Fehlschläge und Sparzwang verändern die Strategie

Das CRM-Motto heißt: Klein, aber fein

21.06.2002
BERLIN (qua) - "Die Projekte sind kleiner geworden, Full-blown-Ansätze gibt es kaum noch." Mit diesem Statement erntete Peter Albrecht, Director Global Services bei IBM, allgemeine Zustimmung auf der "CRM-Fachkonferenz" des E-Thinktank e.V., Hamburg. Welche CRM-Funktionen zuerst verwirklicht werden sollten, wurde auf der Veranstaltung in Berlin ebenfalls erörtert.

Eine Beziehung zu existierenden und potenziellen Kunden aufzubauen, zu pflegen und zu intensivieren - kurz: Customer-Relationship-Management - ist für viele Unternehmen gerade heute ein wichtiges Thema: Wegen der rezessiven Wirtschaftslage sind sie bereit, in den Kampf um die geschätzte Klientel zu investieren. Doch die Euphorie der "Early Adopters" ist verflogen. "Die letzten drei bis vier Jahre waren von einem Aktionismus geprägt, der aber nicht viel gebracht hat", beschrieb Bernd Kolb, CEO des Marketing-Dienstleisters I-D Media AG, Berlin, die Stimmungslage.

Heute herrscht ein pragmatischer Ansatz vor. Die Auswirkungen bekommt sogar die SAP zu spüren: "Es werden durchaus kleinere Brötchen gebacken", bestätigte CRM-Vertriebsleiter Christian Schmidt die derzeitige Haltung der Anwender. Im Klartext heißt das: Die Unternehmen lassen sich relativ leicht für eine Web-Shop-Lösung begeistern, während beispielsweise der ungleich aufwändigere Produktkonfigurator zurzeit schwer vermittelbar ist.

Bestätigung erhielten die beiden Industrievertreter von einem Betroffenen: "Small and beautiful ist der Trend bei uns" erklärte Philipp Lichtenauer, Leiter Internet Commerce bei Philips Medizin Systeme in Hamburg. Das Unternehmen, das Krankenhäuser mit Röntgenapparaten, Ultraschallgeräten und Kernspin-Tomografen beliefert, begann schon vor mehreren Jahren, alle Kundeninformationen am Call-Center-Arbeitsplatz zusammenzuführen (siehe CW 36/00, Seite 57).

Zwei Tipps aus der Praxis

Aus seiner Praxiserfahrung destillierte Lichtenauer zwei Tipps:

- Stellen Sie das CRM-System in den Mittelpunkt des Arbeitslebens und lassen Sie nach der Einführung keine Alternativen mehr zu; halten Sie wichtige Informationen einfach nur noch dort vor.

- Sorgen Sie dafür, dass das Softwarewerkzeug weder über- noch unterschätzt wird: Im ersten Fall glauben die Mitarbeiter, sie müssten sich nicht mehr selbst den Kopf zerbrechen, wie sie mit einem Kunden umgehen wollen. Im anderen tendieren sie zur Lässigkeit bei der Eingabe der Informationen - ohne sich klarzumachen, dass die Daten direkt ins Unternehmens-Reporting fließen.

Tausche Infos gegen Service

Die Vertriebsmitarbeiter - allen voran die Außendienstler - zur Eingabe valider Daten zu bewegen erweist sich vielerorts als Problem, denn der Vorteil für die Sales-Force wird nicht auf Anhieb deutlich. Aber nur mit einem "Handshake-Deal", beteuerte I-D-Media-Chef Kolb, sind Menschen zur Preisgabe von Informationen bereit. Das gelte auch für die Kunden: Tausche Persönliches gegen besseren Service, so laute in diesem Fall die Maxime.

I-D Media will seiner Klientel unter anderem mit Hilfe von Unternehmensportalen und Community-Building-Maßnahmen Zugang zu den psychografischen und verhaltensorientierten Daten potenzieller Käufer verschaffen. "Das Web eignet sich hervorragend, um Kundenkontakte zu generieren, zu intensivieren, zu entwickeln und auf unterschiedliche Arten zu kapitalisieren", so Evangelos Papathanassiou, Executive Assistant bei dem Marketing-Dienstleister. Wie das in der Praxis aussehen kann, beschrieb er am Beispiel des Hamburger Otto-Versands: Die Besucher der Otto-Site können sich ein schmales Softwarepaket herunterladen, das im Hintergrund jeder folgenden Online-Session den Server des Versandhauses nach interessanten Angeboten durchsucht. Dabei belegt es die im Augenblick nicht genutzte Bandbreite mit Beschlag. Am Ende der Suche wird das Ergebnis in einem Pop-up-Fenster angeboten. Klickt der Nutzer es an, so erhält Otto eine authentische Information über seine Interessen, die sich bei künftigen Angeboten berücksichtigen lässt. Laut Papathanassiou haben bislang 6,8 Prozent der Homepage-Besucher von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Erstaunlich wenig Hemmungen

Aus Sicht von ID-Media-Chef Kolb nutzen die Unternehmen teilweise noch zu wenig die zahlreichen Chancen, den Websurfern Informationen über sich selbst zu entlocken. Die Kommunikation der (potenziellen) Kunden untereinander zuzulassen sei für einige Homepage-Betreiber immer noch ein "schwieriges Thema", so der Marketing-Experte. Dabei hätten die Online-Besucher - vorausgesetzt, sie erhoffen sich einen Gegenwert - erstaunlich wenig Hemmungen, sogar intimere Details über sich preiszugeben.

Philips-Medical-CIO Lichtenauer bestätigte diese Einschätzung: "Wir generieren so viele Daten, dass wir sie kaum auswerten können." Auch SAP-Manager Schmidt hatte Ermutigendes zu berichten: Von den Fragebögen, die das größte deutsche Softwareunternehmen regelmäßig auf seiner Homepage veröffentliche, würden - je nach Thema - 2000 bis 3000 ausgefüllt zurückgeschickt. (Zu dieser Thematik siehe auch CW 24/02, "Thema der Woche" auf Seite 12).

Die Identifizierung und Segmentierung der (potenziellen) Kunden ist eine entscheidende Voraussetzung für ein erfolgreiches Customer-Relationship-Management - mehr aber auch nicht. Auf dieser Basis müssen nun Funktionen aufbauen, mit denen sich Loyalität, Zufriedenheit und Vertrauen der Kunden erzeugen beziehungsweise stärken lassen. Die Frage, welche Maßnahmen den größten Erfolg versprechen und deshalb vorrangig verwirklicht werden sollten, spielt angesichts knapper Budgets eine wichtige Rolle.

Potenzial versus Komplexität

Arno Müller, Professor an der Nordakademie in Elmshorn und Geschäftsführer der BPS GmbH, unterteilt die CRM-Funktionen in drei Grundkategorien - operativ, analytisch und kollaborativ -, die jeweils spezifische Ausprägungen in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Service erfahren. Die Palette der möglichen Maßnahmen reicht dabei von Mailing-Aktionen, Shop-Funktionen und Kundendienst-Unterstützung über Trend-, Umsatz- und Serviceanalysen bis zu Kampagnenabwicklung, Multichannel-Management und Self-Service im Internet.

Die Frage, welche Maßnahmen in welcher Reihenfolge zu verwirklichen seien, lässt sich anhand eines von Müller definierten Bewertungsprozesses beantworten: Im ersten Schritt sind die Prozesse zu ermitteln, die das größte Potenzial für die Erfüllung der Kundenanforderungen in sich bergen; Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, zu wissen, welche Bedeutung die Kunden den einzelnen Anforderungen beimessen. Anschließend wird die Komplexität der vorgesehenen CRM-Funktionen beziehungsweise ihrer Implementierung bewertet.

Das Pferd von hinten aufgezäumt?

Mit Hilfe dieser beiden Koordinaten können die einzelnen Maßnahmen in einer Matrix angeordnet werden, aus der sich quasi automatisch die ideale Reihenfolge der Realisierung ergibt (siehe die Grafik "Priorisierung der Funktionen"): Funktionen mit hohem Potenzial und geringer Komplexität, von Müller "Low-hanging Fruits" genannt, sind naturgemäß denjenigen mit geringer Bedeutung für das Geschäft, aber schwieriger Implementierung ("Money-Pits") vorzuziehen.

Schon fast eine Binsenweisheit ist der Ratschlag, erst einmal eine CRM-Strategie und die zugehörigen Prozesse zu definieren, bevor dann eine Entscheidung für die technische Plattform getroffen wird. Somit hat Bertelsmann Media-Systems eigentlich das Pferd vom Schwanz aufgezäumt: Der IT-Dienstleister des Bertelsmann-Konzerns legte sich schon zu Beginn des Kunden-Management-Vorhabens für die hauseigenen Buch- und CD-Clubs auf SAP als Anbieter fest. Laut Senior-Manager Hubertus Treus gab es jedoch triftige Gründe für die frühzeitige Entscheidung zugunsten einer IT-Plattform: "Wir hatten genug Zeit, das System zu designen und zu implementieren, weil wir keine Zeit mit Diskussionen über die IT verloren haben." Aus Sicht von Treus ist der viel kritisierte monolithische Ansatz der SAP durchaus ein Vorteil, weil er die Integration mit den betriebswirtschaftlichen Funktionen erleichtert. Zudem diene ein derartiges Standardsystem als "natürliche Grenze" gegen ausufernde Anwenderforderungen.

Das Schlagwort vermeiden

IBM-Manager Albrecht schloss den Kreis der Argumente und Anregungen, indem er auf eine Frage aus dem Auditorium antwortete: Was ist zu tun, wenn mein Vorstand vom Thema CRM nichts hören will? Zum einen gelte es, so der Global-Services-Direktor, das Schlagwort CRM zu vermeiden, weil es ohnehin "in Marketing-Abteilungen erfunden worden" sei. Darüber hinaus lasse sich der konkrete Nutzen des Kundenbeziehungs-Managements am besten durch kleine Projekte mit erfüllten Zielvorgaben nachweisen.

Anwender ausdrücklich erwünscht

Den Wissenstransfer zwischen Old- und New-Economy sowie zwischen Industrie und wissenschaftlicher Forschung zu fördern - dieses Ziel hat sich der E-Thinktank e.V. auf die Fahne geschrieben. Der Anstoß zur kürzlich erfolgten offiziellen Gründung ging von der Business Process Solutions GmbH (BPS) in Hamburg aus, die zunächst drei norddeutsche Hochschulen für ihre Idee gewinnen konnte: die Nordakademie Hochschule der Wirtschaft in Elmshorn, die Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg und die Technische Universität Hamburg-Harburg. Hinzu kamen die New-Economy-Unternehmen I-D Media, Goodex, Netskills und Online Congress sowie die IT-Schwergewichte IBM, SAP und CSC Ploenzke. Wie E-Thintank-Vorstand Lars von Thienen beteuert, sind auch Anwenderunternehmen willkommen. Der Mitgliedsbeitrag von 2500 Euro jährlich dürfte wohl kaum ein Hindernis darstellen. Die Teilnahme an Arbeitskreisen und Workshops wird allerdings gesondert in Rechnung gestellt.

Abb: Priorisierung der Funktionen

Teure Fehlinvestitionen lassen sich vermeiden, wenn die geplanten Funktionen zunächst analysiert und dann priorisiert werden. Quelle: bps