren, wird man die Fachkenntnisse nicht absprechen können.

Vielleicht liegt aber dennoch etwas mit der Ausbildung unserer Eliten im Argen. Reicht es vielleicht nicht, Betriebswirte allein in den "Kernkompetenzen" Rechnungswesen, Controlling, Marketing, Personalorganisation etc. auszubilden? Innovationen werden sie so nicht voranbringen. Ein exemplarischer Blick in Günter Wöhes Standardwerk "Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre" in seiner 21. Auflage zeigt, dass auf zwei von 1200 Seiten das Wort Innovationen auftaucht, und zwar im Zusammenhang mit "Innovation bei Anleihen" beziehungsweise "innovativen Finanzierungsinstrumenten". Alle anderen Seiten sind dem Effizienzregime von Betrieben gewidmet.

An deutschen Unis geht es, nicht erst seit der Umstellung auf Bachelor und Master, um die Umsetzung des berufsqualifizierenden Studiums. Die Interpretation, wie dies auszusehen hat, ist - von Betriebswirten über Ingenieure und Informatiker bis zu Juristen - eindeutig: handwerkliches und methodisches Fachwissen, seit neuestem etwas garniert mit Softskills wie Kommunikations- und Teamfähigkeit.

Urteilsvermögen wird nicht geschult

An amerikanischen Eliteuniversitäten wie Stanford oder Yale, übrigens auch an der privaten Uni Witten-Herdecke, finden wir das Kontrastprogramm: Dort wird der ganzheitlichen Bildung mindestens ebenso viel Raum gegeben wie dem Fachwissen. Da hört der Betriebswirt Philosophievorlesungen, und der Informatiker erfährt etwa, was Globalisierung mit Informatisierung zu tun hat. In den Augen der hiesigen Fachwissenschaften ist dies eher nutzloses, im besten Fall privates Wissen. Bildung, Weltverstehen und Orientierungswissen zählen in deutschen Studiengängen der Informatik oder Betriebswirtschaftslehre nicht zu einem berufsqualifizierenden Studium. In Stanford und Yale geht es dagegen auch um die ganz traditionelle Bildung, um die Schulung von Denk- und Urteilsvermögen, die Generierung von Neugier und um Mut und Fähigkeit, Fachgrenzen zu überschreiten. Sie wird als wichtig betrachtet, um Potenziale für Innovationen auszubilden, alte Pfade zu verlassen und Neues zu entwickeln. Ganz nebenbei: Bildung ist Persönlichkeitsentwicklung, sie hat ihren eigenen Sinn und ihren eigenen Wert, jenseits aller Nützlichkeit im Arbeitsleben. (hk)

*Dr. Arno Rolf ist Professor an der Universität Hamburg im Fachbereich Informatik.