Das Jahr 1993 im Rueckblick (Teil1) Firmen stecken sich neue Ziele und bauen das eigene Haus um

24.12.1993

MUENCHEN (jm) - Vordergruendig scheint 1993 ein langweiliges Jahr gewesen zu sein. Aufsehenerregende Ankuendigungen waren Mangelware, spektakulaere Abstuerze blieben aus. Und doch wird manches anders werden. Die Schwergewichte der Branche versuchen, ihre Truempfe neu zu ordnen. So war es einerseits ein Jahr der innerbetrieblichen Umstrukturierungen, andererseits der Ausrichtung auf modifizierte Ziele und damit neuer Maerkte.

Dass auch die DV-Branche offensichtlich eines der heutzutage oft zitierten strukturellen Probleme hat, beweisen die wenig aufregenden Aktivitaeten an der Produktfront. Nicht, dass man mit Novitaeten gegeizt haette. Ein Hersteller wie etwa Compaq ueberflutet seit seiner Unternehmens-Reorganisation Mitte 1992 den Markt mit Neuankuendigungen.

Doch nicht die "Presario-", "Concerto"- und "Prolinea"-Boxen an sich haben die Company ins Rampenlicht der Oeffentlichkeit katapultiert. Vielmehr konnten die Leute um CEO Eckhard Pfeiffer dank einer rigorosen Straffung des Unternehmens und einer Umorientierung der Vertriebs- und Distributionsaktivitaeten stupende Erfolge erzielen. Zudem geht Compaq mittlerweile den Consumer-Markt engagierter an, eine Strategie, die unter anderem auch AST Research und IBM vertreten.

Zu den mutigen Unternehmensentscheidungen - und kontraer zu einem oft kolportierten Vorurteil, deutsche Manager amerikanischer DV- Unternehmen seien ohnehin nur Erfuellungsgehilfen der US-Muetter - darf im uebrigen durchaus zaehlen, dass Compaq Deutschland sich nach jahrelangem Naseruempfen nicht zu schade war, eine Vertriebsallianz mit dem Billiganbieter Vobis einzugehen. Angeblich soll Amerika seinerzeit recht skeptisch mit den Augenbrauen gezuckt haben, als Deutschland-Geschaeftsfuehrer Kurt Dobitsch den Deal im Alleingang einfaedelte.

Der Erfolg gibt Compaq recht: Nach vorlaeufigen IDC-Zahlen (International Data Corp.) fuer das Jahr 1993 rangieren die Texaner sowohl in den USA als auch weltweit bezueglich der Stueckzahl verkaufter PC-Systeme hinter IBM und Apple klar an dritter Stelle. Dabei konnte Compaq laut IDC die Menge verkaufter PCs gegenueber 1992 sowohl im Stammland als auch global um 100 Prozent steigern.

Einfallsreichtum und Risikobereitschaft gefragt

Geordnet scheinen auch die Verhaeltnisse bei Hewlett-Packard (HP): Als eines von wenigen Computerunternehmen weist HP vergleichsweise glaenzende Geschaeftsergebnisse vor. Im Gegensatz zu PC-Anbietern wie Compaq aber steigen die Kalifornier bei ihrer Fahrt nach oben immer haeufiger in den Manager-Etagen der Anwenderunternehmen aus: Die Nachfahren der Firmengruender Bill Hewlett und Dave Packard sehen sich als genuine Nachlassverwalter und Erben der IBM in den DV-Zentralen und als fuehrender Kopf der Szene, geht es um die neuen Paradigmen Client-Server und Migration in offene Welten. Deshalb geben sie sich bei der Diskussion strategischer DV- Konzepte auch als der kompetente Gespraechspartner von Firmenverantwortlichen.

HP scheint darueber hinaus in der Lage zu sein, vormals vernachlaessigte Bereiche wie das PC-Segment aufzupolieren. Die Anwender honorieren offensichtlich HPs Bemuehungen, auch im Mikrocomputerbereich zu reuessieren. Zumindest legen grossflaechig durchgefuehrte Studien wie die des US-Marktforschungsunternehmens Reliability Ratings nahe, dass die Kundenbasis in hohem Grade mit HPs PC-Produkten zufrieden ist.

Die IBM-Nachfolgedebatte hindert HP uebrigens nicht, mit Big Blue in Verhandlungen ueber eine strategische Langzeitvereinbarung zu treten, die die Zusammenarbeit bei Technologieentwicklungen und - ausrichtungen zum Inhalt hat. Auch dieses Vorgehen zeigt, wie Firmen versuchen, Geschaeftserfolge nicht nur durch Ankuendigungsscharmuetzel, sondern mehr noch durch Unternehmenskooperationen in die Zukunft zu prolongieren.

Dass Unternehmen bei sinkenden Margen zunehmend auf Einfallsreichtum und Risikobereitschaft setzen muessen, zeigt das Negativbeispiel von Dell Computer. Der ehemalige Ueberflieger der PC-Branche sah sich dieses Jahr nach regelmaessigen vierteljaehrlichen Umsatz- und Gewinnrekorden unerwartet heftig auf den Boden der Tatsachen zu- rueckgeholt, als er im zweiten Quartal des Bilanzzeitraums 1993 mit 75,7 Millionen Dollar erstmals einen, dafuer aber gleich herben Verlust hinnehmen musste.

Hatten die Texaner ehedem mit ihrem Direktvertriebskonzept mit wenigen Ausnahmen (Packard Bell und Gateway 2000) ein Alleinstellungsmerkmal, sehen sie sich heute mit Anbietern wie IBM, DEC, Compaq, NCR, Olivetti oder SNI konfrontiert, die ebenfalls den direkten Zugang zu ihren Kunden suchen.

Dell scheint vor allem deshalb potentiell gefaehrdet, weil sich das Unternehmen bislang immer nur als Me-too-Anbieter geriert hat. Wie Compaq vermitteln auch die IBM-Nachbarn aus der texanischen Hauptstadt Austin den Eindruck eines reinen Boxenschiebers. Im Gegensatz zu Pfeiffer konnte CEO Michael Dell aber in letzter Zeit nicht mehr mit neuen, imaginativen Vertriebs- oder Zielgruppendefinitionen aufwarten.

Als technologischer Mitlaeufer glaenzte Dell zudem bisher nie durch ausgefallene Produkte. Fuer das Image als besonders fatal erwies es sich da, als die Dell-eigene Notebook-Linie wegen technologischer Probleme eingestampft werden musste. Waehrend Erzkonkurrent Compaq in diesem Produktsegment Weltmarktfuehrer ist, muss sich Dell hier vorerst als OEM der Hilfe von AST Research bedienen.

Nicht in die Knie - aber fast auf dem Zahnfleisch

Nicht in die Knie, aber fast auf dem Zahnfleisch ging auch Apple 1993. Obwohl etwa die Powerbooks ein echter Renner sind, musste die kalifornische Firma nicht nur eklatante Gewinnrueckgaenge (98 Prozent) hinnehmen. Vielmehr steht sie vor einer grossen unternehmerischen Herausforderung: Das Ende der bisherigen Macintosh-Architektur ist eingelaeutet. Mit der neuen Systembasis der Power-PC-Plattform sieht sich die Mac-Company gezwungen, ihre bislang hermetisch geschlossene Hardwarewelt, nach Meinung vieler Brancheninsider aber vor allem auch ihr Betriebssystem, Zug um Zug zu oeffnen - und sich damit voellig den Angriffen der Konkurrenz auszusetzen.

Vor aehnlichen hausinternen Herausforderungen steht die Digital Equipment Corp. (DEC): Ihr seit Februar 1992 eingefuehrter Alpha- RISC-Prozessor hat auch in diesem Jahr noch keine Berge versetzt. Zudem murrt die Anwenderbasis, DEC habe keine klar nachvollziehbare Unternehmensstrategie. NT auf den Fahnen, aber keine eindeutigen Konzepte fuer die Migration von VMS in der Schublade, so lautet nur einer der Vorwuerfe vom DEC-Volk.

Im Hauptquartier in Maynard hat man das Problem erkannt, wobei konzediert wird, dass die Firmenkonzentration auf die Alpha- Technologie und Client-Server-Topologien zwar ausgemachte Sache sei, jedoch noch nicht von allen Mitarbeitern gedanklich umgesetzt werde.

Sun Microsystems hingegen moechte gern dahin, wo HP schon zu sein scheint: Naemlich als Alternative zu dem Mainframe-Anbieter IBM in die Koepfe der Manager, die die Finanzhoheit in den Anwenderunternehmen innehaben. Als Workstation-Primus weltweit anerkannt, sieht sich Andreas von Bechtolsheims Firma vor der Schwierigkeit, glaubhaft vermitteln zu koennen, dass man auch ein allzeit praesentes Dienstleistungsunternehmen ist, das DV-Zentren rund um die Uhr mit Rat und Tat versorgen kann. Dabei haben die Techniker um President Scott McNealy gerade 1993 durch geeignete Produkte - hier waeren vor allem die Multiprozessor-Systeme "Sparcserver 1000" und "Sparccenter 2000" sowie das Cluster- Softwarekonzept zu nennen - aufhorchen lassen. Doch es muss sich erst noch erweisen, ob Suns Image als Produzent solider Technologie auch dem Anspruch eines Anbieters alternativer Data- Center-Konzepte standhaelt.

Und Big Blue? Mit der Inthronisation von Louis Gerstner als Akers- Nachfolger scheint frischer Wind durch die Hallen des scheinbar unbeweglich gewordenen blauen Riesen zu blasen. Er hat zunaechst einmal Tausende von Mitarbeitern aus den Firmenetagen gefegt. Weitere werden ihren blauen Brief noch erhalten.

Aber die IBM bewegt sich doch. Mit Gerstners Glaubensbekenntnis zu "RISC als Kerntechnologie" und Parallelarchitekturen als konzeptioneller Grundlage fuer die uebernaechsten Generationen von Grossrechnersystemen ist nicht nur die Zukunft der AS/400-Hardware verplant, sondern scheint auch - zumindest auf lange Sicht - ein Ausweg aus der Sackgasse Mainframe vorgezeichnet.

(wird fortgesetzt)