Das Baby CeBIT Home hat noch Orientierungsprobleme

06.09.1996

"Die CeBIT Home war ein voller Erfolg." Das verkündete Hubert- H. Lange, Vorstandsmitglied der Deutschen Messe AG und verantwortlich für die erstmalig abgehaltene "Multimedia-Messe". Rund 210000 vorwiegend jugendliche Besucher stürmten den Angaben zufolge die Messehallen in Hannover. Glaubt man den Veranstaltern, so konnten die Unternehmen der Unterhaltungselektronik während der fünf Messetage Händleraufträge im Wert von rund 100 Millionen Mark entgegennehmen.

Doch längst nicht alle Aussteller teilen die offizielle Meinung der Deutschen Messe AG, die CeBIT Home sei neben einer Informationsveranstaltung vor allem auch eine Ordermesse. Besonders aus dem Lager der klassischen PC-Anbieter, in dem ausgerechnet der Marktführer Compaq fehlte, sind kritische Stimmen zu hören. Wulf W. Büscher etwa, Marketing/Communication Manager bei der Acer Computer GmbH, meinte: "Es gibt keine Ordermessen mehr in diesem Sinne. Die Hauptfunktion einer solchen Messe ist die einer Informationsbörse. Geordert wird hinterher." Auch für Frank Garrelts, Sprecher des Arbeitskreises Computerfachhandel, in dem 830 deutsche PC-Händler organisiert sind, ist die CeBIT keine Ordermesse und wird dies auch nicht werden. "Die PC-Branche hat aufgrund der kurzen Innovationszyklen und der damit verbundenen schnellen Überalterung der Produkte noch nie auf Messen übermäßig disponiert." Ins gleiche Horn blies Karl Ulrich Schönemeyer, Geschäftsführer der PC-Fachhandelskooperation Comteam. "Die CeBIT Home ist mit Sicherheit keine Ordermesse." Nach den Reaktionen der Mitgliedsfirmen sähen die Händler die CeBIT Home eindeutig als eine Orientierungsmesse. Schönemeyer spricht für 330 EDV- Fachhandelsbetriebe, die Hälfte davon sind mittelgroße Systemhäuser.

Im Ausstellerverzeichnis der CeBIT Home findet sich unter anderem der PC-Bauer Peacock. Die Firma war allerdings nur auf dem Gemeinschaftsstand der Zeitschrift "Connect" vertreten und zeigte ISDN-Anlagen für den Home- und den Soho-Markt. Nach den Worten von Jan Michael Martsch, Bereichsleiter Telecom bei Peacock, ist die Messe vor allem für den Soho-Markt (Soho = Small Office/Home Office) geeignet. Fachhändler wolle man auf der CeBIT im Frühjahr erreichen.

Direkt neben dem Peacock-Kämmerlein dröhnt es vom Stand der Telekom, der genau auf die Bedürfnisse der Nachwuchskonsumenten zugeschnitten ist. In der "Online-Bar" sitzen Schüler und Jugendliche dutzendweise an ihren Browser-Programmen und feiern die "Global Party" des deutschen Telekom-Riesen. Zur Erholung vom weltumspannenden Surfen hat die Telekom zum "Chill Out" riesige Gummimatratzen ausgelegt. An den elektronischen Musikzapfsäulen der "Cybersound-Tankstelle" können die Kids zudem Rave-Songs auswählen und gleich auf CD brennen lassen. Die Attraktion auf dem Compuserve-Stand, dicht neben der Telekom, ist nicht weniger spannend. Auf einem schwankenden Plastiksurfbrett dürfen die Cyberkids erleben, wie man, auch ohne WinCIM installiert zu haben, abstürzen kann.

Für die meisten Hersteller ist die Veranstaltung allerdings weniger amüsant. Schließlich ist man nicht zum Spaß auf der Messe. Nachdenklich gab sich etwa Michael Pöllmann, verantwortlich für Messen und Ausstellungen bei der deutschen NEC-Tochter: "Was wir auf der CeBIT Home tun, spiegelt auch die Unsicherheit wider, die im Markt hinsichtlich dieser Art von Messe herrscht. Wir betrachten das Ganze als Testballon und nehmen mit einem sehr kleinem Stand teil."

Im Gegensatz zu einigen anderen Herstellern ist die Stimmung bei Siemens-Nixdorf bereits am verregneten ersten Messetag gut. Edmund Pötsch, Direktor Produktmanagement Consumer PC bei SNI, will gleich am Anfang schon richtig Umsatz gemacht haben. Für den Manager ist die CeBIT Home auch im PC-Bereich eine echte Orderveranstaltung. Pötsch sieht denn auch für die CeBIT Home '98 gute Chancen: "Der Trend ist eindeutig positiv."

Die Gunst der Stunde wollte die Fujitsu ICL Computer GmbH (vormals ASI) mit ihrem PC-Angebot nutzen. "Wir haben uns für den Consumer- Markt ausgesprochen", sagte Geschäftsführer Winfried Hoffmann. "Die CeBIT Home ist unsere Einstiegsvisitenkarte." Die zum 1. Juli gegründete Fujitsu ICL Computers Ltd., in der der japanische Fujitsu-Konzern seine PC- und Server-Aktivitäten in Europa zusammenfaßt, hat sich hohe Ziele gesteckt. Bis zum Jahr 2000 will der Hersteller von Platz acht an die Spitze im weltweiten PC- Geschäft vorrücken. Genau dieses Ziel verkündete auch IBM auf der Messe. "Wer im Consumer-Markt nicht stark ist, wird nirgendwo stark sein", erklärte Hoffmann. Die neueste High-end-Technologie könne man heute nur noch im Consumer-Markt lernen: Selbst die Telekom und Ministerien kauften heute noch 100-Megahertz-Pentium- Rechner, die es ab November eigentlich gar nicht mehr gebe. Die privaten Anwender dagegen legten sich Pentium-200- und Pentium- Pro-Maschinen zu. Hoffmann: "Die Pace macht der private Kunde."

Die Frage nach der Ordermesse CeBIT Home wollte Hoffmann nicht eindeutig beantworten. Fujitsu habe zwar Facheinkäufer aus dem In- und Ausland auf die Messe eingeladen. Die Veranstalter hätten international aber noch mehr Werbung machen müssen. "Der Bekanntheitsgrad der CeBIT Home im Ausland bei den Facheinkäufern war minimal", meinte der Manager.

Optimismus verbreitet wieder einmal der Branchenprimus IBM. "Es hat sich gelohnt, daß IBM auf die CeBIT Home gekommen ist", eröffnete Bernhard Lobmüller, Leiter Consumer Division IBM Deutschland, schon am zweiten Messetag den staunenden Pressevertretern. Der Hersteller zeigte die bereits angekündigte Multimedia-PC-Linie "Aptiva" (siehe CW Nr. 35, Seite 27: "IBM hofft mit Aptiva-PCs ..."). Ebenso wie der Konkurrent Fujitsu ICL Computer nutzte Big Blue die Messe, um seinen Führungsanspruch in Sachen PC-Geschäft anzumelden. Jürgen Renz, Leiter PC-Geschäft IBM Deutschland, gab die Marschroute vor: "In spätestens einem Jahr wollen wir wieder die Nummer eins im weltweiten PC-Markt sein" (siehe dazu gesonderten Bericht).

Weniger euphorisch gab sich der PC-Anbieter Olivetti, der ebenfalls Multimedia-PCs für den Soho-Bereich zeigte. Rolf Kakrow, Mitglied der Geschäftsleitung und Pressesprecher der Olivetti GmbH, beurteilte das Messeangebot kritisch: "Es ist doch eine große Mixtur von ganz unterschiedlichen Komponenten, die hier gezeigt wird. Ich würde heute nicht darauf wetten, daß die Messe in zwei Jahren wieder stattfindet."

Barbara Wollny, aus der Presseabteilung von Hewlett-Packard, hat ebenfalls ihre Probleme mit dem Angebot: "Wir sehen das alles hier schon mit einiger Verwunderung. Es gibt sehr viel Entertainment - hier eine Rollerskate-Bahn, dort Beach Volleyball und virtuelle Boxkämpfe. Wir wissen noch nicht, ob wir uns künftig hier präsentieren wollen." In puncto Messekonzept sieht Wollny Nachholbedarf. "Besonders die Aufteilung der Hallen macht noch einen ungeordneten Eindruck."

Die jugendlichen Messebesucher kümmerte das alles wenig. Im Freigelände zwischen den Hallen herrschte während der spärlichen Sonnenperioden ein Hauch von Woodstock. Die Cyberkids labten sich an mitgebrachten Pausenbroten und Dosenbier. Die Stars auf der Bühne der Fernsehanstalten waren allerdings nicht Rockgrößen wie Jimmy Hendrix, sondern die TV-Moderatorin Eva Herman oder Teenie- Bands wie Caught in the Act.

Bierernst ging es dagegen bei den zahlreich vertretenen Geldinstituten in Halle 2 zu. Diese wollen vor allem ihr Homebanking-Geschäft ankurbeln, um so Kosten und Personal bei der Abwicklung von Transaktionen zu sparen. Eine echte Neuigkeit präsentierte die Sparkassen-Finanzgruppe, die mit ihrer "Geldkarte" das Zeitalter der Chipkarte einläuten will. Besucher auf der CeBIT Home konnten die wiederaufladbare "elektronische Geldbörse" etwa an Fahrkarten- und Zigarettenautomaten oder in Messerestaurants ausprobieren.

Die Deutsche Messe AG hält sich beim Thema Geld bedeckt. Zwar hat Messechef Lange schon vor der Veranstaltung eingeräumt, mit der CeBIT Home ein "dickes Defizit" einzufahren genaue Zahlen wollte er jedoch nicht nennen. Grundsätzlich gelte jedoch, wie bei anderen Produkten auch, daß sich jede Messe selbst tragen müsse. 1998 werde die CeBIT Home deutlich an Ausstellern gewinnen und schwarze Zahlen schreiben.

In diesem Punkt hatten sich die Messestrategen aber schon einmal gründlich verschätzt. Von den ursprünglich erwarteten 700 bis 1000 Ausstellern kamen am Ende nur 643. Einige Branchenbeobachter führten dies auf eine verspätete Ankündigung der CeBIT Home zurück. Etliche Budgets seien schon vergeben gewesen. Lange wehrt sich gegen diese Vorwürfe. "Wir konnten die Messe nicht früher ankündigen, weil wir vorher mit dem Konzept nicht fertig waren. Als wir vor eineinhalb Jahren damit in den Markt gegangen sind, waren tatsächlich manche Budgets schon vergeben." Immerhin seien 70 Prozent des Unterhaltungselektronik-Marktes vertreten.

Für die CeBIT im Frühjahr sieht Lange mit der Multimedia-Messe keine Konkurrenz heraufziehen: Nicht ein einziger Aussteller sei von der CeBIT zur CeBIT Home gewechselt. Es habe auch kein Anbieter seine Standfläche dort verkleinert. Die CeBIT '97, die schon jetzt völlig überbucht sei, werde mehr Ausstellungsfläche haben als im Vorjahr. Von der Besucherseite her hätte die CeBIT Home allerdings eine deutliche Entlastung für die große Schwester gebracht. "755000 Besucher waren einfach nicht mehr beherrschbar", so Lange.

In puncto Messekonzept besteht Lange darauf, daß die CeBIT Home auch als Ordermesse anzusehen sei. Dies gelte besonders für die Unterhaltungselektronik (UE). Aus dem UE-Sektor kamen denn auch einige echte Neuheiten, die die CeBIT Home im Gegensatz zur großen Schwester zu bieten hatte. Dazu gehört etwa die "Digital Video Disk" (DVD), die von Sony, Philips, Samsung und Panasonic (Matsushita) als Prototyp gezeigt wurde. Den ersten DVD-Player präsentierte Panasonic auf seinem Messestand. Das Gerät soll im Februar 1997 auf den deutschen Markt kommen. Preis: etwa 1400 Mark. Spektakulär gestalteten die Hersteller Philips, Panasonic und Grundig auch die Präsentation ihrer superflachen Plasmabildschirme, die gegenüber den herkömmlichen Flüssigkristall-Displays eine Reihe von Vorteilen bieten. Durch die Plasmatechnik können die Displays nicht nur größer und flacher gebaut werden, sondern weisen auch eine hellere, klarere Bilddarstellung auf.

Die Medienriesen Kirch und Bertelsmann präsentierten ihre Varianten der Set-top-Box, die den Konsumenten das Tor zum digitalen Fernsehen öffnen sollen. Die bisher unterschiedlichen Systeme von Kirch ("d-Box") und Bertelsmann ("Media-Box") sollen künftig zu einem einheitlichen Decodertyp verschmolzen werden. Bis dahin sollen beide Kästchen in der Lage sein, alle angebotenen digitalen Fernsehprogramme zu empfangen.

Die UE-Hersteller sind es auch, die sich weitgehend positiv zum Verlauf der Messe äußern. Für Panasonic etwa ist die CeBIT Home "nicht nur eine reine Verkaufsmesse, sondern auch eine Image- Veranstaltung". Albert Klinkhammer, Leiter Corporate Press & Information bei Sony, zeigte sich zufrieden. "Was die Ordertätigkeit angeht, sind unsere Erwartungen deutlich übertroffen worden." Die Verknüpfung von UE, Computer und Telekommunikation sei von den Händlern verstanden worden. Allerdings sei die CeBIT Home noch immer das kleine Pendant zur CeBIT und damit viel zu PC-lastig. Klinkhammer rechnet damit, daß 1998 die doppelte Anzahl von Besuchern und Ausstellern kommen werde. Auch bei Grundig sieht man die Messe positiv. Der Hersteller sei zwar mit geringen Erwartungen gekommen diese Einstellung habe man aber im Verlauf der Messe revidiert.

Mit der Multimedia-Messe, so frohlocken Vertreter von Industrieverbänden, sei im rückläufigen UE-Markt endlich wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Ob die CeBIT Home aber tatsächlich als "Konjunkturlokomotive" in die Messe-Annalen eingehen wird, bleibt abzuwarten. Herbert Bruch, Vorsitzender des Fachverbandes Unterhaltungselektronik im ZVEI, gibt sich jedenfalls zuversichtlich und sieht nur noch eine winzige Hürde auf dem Weg zum Umschwung: "Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist die verstärkte Ausgabebereitschaft der Konsumenten.

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Für die Deutsche Messe AG war die CeBIT Home in Hannover ein voller Erfolg. Doch nicht alle Aussteller teilen diese Ansicht. Vor allem aus dem Lager der Hardwarehersteller sind kritische Stimmen zu hören, was das Angebot und das Konzept der Messe betrifft. Im Gegensatz zu den Ausstellern aus der Unterhaltungselektronik sehen die Anbieter aus dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnik die CeBIT Home nicht als Ordermesse für das Weihnachtsgeschäft.