Informations- und Kommunikationstechnik in Einklang mit der Medizin

Das Krankenhaus der Zukunft ist technisch bereits realisierbar

14.06.1991

Modernste Computertechnologie macht auch vor Krankenhäusern und Arztpraxen nicht halt. So ist schon heute die multimediale Diagnose- Erstellung und -Verwertung technisch möglich. Einer schnellen Realisierung stehen allerdings unter anderem noch die mangelnde DV-Ausstattung in Arztpraxen, die Vorschriften des Gesundheitswesens sowie die Datenschutz-Gesetze im Weg.

"Sie müssen mal kurz ins Krankenhaus", sagt der Hausarzt und reicht Egon Meier eine Diskette mit seinen Patientendaten sowie eine optische Speicherplatte, auf der EKGs, Röntgenaufnahmen und die Computertomographie gespeichert sind. Die Dame in der Patientenaufnahme des Krankenhauses steckt beide Speichermedien in die Laufwerke ihrer Arbeitsplatz-Terminals, läßt die Informationen in das Krankenhaus-Infosystem übertragen und gibt Meier die Speichermedien zurück. Schon erscheint auf dem Bildschirm des Arbeitsplatz-Terminals die Nachricht: Egon Meier, 3. Stock, Zimmer 311, Medikation täglich morgens 10 Milliliter Slublat, erster Arztbesuch 14 Uhr.

Abrechnung per Diskette

Als Egon Meier Zimmer 311 betritt, wartet bereits der Pfleger auf ihn, der über seinen Bildschirm erfahren hat, daß Meier wegen seines Magenleidens Diätkost benötigt und deshalb mit ihm das Mittagessen besprechen will. Pünktlich um 14 Uhr kommt die Stationsärztin nebst Gefolge. Gemeinsam betrachtet man auf dem Krankenbett-Informations-Farbmonitor die Daten und Aufnahmen von Egon Meier. Zwischendurch schaltet die Stationsärztin mehrmals die Projektion auf den Bildschirm des Chefarztes, um mit ihm per Bildtelefon die Therapie und den Operationstermin abzustimmen. Als Egon Meier nach erfolgreicher Operation und Behandlung das Krankenhaus verläßt, gibt man ihm eine weitere Diskette mit: die Abrechung für die Krankenversicherung, denn Egon Meier ist Privatpatient.

Ein solches Szenario ist nicht nur denkbar, sondern wäre auch rein technisch schon heute machbar. Doch der Realisierung stehen einige Handikaps im Wege: erstens die mangelnde Ausstattung mit moderner Informations- und Kommunikations-(IuK-) Technik in den Praxen der niedergelassenen Ärzte, zweitens die Inkompatibilität der in den Krankenhäusern installierten DV-Systeme, drittens Vorschriften des Gesundheitswesens und die Datenschutz-Gesetze.

Wichtige Daten auf speziellen Chip-Karten

Es muß aber nicht unbedingt eine Diskette sein. In Frankreich läuft derzeit ein Versuchsprojekt mit Chip-Karten beziehungsweise Smartcards, die im Scheckkarte-Format alle wichtigen Daten (Blutgruppe, Allergien) jedes Patienten enthalten. Der Vorteil dieser Karten ist, daß die darauf gespeicherten Informationen mit relativ preiswerten Lesegeräten in jedes Computersystem einlesbar sind. Allerdings gibt es auch da wieder ein Problem: Solange die Aufzeichnung der Daten beispielsweise hinsichtlich ihrer Darstellung nicht genormt ist ähnlich wie bei Edifact für den Datenaustausch zwischen Handel und Industrie -, müßte im Prinzip jedes Krankenhaus seine eigene "Chip-Karte" ausgeben. Anders ausgedruckt: Hat jemand einen Unfall und seine Chip-Karte dabei, müßte er in ein ganz bestimmtes Krankenhaus eingeliefert werden, damit ihm seine Klinik-Card einen Vorteil bringt.

Krankenhaus-Chip-Card als Verbindungsglied

Trotz dieser Nutzungsbarrieren hält Horst Günther, Vertriebsleiter Gesundheitswesen bei der zur Bosch-Gruppe gehörenden Telenorma, Scheckkarten-ähnliche Informationsträger bereits jetzt für ein gutes Sachmittel im Rahmen der Informationstechnik im Krankenhaus. Dabei geht es allerdings auch um die Integration der IuK-Technik in Kliniken. Denn das Krankenhaus-Management-Systems (KMS) der Telenorma hat zwar die informationstechnische Integration aller Bereiche im Krankenhaus zum Ziel - von der stationären und ambulanten Patientenverwaltung und -abrechnung sowie der Bereitstellungsorganisation über die medizinischen und pflegerischen Abteilungen und Funktionen bis hin zur Personal- und Einsatzplanung sowie dem Kosten- und Leistungs-Controlling. Es ist aber auch offen für bestehende Anwendungen, etwa für die Verbindung von Anwendungsinseln, etwa in der Verwaltung und im medizinischem Bereich.

Ein erstes Hilfsmittel zur Verbindung solcher Inseln könnte eine elektronisch lesbare Krankenhauskarte sein. Daß diese nicht nur Zeit spart, sondern auch mehr Sicherheit für die Patienten bringt, weil die in der Karte gespeicherten Daten nicht mehrmals manuell geschrieben und übertragen werden müssen, leuchtet ein.

Ebenso einleuchtend ist, daß durch einen solchen Informationsträger der Patient im Mittelpunkt, steht. Darauf basiert auch das gesamte KMS von Telenorma, das wiederum eine Komponente des Medcom-Konzeptes der Bosch-Gruppe ist. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Medcom ist zwar auch die Abkürzung für Medizinische Kommunikation, hat aber nichts mit dem Medkom-Projekt der Deutschen Bundespost Telekom zu tun, bei dem es nur um den Einsatz von Glasfasern (Lichtwellenleitern) geht. Medcom von Bosch ist ein Konzept, das Informations-, Kommunikations- und Medizintechnik vereint.

Im Rahmen von Medcom sollen unter anderem Bildverarbeitung und Bildkommunikation im "Krankenhaus der Zukunft" eine wichtige Rolle spielen. Aber was bedeutet hier Bildverarbeitung? Ralf Panter, Marketingleiter Gesundheitswesen bei Telenorma, versteht darunter "die Übernahme von Bilddaten aus verschiedenen bildgebenden Systemen der Medizintechnik (Computertomographie, Szintigraphie, Röntgenologie etc.) in die Informationsverarbeitung und die Bearbeitung dieser Bilddaten - etwa die dreidimensionale Rekonstruktion oder die multimediale Befundung".

Für die multimediale Diagnose hat Telenorma zusammen mit der Universität Oldenburg eine multimediale Kommunikations-Workstation entwickelt. Diese darf man nicht mit einem Multikommunikations-Terminal verwechseln, mit dem sich verschiedene Medien (wie Teletex, Telefax oder Btx) nutzen lassen. "Multimedial bedeutet", so Günther, "daß Daten, Texte, Bilder und Sprache gemeinsam gespeichert und verarbeitet werden können. Ein Beispiel dafür wäre, daß der behandelnde Arzt seine Kommentare per Mikrofon (etwa durch einen Telefonhörer) ins System spricht, wo sie dann digitalisiert gespeichert werden und jederzeit - an diesem oder einem anderen multimedialen Arbeitsplatz - abrufbar sind."

Auf diese Weise lassen sich beim Schreiben des Arztbriefes verbale Anmerkungen speichern, die - theoretisch - einem niedergelassenen Kollegen, an den der Arztbrief gerichtet ist, mit übermittelt werden. Natürlich läßt sich der Arztbrief mit Textbausteinen schnell und einfach erstellen. Auch hierbei hilft die Sprache zusätzlich; per Sprachsteuerung kann man nämlich die Textbausteine abrufen und in das Schreiben einfügen.

Eine multimediale Befundung kann auch kooperativ stattfinden, das heißt, daß mehrere Ärzte beim Erstellen der Diagnose zusammenarbeiten. Dabei gibt es zwei Alternativen: zum einen die simultane kooperative Befundung, an der sich alle Ärzte gleichzeitig beteiligen, obwohl sie sich in anderen Räumen befinden; zum anderen die zeitversetzte kooperative Befundung, wobei beispielsweise der behandelnde Arzt bei seiner Diagnose auf die Ergebnisse anderer Fachärzte (etwa aus Röntgenologie und Kardiologie) aufbaut.

Die Möglichkeit der zeitversetzten Diagnose hat noch andere Vorteile. So kann ein dienst, habender Arzt zum Beispiel einen multimedialen Befund auch dann vom System abrufen, wenn der Patient unerwartete Symptome zeigt, der behandelnde Arzt aber unerreichbar ist.

Zudem lassen sich die gespeicherten Ergebnisse - wie auch einzelne Bilder (etwa Röntgenaufnahmen) - an andere Arbeitsplätze übertragen, etwa in den Operationssaal.

Die Kommunikation allgemein und die Bildkommunikation im besonderen setzen eine gewisse Vernetzung der Arbeitsplätze im Krankenhaus voraus. Dazu bedarf es weder eines speziell verkabelten LANs noch Lichtwellenleiter als Übertragungsmedium.

Man kann auch die vorhandenen Telefonleitungen und eine ISDN-Telefonanlage benutzen. Dabei liegt der Vorteil der ISDN-Anlage darin, daß - ist das Netz erst einmal bundesweit flächendeckend realisiert über sie auch die Außerhaus-Kommunikation, beispielsweise mit anderen Krankenhäusern und den Praxen niedergelassener Ärzte, erfolgen kann.

Bei der Inhouse-ISDN-Kommunikation nutzt Telenorma die Telefonleitungen nicht nur zur Übertragung der Sprache, Daten und Standbilder, sondern auch zur Steuerung der Benutzeroberfläche des Bildschirms des Kommunikationspartners.

So kann der Röntgenologe beispielsweise einem anderen Facharzt eine Röntgenaufnahme auf dessen Monitor schicken und dort mittels Cursor auf eine bestimmte Stelle des Bildes zeigen, während er mit dem Kollegen telefoniert.