Altes Auswahlprinzip wieder zum Leben erweckt:

Das Assessment-Center: Der Kuß des Todes

03.08.1984

MÜNCHEN - Aus Dutzenden von Bewerbern um eine Stelle den erfolgversprechenden herauszufinden, erfordert Erfahrung, Gespür und Glück des Personalleiters. Das Assessment-Center, wie es die PA Management Consults GmbH, Frankfurt, anbietet, gilt als Instrument, vielgleisig, systematisch und in einer akzeptablen sozialen Situation die Führungskräfteauswahl zu unterstützen, daß dabei offen und vor allem mit harten Bandagen gekämpft wird, scheint eine Ursache für die zunehmende Verbreitung auch im deutschsprachigen Raum zu sein.

Das AC, je nach Zweck auch als Selektionsmaßnahme, Beurteilungs -oder Förderseminar sowie als Laufbahnberatung bezeichnet, ist keine Erfindung der letzten Jahre. Schon die deutsche Reichswehr setzte dieses Verfahren zur Auswahl der Offiziere ein, die US-Armee rekrutierte mit AC-Programmen ihre Spionageabteilungen, schließlich nutzte die amerikanische Industrie nach 1945 die Erfahrungen zur Auswahl ihrer Führungskräfte. Mitte der 70er Jahre gelangte diese Methode nach Deutschland, wo seit 1977 ein Arbeitskreis Assessment-Center besteht.

Dem AC als Auswahlverfahren geht in der Regel neben der Prüfung von Mindestanforderungen die Auswertung eines biographischen Fragebogens voraus. Ist die Spreu vom Weizen getrennt, erhalten die Bewerber mit prinzipieller Eignung eine Einladung. Zuvor werden die Beobachter oder "Assessoren" mit dem Prüfungsverfahren, insbesondere mit der Beurteilungstheorie, vertraut gemacht. Als Ziel gilt dabei, die individuelle Kompetenz zu erhöhen sowie vergleichbare Urteilskriterien zu finden.

Zu dem Seminar, das in der Regel ein- bis dreitägig angesetzt ist, werden mehrere Bewerber eingeladen. Im Durchschnitt vier bis fünf Beobachter, gemischt aus Mitarbeitern des Beratungs- und Auftragsunternehmens, arbeiten mit einer Gruppe von bis zu zehn Bewerbern zusammen. Dieser Gruppentest mit gleichzeitiger Konkurrenzsituation ist eine Besonderheit des AC. Etwa acht bis zehn Arbeitsproben, Simulationen späterer Tätigkeiten, haben die Bewerber zu erledigen. Basis für die Konstruktion der verschiedenen Übungen wie führerlose Gruppendiskussion, Postkorb oder Rollen- und Unternehmensplanspiele im Führungsverhalten und -stil sind psychologische Arbeitsplatzanalysen. Firmenspezifische Aufgabenstellungen erfassen dabei die Arbeitsplatzanforderungen der speziellen Ausschreibung, Standardverfahren erhalten für ganze Berufsgruppen Gültigkeit.

Ein Trend zu unternehmensspezifischen Verfahren scheint sich durchzusetzen. Der Bewerber kann in Situationen beurteilt werden, die für seine spätere Tätigkeit charakteristisch sind. Es ergeben sich Hinweise über Kommunikationsverhalten, Flexibilität, Kreativität, Initiative, Streßresistenz, Sozialverhalten und Auftretensweise. Zugleich erhält er entscheidungsrelevante Informationen über Tätigkeitsinhalte der künftigen Position. Durch den erkennbaren Zusammenhang von Übung und späterer Berufstätigkeit kann allgemein von einer hohen Akzeptanz der funktionsspezifischen Auswahltreffen durch die Bewerber gesprochen werden.

Methode im Wandel

Nach Abschluß des AC und der Auswertung findet ein Feedback über gezeigte Leistungen statt. Schlußfolgerungen über das beobachtete Leistungsverhalten während der Simulation wesentlicher Tätigkeitsinhalte der künftigen Aufgabe vermitteln den Kandidaten eine hohe Augenscheingültigkeit der Bewertungen. Anschließend wird, bei firmeninternen Veranstaltungen, der Trainings- und Förderungsbedarf des Teilnehmers automatisch, Beurteilung und persönliche Stellungnahme nur mit Einstimmung, in die Personalakte aufgenommen.

Die Vielseitigkeit des AC-Verfahrens macht sich bei unterschiedlichen Bewerbungsgruppierungen bemerkbar, etwa Hochschulabsolventen oder Außendienstmitarbeitern. Eine Grenze, dieses Verfahren zu praktizieren, liegt in den oberen Bereichen der Personalstruktur. In diesem öffentlichen Verfahren kann Diskretion oder Anonymität des Kandidaten nicht immer gewährleistet sein.

Aus juristischem Blickwinkel sind Assessment-Center zu praktizieren, solange die im Betriebsverfassungsgesetz verankerten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates gegeben und keine unzulässigen Persönlichkeitstests enthalten sind. Kritik der Methode

Mittlerweile beginnt sich der ursprüngliche Zweck des Selektionsinstruments zur Personalentwicklung und, noch als Randerscheinung, beruflichen Rehabilitation hin zu wandeln. Bei Managementpotentialanalysen etwa können Mitarbeiter für zukünftige Führungsaufgaben ausgewählt werden. In simulierten Situationen zeigen sich Potential und Notwendigkeit für Weiter- und Ausbildungsmaßnahmen. Die interne Führungskräfteentwicklung läßt sich in diesem Rahmen systematisch unterstützen.

Aussagen über den Bildungsbedarf von Mitarbeitern leiten sich durch Assessment-Center-Veranstaltungen ab. In typischen Test-Arbeitssituationen zeigen sich mögliche Wissens- und Verhaltensdefizite. Ein Ausbildungsplan für jeden Teilnehmer als sinnvolle Ergänzung weist die Entwicklungrichtung und gilt gleichzeitig als Parameter für eine zeitlich spätere Entscheidung im Personalbereich.

Neben der allgemeinen Möglichkeit zur Ausbildungsberatung stellt dieses Auswahlverfahren sowohl firmenintern als auch durch Institutionen wie das Arbeitsamt die Voraussetzung für eine realitätsnahe Berufsberatung dar.

Ergebnisse des Beurteilungsinstruments sind dazu geeignet, individuelle Stärken und Schwächen der Mitarbeiter als Anregungen zur Neugestaltung der Arbeitsplätze auszuwerten.

Um behinderte oder versehrte Personen in den Arbeitsprozeß einzugliedern, können, wie in einem Modellverfahren in Schweden, Arbeitssimulationen aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen durchgeführt und vorhandene Kompetenzen festgestellt und bescheinigt werden.

Verschiedene Möglichkeiten, den Anwendungsbereich dieses Instruments über die reine Selektion hinaus zu erweitern, zeigen die volle Bandbreite dieses Verfahrens, das nicht ohne Kritik von Seiten der Kandidaten, aber auch von Fachleuten aus der Eignungsdiagnostik geblieben ist. Firmeninterne Auswahltreffen erhielten in den USA den bezeichnenden Beinamen "Kuß des Todes". Gelang es Mitarbeitern nicht, sich zu qualifizieren, konnten sie sich über kurz oder lang einsargen lassen.

Klarheit über die Rolle des Diagnostikers, dessen Verhaltensstil und ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber seiner Person sowie angemessene wechselseitige Kommunikation und die Einsicht in die Nützlichkeit der AC-Prozedur nehmen der Testsituation für taten und Assessor ihren Zwangscharakter. Die Begegnungsfeindlichkeit der konkurrierenden Bewerber besonders bei einem Einstellungsverfahren jedoch wird nur in minimalem Maß beseitigt. Ein Teilnehmer formulierte es so: "Als erstes muß man über den eigenen moralischen Schatten

springen."