IT im Gesundheitswesen/Universitätsklinikum Essen

Das ATM-Netz hat immer Dienst

16.11.2001
Geschwindigkeit ist am Universitätsklinikum Essen lebenswichtig. Hilfestellung bietet ein neues einheitliches Campus-Netz, das Medienbrüche zwischen den medizinischen Anwendungen und Abteilungen auflöst. Von Achim Born*

Mit über 30 Kliniken und mehr als 20 Instituten sowie einer Bettenkapazität von weit über 1400 zählt das Universitätsklinikum Essen, das rund 4500 Personen beschäftigt, zu den größten Krankenanstalten in Nordrhein-Westfalen. Im Gegensatz zu den Regelkrankenhäusern sind mit Ausnahme der Zahnmedizin sämtliche Fachrichtungen in dem Klinikum vertreten.

Die Digitalisierung des Ärztealltags steigert die Effizienz, wie Peter Gocke, Radiologe am Universitätsklinikum Essen, beobachtet. Seitdem die Erfassung radiologischer Leistungen - Anmeldung, Terminierung, Durchführung, Befundung und Abrechnung einer Untersuchung - mit Hilfe eines Radiologischen Informationssystems (RIS) erfolgt, kann das Untersuchungsergebnis aus der Röntgenabteilung per E-Mail innerhalb von zwei, drei Stunden beim behandelnden Arzt auf der Station vorliegen. Dort lässt sich dann umgehend eine Behandlung einleiten. Das konventionelle Verfahren mit den Arbeitsschritten Diktat, Schreibbüro, Kontrolle/Abzeichnen und Hauspost, hatte bis zu neun Tage gedauert. Zusätzlich kann der behandelnde Arzt die Röntgenbilder direkt am Arbeitsplatz begutachten. Dort ist ein PC mit Java-fähigem Browser erforderlich, der auf den Bild-Server der Radiologie zugreifen kann, auf dem die Aufnahmen in digitalisierter Form vorgehalten werden.

Mit der Archivierung der Aufnahmen wurde ebenfalls begonnen, so dass Ende des Jahres mit Inbetriebnahme des Bildarchivs (Picture Archiving and Communication System = PICS) zu rechnen ist. "Die zeitaufwändigen Entleihprozeduren für Filme und Wartezeiten, wenn andere Abteilungen zuvor den Film angefordert hatten, gehören der Vergangenheit an", freut sich Gocke. Spätestens mit der Einführung des PACS mit einer mehrstufigen Archivierung werden die Tage des klassischen Röntgenfilms am Uniklinikum gezählt sein. Ein Archivraum wird durch die digitale Archivierung obsolet, da nur noch in Ausnahmefällen auf das kostspielige Filmverfahren zurückgegriffen wird. "Ein Glücksfall für das ständig unter Raumknappheit leidende Klinikum", sagt der Radiologe. Er erwartet Einsparungen in Höhe von rund 90 Prozent durch den Betrieb von PACS. Dazu kommen die zeitlichen Vorteile. Dass die Verwaltung ohne Zeitverzug mit Informationen aus der Radiologie versorgt wird und umgehend die Abrechnung mit den Krankenkassen einleiten kann, gehört nicht nur zu den begrüßenswerten Nebeneffekten, sondern wird vom neuen Gesundheitsstrukturgesetz gefordert. Dies schreibt unter anderem eine zeitnahe Information der Krankenkassen für die Bezahlung der Leistungen zwingend vor.

Berechtigte Personen können jederzeit auf sämtliche, den Patienten betreffende Informationen zugreifen, unabhängig davon, ob es sich um Befunddaten, Radiologie-Aufnahmen oder Verwaltungsdaten handelt. Voraussetzung dafür ist ein leistungsfähiges Netzwerk. "Der Ruf nach einer solchen digitalen Patientenakte war vor zirka fünf Jahren der Auslöser, die Struktur unseres Netzes zu überdenken. Man wollte möglichst alle den Patienten betreffendenden Informationen direkt im Zugriff haben", erinnert sich Frank Ressing, Leiter der Abteilung Datentechnik. Denn bis dahin hatte sich in den einzelnen Instituten eine Vielzahl unterschiedlicher Insellösungen etabliert, die sich nur selten miteinander verbinden ließen.

Dies ist aber die Voraussetzung, um das Potenzial der beschriebenen Anwendungen zu erschließen. Hinzu kommt, dass die Dynamik des Klinikumbetriebs eine "kommunikative" Infrastruktur zwingend voraussetzt. Die Mitarbeiter einzelner Kliniken, Institute und Forschungseinrichtungen können überall auf dem Campusgelände verteilt sein. Außerdem müssen immer wieder abteilungsübergreifende Teams gebildet werden. Vor fünf Jahren standen daher die Punkte Hochverfügbarkeit, Flexibilität, Performance und Investitionsschutz weit oben auf der Liste der Anforderungen an ein neues Campus-Netz.

Unübersichtlicher NetzentwurfDa die Standardisierung an OC-48 (Optical Signaling) damals gerade vollendet war, wählte man für die physikalische Übertragungsschicht des ATM-Netzes (SDH/SONET) im Backbone-Ring diese 2,4 GB/s schnelle Variante. Das Ganze wurde aufgrund von Ausfallschutz- und Verfügbarkeitsgründen redundant ausgelegt.

Das Design sah in der Grundstruktur einen Backbone vor, der von drei OC-48c-ATM-Switches gebildet wird. Von diesem Ring aus geht es sternförmig mit OC-12 (622 Mb/s) zu den Gebäudeknoten. Dieser ATM-Inhouse-Switch führt dann mit OC-3 (155 Mb/s), bei neueren Installationen OC-12, zu den Frame-Switches, die über Ethernet die Endgeräte anschließen. Die Backbone-Switches stellen in der Infrastruktur per Net-Net-Interface (NNI) ATM-Vermittlungsknoten für die Gebäude-Switches dar. Die Verbindung zu den Frame-Switches ist als virtuelles User Network Interface (Vuni) ausgelegt, da so mehrere ATM-Endpunkte über ein Interface bedient werden können. "Der Vorteil dieses Netzentwurfs liegt in seiner Übersichtlichkeit", erklärt Ressing.

Linux und Apache im EinsatzDie OC-48-Wahl erwies sich als echtes Ausschlusskriterium. Als es 1999 zur Ausschreibung kam, konnten nur zwei Hersteller liefern. Den Zuschlag erhielt Cisco Systems mit Service-Partner Siemens. Neben technischen Gründen sprach insbesondere der Preis für Cisco. Des Weiteren sind die Cisco-Switches im Vergleich zur Konkurrenz in der Architektur offen gestaltet und erlauben die Umrüstung auf Gigabit-Ethernet. Ressing sieht derzeit keinen Grund, von der gewählten ATM-Strategie abzuweichen, begrüßt aber diese Option.

Ein Team aus zwei Klinik-Netzwerkspezialisten, zwei Siemens-Mitarbeitern und einem Cisco-Berater realisierte das Netz. Rund 18 Monate nahm der Aufbau der Grundstruktur in Anspruch.

Mit dem Campus-Netz, das rund 8.500 Endknoten umfassen wird, sieht er das Essener Klinikum auch auf zukünftige Aufgaben optimal vorbereitet. "Fertig ist man aber nie", sagt Ressing und verweist auf neue Abteilungen wie das Herzzentrum, aber auch auf die Weiterentwicklung des bestehenden Netzes. Wenn die Radiologie ihre digitalisierten Bilder in rund 350 auf dem Campus-Gelände verteilten Räumen zugänglich machen will, muss über die Optimierung des Backplanes des betroffenen Sub-Netzes nachgedacht werden. Kostenbewusst setzt man für die Systemausstattung das freie Betriebssystem Linux und den Freeware- Web-Server "Apache" ein.

Weitere Anwendungen sowie die zahlreichen Abteilungssysteme, die bislang entweder über ein eigenes Netz verfügten oder nicht eingebunden waren, sind mit eigenen Sub-Netzen auf den Backbone geschaltet. Aufgrund der hohen Performance und der Ausfallsicherheit des ATM-Netzes ist es möglich, Systeme zur Überwachung von Patienten, die bislang aus Sicherheitsgründen eigener Netze bedurften, auf das Campus-Netz zu legen.

Der wichtigste Teil der Planung betrifft die Video-Übertragung. Vor allem für das Herzzentrum wird die Übertragung von Live-Bildern aus dem OP im Rahmen von "distance learning" künftig eine herausragende Rolle einnehmen. Heute müssen noch Übertragungswagen zu den Filmarbeiten anrücken. Für einen Krankenhausbetrieb mit seinen hohen Anforderungen an die Hygiene kann dies nur eine Übergangslösung sein. Viel lieber würde Ressing das eigene Glasfasernetz nutzen. Ob ein eigenes Video-Netz realisiert wird oder Video-over-ATM beziehungsweise Video-E(muliertes)LAN eine brauchbare Technik darstellen kann, wird zurzeit intensiv untersucht. (bi)

*Achim Born ist freier Journalist in Köln.