Weiterbildung im Bereich der Automatisierungstechnik für Fachhoch- und Hochschulabsolventen:

Das Experiment folgt auf die Theorie

14.03.1986

ESSEN - Die Einführung der neuen Techniken in Aus- und Fortbildung und deren didaktische und methodische Umsetzung für alle Funktionsebenen in den Berufen der Metall- und Elektrotechnik sowie den kaufmännischen Berufen stellt einen Schwerpunkt der derzeitigen Aktivitäten des Berufsförderungszentrums Essen (BFZ) dar.

Im Vordergrund steht ein handlungs- und berufsorientiertes Ausbildungskonzept, das durch die Integration von fachtheoretischen und fachpraktischen Phasen gekennzeichnet ist.

Die Weiterbildung von Ausbildern, Referenten, Dozenten und Lehrern, die Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Fachbüchern, ein Informationsdienst sowie jährliche Fachtagungen und Workshops sichern den Transfer der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse .

Schwierigkeiten bei der betrieblichen Einführung moderner Automatisierungseinrichtungen wie beispielsweise CNC-Bearbeitungsmaschinen, flexible Fertigungszellen, Handhabungsautomaten, Roboter, Prozeßleit-, Steuerungs- und Überwachungssysteme sowie Kommunikations- und Konstruktionssysteme (CAD) bestehen nach wie vor und berühren alle Mitarbeiterebenen in einem Unternehmen. Da dem Topmanagement häufig das Wissen zur Abschätzung der Möglichkeiten und Grenzen neuer Techniken und Systeme fehlt, werden keine oder falsche Investitionsentscheidungen getroffen.

Dieses Wissensdefizit offenbart sich von der Ebene des mittleren und gehobenen technischen Managements, das mil. der Planung, Auslagung, Beschaffung oder Konstruktion betraut ist, bis hin zum technischen Personal, das für den Betrieb und die Instandhaltung der Einrichtungen zuständig ist.

Qualifikationsdefizit Mikro beheben

Zentrales Element aller modernen Anlagen ist der Mikrocomputer, der als Auslöser der neuen Automatisierungswelle gilt. Die Kenntnis seiner Funktion und Programmierung ist notwendig für den Umgang mit den neuen Systemen. Dieses Qualifikationsdefizit wird heute von allen Gesprächspartnern aus dem Hersteller(von Produkten mit mikroelektronischen Komponenten) und dem Anwenderbereich beklagt.

In den vergangenen Jahren konnte das BFZ Essen bei der Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen für verschiedene Zielgruppen und in unterschiedlichen Unternehmen sowie durch begleitende wissenschaftliche Untersuchungen umfangreiche Erfahrungen über diese Qualifikationsdefizite sammeln. Allein in den vergangenen zweieinhalb Jahren von Mitte 1982 bis Ende 1984 wurden schwerpunktmäßig auf den Gebieten der Mikrocomputertechnik und der digitalen Steuerungstechnik in 150 Fortbildungsveranstaltungen im Bundesgebiet 2359 Teilnehmer weitergebildet. Die überwiegende Zahl der Teilnehmer waren Beschäftigte aus dem Anwenderbereich. Etwa ein Drittel der Fortbildungsmaßnahmen wurde speziell auf die Belange einzelner Unternehmen zugeschnitten und durchgeführt, so beispielsweise für Unternehmen der Automobilindustrie (Qualifizierung von Mitarbeitern bei der Einführung von Robotern). Neben Facharbeitern, Meistern und Technikern nahmen insbesondere auch Ingenieure an dieser Maßnahme teil.

Aufbauend auf diesen Erfahrungen wurde im BFZ Essen eine sechsmonatige Fortbildungsmaßnahme für Teilnehmer mit Fachhoch- und Hochschulausbildung entwickelt, die durch das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gefördert wird. Sie orientiert sich an Absolventen aller ingenieur- und naturwissenschaftlichen Disziplinen und soll die Teilnehmer befähigen, Entwicklungen und Applikationen unter Einsatz von Mikrocomputern ausführen beziehungsweise an komplexen Mikrocomputersystemen Funktionsprüfungen vornehmen zu können.

Digital- und Mikrocomputertechnik

Vermittlung des Aufbaus und der Wirkungsweise von Mikrocomputern, der verwendeten Bauelemente und ihrer Schaltungstechnik einschließlich der Programmierung von Mikrocomputern.

- Grundlagen der Digitaltechnik,

- Aufbau und Wirkungsweise von Mikrocomputern,

- Bauelemente und Schaltungstechnik,

- Assembler-Programmierung.

Steuerungstechnik

Vermittlung des Aufbaus, der Wirkungsweise und der Programmierung von Mikrocomputern im Bereich der Steuerungstechnik, insbesondere speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS), einschließlich der Interfacetechnik (Schnittstellen zwischen Rechner und Peripherie), der Sensorik und der Aktuatorik.

- Grundlagen der Steuerungstechnik,

- Sensorik und Aktuatorik,

- Interfacetechniken und -baugruppen,

- Programmierung von Steuerungen (SPS).

Meß- und Prüftechnik

Vermittlung der Meß- und Prüfverfahren für den Hard- und Softwaretest einschließlich der Handhabung moderner Meßgeräte bis hin zu den automatischen Funktionstestsystemen und ihrer Programmierung.

- Mikrocomputermeßtechniken,

- Fehlersuche und Inbetriebnahme,

- Emulationstestadapter,

- Funktionsprüfsysteme und Programmierung von Prüfsystemen.

Systemtechnik

Vermittlung des Aufbaus, der Wirkungsweise und der Handhabung von Komponenten und Systemen der Automatisierungstechnik .

Lösung von Problemen im Zusammenhang mit Steuerungs- und Regelungsaufgaben in der Automatisierungstechnik unter Einsatz von Mikrocomputern.

- Einführung in Aufbau, Wirkungsweise und Programmierung von Handhabungsgeräten und Werkzeugmaschinen,

- höhere Programmiersprachen,

- Softwareentwicklungstools,

- Problemlösungen im Bereich der Steuerungs- und Regelungstechnik,

- Einführung in die CAD-Technik.

Bewerbertraining

Vermittlung der Vorgehensweise bei der Bewerbung um eine Arbeitsstelle.

- Analyse von Stellenangeboten,

- Formulierung von Bewerbungsschreiben,

- Zusammenstellung von Bewerbungsunterlagen,

- Verhalten in Vorstellungsgesprächen und Rollenspiele.

lnsgesamt umfaßt die Weiterbildung 960 Unterrichtseinheiten. Bei 40 Unterrichtseinheiten pro Woche stehen effektiv 24 Ausbildungswochen zur Verfügung. Vergleicht man diesen Stundenansatz mit den verfügbaren Vorlesungs- und Laborstunden für ein Hauptfach an einer Fachhoch- beziehungsweise Hochschule mit rund zehn Stunden pro Woche, bei zwölf Wochen pro Semester, so entspricht die Dauer der Maßnahme einem achtsemestrigen Hauptfach .

Hoher Anteil an praktischen Übungen

Die Themenschwerpunkte machen deutlich, daß die Weiterbildung auf die moderne Systemtechnik im Automatisierungsbereich ausgerichtet ist. Entwicklungs-, Applikations- und Prüftätigkeiten in diesem Bereich erfordern umfangreiche Kenntnisse über den Aufbau, die Wirkungsweise und die Schaltungstechnik von Mikrocomputern sowie der Programmierung auf der Maschinen- und Problemebene. Um einen hohen Grad an Arbeitsplatztüchtigkeit zu erzielen, stellt die selbständige Erarbeitung von Problemlösungen für Aufgabenstellungen aus der Meß-, Steuerungs- und Regelungstechnik einen Ausbildungsschwerpunkt bei den Teilnehmern dar.

Das setzt aber, verglichen mit einem Hoch- beziehungsweise Fachhochschulstudium, einen höheren Anteil Praktischer Übungsphasen voraus, in denen beispielsweise schaltungstechnische Lösungen im Experiment meßtechnisch untersucht oder Programmlösungen am Computersystem erstellt und getestet werden. Die Aufteilung der Theorie- und Praxisphasen steht in einem Verhältnis von 50 zu 50.

Dieser hohe Praxisanteil ist aber auch unter lernpsychologischen Gesichtspunkten von Bedeutung. In diesen Phasen wird der Lernstoff wiederholt und konkret an praktischen Anwendungen erlebt, so daß sich entsprechende Erholungsphasen für die Teilnehmer ergeben, die in einer relativ kurzen Ausbildungszeit einen großen Umfang von neuen Lerninhalten bewältigen müssen. Aus diesem Grunde ist eine Unterweisungsform gewählt worden, die eine Integration von Theorie und Praxis darstellt.

Das bedeutet, daß kurzen theoretischen Einführungen oder Erläuterungen unmittelbar ein meßtechisches Experiment oder eine praktische Aufgabenstellung folgt (learning by doing), die von den Teilnehmern selbständig oder in Gruppen gelöst werden muß. Damit ergibt sich gleichzeitig die Möglichkeit der Einübung sozialen Verhaltens wie Team-, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit .

Die integrierte Theorie- und Praxisvermittlung hat zur Folge, daß die Aufsplitterung der Lerninhalte in einzelne Fächer nur schwer möglich ist und somit eine sinnvolle Verzahnung der Ausbildungsinhalte notwendig wird. Beispielsweise erfordert die experimentelle Untersuchung eines Sachverhaltes im Anschluß an eine theoretische Unterweisung neben der Kenntnis der im Experiment verwendeten Bauelemente auch Kenntnisse zur gerade geforderten Meßtechnik, so daß diese im Zusammenhang vermittelt werden müssen. Die obige systematische Auflistung der Ausbildungsschwerpunkte entspricht somit nicht direkt der zeitlich-sachlichen Gliederung, sondern vermittelt vielmehr den Gesamtüberblick über die Ausbildungsthemen .

Für die Referenten in diesen Weiterbildungsmaßnahmen bedeutet der integrative Theorie- und Praxisansatz eine weitgehende Losung vom frontalen Unterrichten oder Vortragen zugunsten einer individuellen Betreuung der Teilnehmer. Daneben eröffnet dieser Ansatz die Möglichkeit, auch den Lernstoff und das Lerntempo individuell anzupassen. Bei den Referenten erfordert diese Vorgehensweise neben einem guten Fachwissen auch ein hohes Maß an Flexibilität und sozialem Engagement.

Hohe Vermittlungsquoten der Teilnehmer

Die Durchführung praxisbezogener Weiterbildungsmaßnahmen setzt eine umfangreiche gerätetechnische Ausstattung für jeden Teilnehmer voraus. Neben Meßgeräten, Experimentiersystemen, Mikrocomputern und Entwicklungssystemen sind In erheblichem Umfang Prozeß- und Anlagenmodelle für die anwendungsbezogene Kenntnisvermittlung notwendig. Hier profitiert das Berufsförderungszentrum von den umfangreichen eigenen Entwicklungsarbeiten im Bereich der Erstellung von Ausbildungsmitteln für die Vermittlung neuer Ausbildungsinhalte. Diese Entwicklungen, deren Anfänge bei Auftragsentwicklungen für das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) beziehungsweise für die Bundesanstalt für Arbeit (BA) liegen, haben 1980 zu einem umfangreichen Wirtschaftsmodellversuch (MFA) geführt.

Dieser vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW), dem Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) und von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Modellversuch hatte zur Zielsetzung, neben der Untersuchung von Qualifikationsveränderungen durch die Mikrocomputertechnik im Berufsfeld Elektrotechnik gleichzeitig durch die Entwicklung geeigneter Lehr-, Lernmittel und Ausbildungskonzeptionen die Einführung neuer Ausbildungsinhalte im Bereich der Berufsbildung zu ermöglichen.

Die Vorkenntnisse der Teilnehmer sind sehr unterschiedlich und abhängig von der jeweiligen beruflichen Vorgeschichte. Bezogen auf die zu vermittelnde Thematik können im allgemeinen keine Kenntnisse vorausgesetzt werden, dazu ist die Technik noch zu jung. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt etwa bei 35 bis 40 Jahren, so daß die Kenntnisse aus dem Studium kaum mehr verfügbar sind und sie sich selbst zunächst erst wieder an die Lernerrolle gewöhnen müssen. Andererseits befindet sich unter den arbeitslosen Teilnehmern in diesen Bildungsmaßnahmen jeweils ein großer Anteil von Spätaussiedlern aus den osteuropäischen Ländern. Neben den dadurch auftretenden Sprachproblemen macht sich auch der technologische Unterschied zu diesen Ländern in bezug auf den Kenntnisstand der Teilnehmer deutlich bemerkbar. Auch unter diesem Aspekt ist eine verzahnte Theorie- und Praxisvermittlung von Vorteil.

Die bisherigen hohen Vermittlungsquoten sowie die Rückmeldungen von den jetzt in Beschäftigung befindlichen ehemaligen Teilnehmer bestätigen den konzeptionellen Ansatz. Eine Erweiterung der Inhalte in Richtung CAM/CIM ist für 1986 vorgesehen.

Der Beitrag entstammt dem BFZ/MFA-lnfo 3/85 des BFZ.