Outsourcing/Die Stadt Leipzig überträgt ihre IT einem Serviceanbieter

Das ausgelagerte E-Government

10.08.2001
Die Gelder im öffentlichen Sektor sind knapp, die Vielfalt der Aufgaben bleibt jedoch bestehen - und das bei zunehmend dünner werdender Personaldecke. Das Beispiel Leipzig zeigt, wie Kommunen von Outsourcing im Rahmen einer Public-Private-Partnership profitieren können. Von Jürgen Johnen*

Hängeordner, Umlaufzettel und Karteikarten - in deutschen Amtsstuben sind die letzten Überreste umständlicher Bürokratie inmitten einer multimedial vernetzen Welt zu entdecken. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt eine Studie zum Thema "Electronic Government", die jüngst die Universität Witten/Herdecke erarbeitet hat: Vier von fünf Behördenmitarbeitern in Deutschland haben noch keine Erfahrungen mit dem elektronischen Dienstweg gesammelt. Sie organisieren Waren und Dienstleistungen nicht via Internet, sondern füllen genau wie vor 50 Jahren Anforderungsformulare aus, veröffentlichen Ausschreibungen in Amtsblättern oder tragen Bestellungen zur Post. Verwaltungsreform und Outsourcing-Diskussionen finden verstärkt Eingang in die öffentlichen Körperschaften. 91 Prozent der größten deutschen Kommunen planen die Einführung von E-Government-Konzepten oder arbeiten bereits in Teilen IT-gestützt.

Knappe Kassen und Personalmangel

Dass der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie nicht vor der öffentlichen Verwaltung halt machen wird, steht damit außer Frage. Wenn die Umsetzung im Einzelfall doch länger auf sich warten lässt als vielleicht geplant, sind dafür laut Umfrage des Beratungsunternehmens Pricewaterhouse-Coopers(PwC) folgende Aspekte verantwortlich: Nur zwölf Prozent der befragten Städte verfügen nach eigenen Angaben über eine ausformulierte E-Government-Strategie. Der Mangel an qualifiziertem Personal, so die Meinung von 68 Prozent aller Befragten, mache die Sache nicht leichter. Ebenfalls schleppend vollzögen sich die Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen (68 Prozent) und die übergreifende Koordination zwischen den Kommunen (89 Prozent). Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur E-City seien die knappen Kassen, bestätigten 77 Prozent.

"Kommunen müssen ganz neue Wege gehen, wollen sie diesem Dilemma entkommen", erklärt Peter Kühne, Geschäftsführer der Leipziger Computer und Systemhaus GmbH, kurz Lecos, die als gemeinsame IT-Tochter aus einem im Dezember 2000 zwischen der Stadt Leipzig und dem IT-Riesen IBM geschlossenen Outsourcing-Vertrag hervorgegangen ist. "Natürlich lassen sich durch moderne Datenverarbeitung und Kom-munikationstechnik Rationalisierungspotenziale erschließen. Anfangs ist das jedoch mit beträchtlichen Investitionen verbunden, die viele Kommunen angesichts der angespannten Haushaltslage scheuen", ergänzt Kühne, der vor seiner Geschäftsführertätigkeit seit Anfang der 90er Jahre die Geschicke der internen IT-Abteilung der Stadt Leipzig lenkt.

Die sächsische Kommune hat sich als eine der ersten Städte für ein Modell mit privatwirtschaftichem Partner entschieden. Ziel ist es, öffentliche Leistungen mit Hilfe von Informationstechnik effizienter, kostengünstiger und bürgernah zu erbringen. Darüber hinaus sollen gemeinsam künftige Potenziale elektronischer Verwaltungsdienstleistungen ausgelotet werden, wie beispielsweise Services für Branchenportale, branchenspezifische E-Procurement-Lösungen oder Instrumente für die Online-Verwaltung. Ebenfalls in Angriff nehmen will man neue elektronische Bürgerdienste, Stichwort: virtuelles Rathaus.

Der Bereich Information und Kommunikation (IuK), ehemals die interne IT-Abteilung der Stadt Leipzig, wurde im Rahmen des Outsourcing-Vertrags vollständig in das neu gegründete Gemeinschaftsunternehmen integriert, so dass alle rund 100 IT- und Kommunikationsspezialisten der Stadtverwaltung zu Lecos wechselten. Diese wiederum ist eine Tochter des Dienstleisters IBM Global Services, der 51 Prozent der Lecos-Anteile hält. "Mit dem Outsourcing haben Kommune oder Stadtverwaltung ein Modell an der Hand, das ihnen Investitionssicherheit bietet" erklärt Rudolf Bauer, General Manager von IBM Global Services für Deutschland, Österreich und die Schweiz und Mitglied der Geschäftsführung der IBM Deutschland.

Die neue Outsourcing-Tochter bündelt sämtliche IT-Systeme der kommunalen Verwaltung unter einem Dach, konsolidiert sie und treibt ihre kontinuierliche Weiterentwicklung voran. "Für die Stadt ist das ein ganz entscheidender Schritt, um den Nachweis zu führen, wo die tatsächlichen Kostenblöcke liegen.

1990 mit nur zwei Mitarbeitern gegründet, gehörten dem Bereich IuK bereits ein Jahr später rund 20 Fachleute an, die im Halbjahresrhythmus alle großen Massenverfahren elektronisch abbgebildet haben: Haushaltskassenrechnung, Einwohnerwesen, Ordnungswidrigkeitsverfahren. Ab 1994 wurden dazu parallel im Client-Server-Umfeld viele kleine Applikationen eingesetzt, bevor 1996 die Haushaltskonsolidierung begann und Gelder in beträchtlicher Höhe gekürzt wurden. Der folgende Investitionsstopp führte schließlich zu einer Überalterung der Systeme. "Wir konnten viele Vorhaben und geplante Projekte nicht mehr in Angriff nehmen und büßten unseren Vorteil schnell ein, den wir gegenüber dem Westen durch die Aufbauinvestitionen hatten", erläutert Kühne. 1998 fasste die Stadt Leipzig den Beschluss, die IuK im Rahmen der Strukturreform ganz neu zu organisieren und nach einem privatwirtschaftlichen Partner Ausschau zu halten.

´E-City´ nennt Kühne das Ziel, das man nun anstrebt: Alle Dienstleistungen gegenüber Bürgern, anderen Kommunen und Firmen sollen in einer modernen, elektronischen Plattform integriert werden. "Würden Dienstleistungen von der Stadt in vereinfachter Form angeboten, wären Bürger oder Firmen sicherlich auch bereit, dafür zu zahlen, eventuell sogar mehr als heute, weil für sie ein tatsächlicher Mehrwert entsteht", ist sich Kühne sicher.

Doch für derartige Dienste muss zunächst eine Basis geschaffen werden. Nicht nur in Leipzig geht es im Spannungsfeld IT und kommunale Verwaltung erst einmal darum, die bestehenden DV-Strukturen auf eine neue Plattform zu heben: "Würden wir zum heutigen Zeitpunkt neue Applikationen entwickeln, hieße das, die gesamten Basisplattformen mit hochzuheben. Dann lohnt sich jedoch die Applikation nicht mehr. Sie fahren ja auch nicht mit Ihrem Sportwagen über eine Straße mit Schlaglöchern", erklärt Kühne.

Wunschkennzeichen vie Web

Keine ganz einfache Aufgabe, weder für Leipzig noch für andere Kommunen, die als Träger hoheitlicher Aufgaben eine breite Palette an Dienstleistungen gegenüber dem Bürger anbieten müssen. In Leipzig sind das rund 360 Applikationen, angefangen bei den Massenverfahren bis hin zu Kleinstanwendungen für ganz spezielle Dienste. Es gilt, sämtliche Prozesse, die den Bürger betreffen, abzubilden. Die Rolle von Lecos liegt dabei alleine im IT-Betrieb, Zugriff auf den kommunalen Datenbestand haben die Mitarbeiter um Kühne nicht. "Das Konzept wurde im Vorfeld vom sächsischen Datenschutzbeauftragten geprüft", betont Kühne. "Wir verstehen uns als absolut eigenständiger IT-Dienstleister mit großem Know-how im öffentlichen Sektor. So wollen wir uns am Markt positionieren, gegenüber der Stadt Leipzig, unserem momentan größten Kunden, und gegenüber Dritten."

Typische Bürgerdienste wie das Wunschkennzeichen im Internet könne man vergleichsweise einfach verwirklichen, kompliziert werde es immer dann, wenn Prozesse aufwändige Mechanismen zur Autorisierung und Authentifizierung der Kommunikationspartner erforden. "Mal sehen, was die Einführung der digitalen Signatur in den nächsten Jahren bringen wird", überlegt Kühne.

*Jürgen Johnen ist freier Journalist in Tübingen.

Leipzig - Zahlen, Daten, Fakten-

Bundesstaat Sachsen, rund 500 000 Einwohner;

- zirka 6000 Verwaltungsmitarbeiter in 80 Ämtern an 70 Standorten und 13 Bürgerämter;

- IT-Budget zirka 29 Millionen Mark pro Jahr;

- 98 IT-Mitarbeiter, 66 DV-Ansprechpartner der Ämter;

- Kunden sind die Stadt Leipzig sowie Eigenbetriebe und drei Zweckverbände mit rund 700 sächsischen Kommunen;

- zirka 3300 User (PC, Terminals) in einer heterogenen IT-Welt.