FachliteraturFinden und Bewerten von Informationen

Das Internet verlangt nach einer neuen Lesekompetenz

27.03.1998

Literacy übersetzt man aus dem Englischen zum einen mit der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben, zum anderen mit literarischer Belesenheit. Um letztere geht es in diesem Buch nicht. Vielmehr möchte der Autor erklären, inwiefern die Nutzung des Internet eine neue Art von Lesekompetenz erfordert. Im Vordergrund steht dabei das Auffinden und die Bewertung von Informationen, um die Fähigkeit, "to separate truth from fiction" (S. XII), wie es der Autor recht plakativ formuliert. Außerdem beschreibt er die Eigenart von Hypertext und Hypermedia, der Verbindung von verschiedenen Medien wie Radio, Fernsehen und Internet. Zur Sprache kommen auch Probleme des Copyright und des elektronischen Geldtransfers.

Nicht nur die schiere Masse an Informationen verlangt nach neuen Kompetenzen des Lesers, auch die Eigenarten und Gefahren eines dezentralen Mediums stellen höhere Ansprüche an die Kritikfähigkeit. Da es im Gegensatz zum Fernsehen keinen zentralen Sender gibt, kann es besonders leicht zu Propagandazwecken mißbraucht werden. Der praktische Nutzen des Buches entspringt daher vor allem den gut verständlichen Beispielen, an denen er Techniken im Umgang mit Informationen erläutert. So diskutiert der Autor Methoden zur Beurteilung der Verläßlichkeit von Web-Seiten. Dem Internet-Nutzer wird angeraten, im Zweifelsfall den Verfasser einer Web-Seite auszuforschen und ihn per E-Mail zu kontaktieren. Außerdem können weitere, über Suchmaschinen auffindbare Publikationen der betreffenden Person Aufschluß über die Hintergründe von Online-Texten geben.

Besonders wichtig ist die Analyse einer Web-Seite. Schlüsselfragen sind beispielsweise: Wann wurde die Seite erstellt, wann zuletzt überarbeitet (eine gute Web-Seite überarbeitet der Autor regelmäßig!), und welche Links sind verfügbar? Viele tote Links sind Grund genug, hinsichtlich der Aktualität mißtrauisch zu sein.

Die Orientierungshilfen im Internet schlechthin sind Suchmaschinen und Verzeichnisse wie beispielsweise Yahoo, AltaVista, Lycos oder Hotbot. Der Autor erklärt zwar die unterschiedliche Verwendung von Operatoren wie "und" sowie "oder" bei einzelnen Engines, gewünscht hätte man sich allerdings eine Einordnung der verschiedenen Suchmaschinen für unterschiedliche Recherche-Bedürfnisse.

Das Buch unterscheidet sich von den sonst üblichen Einführungen ins Internet dadurch, daß es sich nicht bloß mit der Technik beschäftigt, sondern den Blick seiner Leser für die angebrachte Skepsis im Umgang mit Informationen aus dem Internet schärfen will. Trotz der überwiegend technikfreundlichen Einstellung des Autors ist er nicht blind für die Dunkelstellen des neuen Mediums. Methoden zur Bewertung der Inhalte ergänzen die Strategien, wie der einzelne das Internet optimal für seine Bedürfnisse nutzen kann, und zwar im professionellen ebenso wie im privaten Bereich. Der Aufbau in acht Kapitel ist gut nachvollziehbar, ebenso hilfreich ist ein angefügter Index. Wünschenswert wäre allerdings eine Liste von erwähnten Web-Adressen am Ende jedes Kapitels, oder zumindest hätte man diese zugunsten einer größeren Übersichtlichkeit im Text markieren können. Auch Abbildungen könnten den Nutzwert des Buchs erhöhen.

Paul Gilster: Digital Literacy. New York: John Wiley & Sons 1997. 276 Seiten, 58 Mark.