Interview mit Brigitte Winkler

Das Leid der Mitarbeiter bei Fusionen

24.05.2002
MÜNCHEN - Fusionen haben politische, emotionale und psychologische Auswirkungen im Unternehmen. Mit Brigitte Winkler, Psychologin und selbständige Beraterin für Unternehmensentwicklung und Management-Diagnostik, sprach CW-Mitarbeiterin Bettina Wirth über die Tücken eines Firmenzusammenschlusses.

CW: Es gibt viele kluge Bücher über Fusionen. Warum scheitert dennoch mehr als die Hälfte aller Firmenzusammenschlüsse?

Winkler: Ein Merger ist ein komplexer Vorgang, in dem viele Dinge eine Eigendynamik bekommen. Die Unternehmen müssen Kunden, Mitarbeiter und eventuelle Partner im Griff haben und dabei in der Lage sein, schnell die wesentlichen Entscheidungen zu treffen. Die Doppelbelastung, das Geschäftsziel zu verfolgen und gleichzeitig eine neue Organisation zu formieren, ist sehr schwer zu bewältigen.

CW: Wie wirken sich die Schwierigkeiten auf die Beschäftigten aus?

Winkler: Die Mitarbeiter warten erst einmal ab. Oft sind sie in ihrem Handlungsspielraum gebremst und zeigen weniger Initiative. Im mittleren Management verhält es sich ähnlich. Die Betroffenen fragen sich, ob ihre Vorschläge noch erwünscht sind. Sie zweifeln, ob sie über die nötigen Informationen verfügen, um Einfluss zu nehmen.

CW: Womit haben die Top-Manager zu kämpfen?

Winkler: Auf der oberen Führungsebene lastet die Verantwortung, diese wichtigen Prozesse in Gang zu setzen. Da so viele Abläufe angestoßen werden müssen, die normalerweise an die unterschiedlichen Berichtsebenen delegiert sind, kann es zu Unübersichtlichkeit und Überforderungen kommen.

CW: Wie wird eine Fusion idealerweise vorbereitet?

Winkler: Man muss ein gut geplantes Integrations-Management aufsetzen. Dazu gehört, die Verantwortlichen zu suchen, die die neue Architektur gestalten. Es müssen Projektteams ins Leben gerufen werden, deren Koordinator weiß, was bis wann funktionieren soll. Die Mitarbeiter müssen über die wichtigsten Aktivitäten und Meilensteine informiert sein: Wie ist beim Aufbau der neuen Organisation vorzugehen? Wie werden die neuen Stellen besetzt? Was ändert sich bei Gehalt, Sozialleistungen, Arbeitsplätzen? Diese Fragen müssen schnell und kompetent geklärt werden. Das ist schwierig, da viele unterschiedliche Interessengruppen existieren, zum Beispiel das Management, der Betriebsrat oder die Personalabteilungen. Alle müssen gemeinsam zu einer Lösung kommen.

CW: Wie lassen sich einstige Konkurrenten auf eine Linie einschwören?

Winkler: Wichtig ist vor allem, die wirtschaftlichen Gründe für die Fusion schnell an die Mitarbeiter, aber auch an die Außenwelt zu kommunizieren, damit sie die Entscheidung nachvollziehen können.

CW: In der Unternehmens-IT ist nach einer Fusion vieles doppelt vorhanden, von der Kommunikationsplattform bis hin zum Chief Information Officer. Oft sind Entscheidungen für oder gegen Technologien und Personen zu fällen. Wie lassen sich hier Konflikte vermeiden?

Winkler: Am Anfang steht die Entscheidung für ein bestimmtes System. Fehlen etwa den Mitarbeitern eines Fusionspartners Kompetenzen, müssen sie die Möglichkeit bekommen, sie zu erwerben. Durch Übergangsphasen, in denen das alte Know-how noch gebraucht und gleichzeitig neue Kompetenz aufgebaut wird, kann das persönliche Frustrationserlebnis einigermaßen begrenzt werden. Ganz abwenden lässt es sich nicht, denn die Mitarbeiter haben sich über Jahre an ein bestimmtes IT-System gewöhnt und sich mit ihm identifiziert.

CW: Fusionen führen in der Regel zu einer Kündigungswelle. Gibt es Untersuchungen darüber, wer zuerst die Koffer packt?

Winkler: Forschungen zeigen, dass jene eher das Unternehmen verlassen, deren Firma vom Machtverhältnis in Vorstand oder Geschäftsführung in der Verliererposition ist. Sie erwarten realistischerweise, dass die Stellenbesetzungen nicht fair ablaufen, sondern die "Gewinner" sich ihre eigenen Leute holen.

CW: Die "Verlierer" sind nicht automatisch die schlechteren Arbeitskräfte. Gibt es Rezepte, um die Guten zu halten?

Winkler: Am besten erhalten Leute, die nicht gehen sollen, schnell wieder verantwortungsvolle Positionen. Wenn Stellenbesetzungen zu langsam vor sich gehen, weil die Strukturen noch nicht klar sind, kann man die guten Leute in Post-Merger-Projekte berufen, in denen sie Leitungsfunktionen übernehmen. Hauptsache, die High Potentials spüren, dass auch das neue Unternehmen an ihnen interessiert ist.

CW: Welche Mitarbeiterebene ist bei einer Fusion am härtesten betroffen?

Winkler: Jede Ebene des Unternehmens ist auf ihre Weise betroffen. Das Top-Management steckt in der schwierigsten Lage, weil jede Maßnahme zahllose Folgeentscheidungen auf anderen Ebenen nach sich zieht. Außerdem müssen sich Führungskräfte teilweise unangenehmen Kommunikationssituationen stellen. Sie müssen vor Investoren, Analysten, dem Betriebsrat und den Mitarbeitern über ihre Vorhaben Rechenschaft ablegen. Deshalb stehen sie im Brennpunkt der Kritik.

CW: Die Manager der mittleren Ebene sind aber auch gefordert?

Winkler: Die haben es schwer, weil sie in einer Sandwich-Position stecken: Sie haben einerseits die Aufgabe, ihre Mitarbeiter bei der Stange zu halten und das Tagesgeschäft aufrecht zu erhalten. Dabei müssen sie Fragen zu Entscheidungen beantworten, die sie selbst nicht nachvollziehen können, weil sie häufig schlecht informiert werden. Andererseits erwartet das Top-Management von ihnen, dass sie den Merger mittragen, also zusätzlich zum Tagesgeschäft Projektaufgaben übernehmen.

CW: Was passiert mit den Mitarbeitern?

Winkler: Der Mitarbeiter leidet, weil er von gewohnten Aufgaben, Abläufen und Strukturen Abschied nehmen muss. Er leidet, weil sich das Team zerschlägt und er oft als Letzter erfährt, wie es weiter geht.

CW: Welchen Stellenwert hat die Kommunikation in Fusionsprozessen?

Winkler: Nur wer informiert ist, kann auch klug handeln. Also muss die Unternehmensleitung dafür sorgen, dass auch der letzte Mitarbeiter Bescheid weiß. Sonst kann Folgendes passieren: Der Kunde fragt beim Mitarbeiter nach, was los ist. Reagiert der Mitarbeiter skeptisch in Bezug auf das Fusionsvorhaben, verliert auch der Kunde das Vertrauen in das Unternehmen.

CW: Wenn ein Mitarbeiter zwischen Bleiben oder Gehen schwankt, was sollte er bedenken?

Winkler: Wenn der Traumjob auf ihn wartet, sollte er gehen. Aber derzeit ist kein Unternehmen vor Fusionitis gefeit. Selbst wenn er den Arbeitgeber wechselt, kann ihm dasselbe Thema nächstes Jahr ins Haus stehen. Manchmal ist es besser, dort zu bleiben, wo man auf ein Netzwerk zurückgreifen kann und wo die geleistete Arbeit geschätzt wird. Die Anstrengung, bei einer anderen Firma neue Kollegen kennen lernen zu müssen und neue Aufgaben zu lernen, ist gewaltig. Viele unterschätzen den Aufwand aus ihrem aktuellen Frust heraus.

CW: Wie lange brauchen Mitarbeiter, um sich an die neue Situation zu gewöhnen?

Winkler: Ein bis zwei Jahre muss man dem Unternehmen schon geben, bis sich alle Prozesse eingespielt haben. Dann wird auch der Konkurrenzkampf schwächer. Teams konnten sich bilden, neue Spielregeln sind entstanden.

Das Buch zum Thema

Ausführliche Tipps im Umgang mit Firmenzusammenschlüssen erteilen Brigitte Winkler und Stefan Dörr in ihrem Ratgeber "Fusionen überleben. Strategien für Manager." Erschienen 2001 im Hanser Verlag München/Wien. 340 Seiten, 39,90 Euro. ISBN: 3-446-21487-9.