Zentrale Systeme sollen bis Ende des Jahres umgestellt sein

Daimler auf der Überholspur bei der Jahr-2000-Planung

03.12.1998
MÜNCHEN (qua) - Während viele mittelständische Unternehmen mit ihren Jahr-2000-Vorbereitungen noch ganz am Anfang stehen, sind die Großkonzerne teilweise schon recht gut gerüstet. Die Daimler Chrysler AG, Stuttgart, wird Ende dieses Jahres die Umstellung ihrer zentralen Systeme abschließen.

Informationstechnisch hat das Jahr 2000 längst begonnen. Die erste Bekanntschaft mit dem Doppelnull-Problem machte die ehemalige Daimler-Benz AG schon 1996. Damals brachte der Automobilbereich Mercedes-Benz die Modellreihe "SLK" auf den Markt. Für das Coupé lagen in kurzer Zeit so viele Bestellungen vor, daß die Kunden Liefertermine zu Beginn des nächsten Jahrtausends akzeptieren mußten. Doch damit handelte sich die Auftragsannahme ein Problem ein: Das unterstützende Softwaresystem war noch nicht Datum-2000-fähig.

Wie Anton Amann, Leiter des Daimler-Fachgebiets Datenbanken und stellvertretender Leiter der zentralen Jahr-2000-Projektgruppe, erläutert, überlisteten die unternehmenseigenen Informatiker die Software-Applikation, indem sie ihr einredeten, das Jahr 1999 habe mehr als zwölf Monate. Liefertermine in 13/99, 14/99 oder 15/99 verarbeitet das System widerspruchslos.

Solche Lösungen taugen selbstverständlich nur für eine Übergangszeit, deren Ende von vornherein absehbar ist. Mit den Vorbereitungen auf eine unternehmensweite Datumsumstellung hatte Daimler-Benz damals bereits begonnen. 1996 startete der Technologiekonzern zunächst ein Vorprojekt, in dessen Rahmen er herausfinden wollte, an wie viele Programme überhaupt Hand angelegt werden müßte.

Insgesamt fanden sich allein in den 180 Kernsystemen rund 24000 Programme mit durchschnittlich jeweils 1400 Zeilen Code. Die nähere Untersuchung ergab, daß immerhin 4000 Programme keine Anpassung benötigten. Geringfügige Änderungen waren bei 5400 Programmen erforderlich, während 7400 eine umfassendere, aber lediglich interpretative Lösung notwendig machten. Die restlichen 7400 Programme waren dagegen nur durch Änderungen an der Datenbank in das Jahr 2000 hinüberzuretten.

Unternehmen, die heute beginnen, ihre Systeme auf den Jahrtausendwechsel vorzubereiten, werden mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nur noch die besonders geschäftskritischen Anwendungen vor dem Stichtag unter Dach und Fach bringen können. Da sich die Daimler-Benz AG rechtzeitig mit dem Problem auseinandersetzte, war sie noch in der Lage, die Umstellung aller betroffenen Systeme ins Auge zu fassen. Ausnahmen sollten nur gemacht werden, wenn die als Systemeigner verantwortliche Abteilung bis Ende 1998 schriftlich erklärt, daß die jeweilige Applikation vor dem Jahrtausendwechsel abgelöst werde. Diese Regelung schloß die dringende Aufforderung ein, alle geplanten Software-Einführungen spätestens bis zum Sommer des kommenden Jahres durchzuziehen. - Soweit die Theorie. Die Praxis sieht manchmal anders aus.

Beispielsweise unterhält Mercedes-Benz eine Anwendung für die Verwaltung von Ersatzteilen, die bislang im 3270-Modus auf dem hierarchischen Datenbanksystem IDMS läuft, aber so bald wie möglich auf das relationale Produkt "Oracle" portiert werden und mit einer grafischen Benutzer-Schnittstelle ausgerüstet werden soll. Dummerweise läßt sich diese Umstellung, so Amann, in der verbleibenden Zeit nicht bewerkstelligen. Folglich müsse die Applikation in der bestehenden Form Jahr-2000-fähig gemacht werden, was die ursprünglich veranschlagten Migrationskosten möglicherweise auf das Doppelte hochtreibe.

Wenn ein kleines oder mittleres Unternehmen heute externe Berater für die Datumsumstellung benötigt, muß es entweder tief in die Tasche greifen oder lange suchen. Solche Probleme kennt Daimler nicht. In Gestalt der Debis Systemhaus GmbH verfügt der Konzern über einen eigenen Dienstleister mit riesigem Personalstamm. Mit der Umstellung der zentralen Systeme waren laut Amann zeitweilig 100 Debis-Mitarbeiter beschäftigt. Die Kosten dieses Teilvorhabens beziffert der Projektverantwortliche mit 50 Millionen Mark. Die eigentliche Umstellung dieser Systeme wurde im Herbst 1996 in Angriff genommen. Sie soll Ende des laufenden Jahres, also mehr als zwei Jahre nach ihrem Start, abgeschlossen sein.

Die Entscheidung über technische Einzelheiten hat Daimler den Debis-Spezialisten überlassen. Dazu gehört beispielsweise die Frage, ob es jeweils besser sei, die in einer Anwendung vorkommenden Jahreszahlen auf vier Stellen zu erweitern oder aber die Programmlogik zu ändern. Die Gesamtverantwortung für das Projekt liegt in den Händen des konzerninternen Kunden, der allerdings von einem aus Daimler-Managern und Mitarbeitern der Debis Systemhaus GmbH zusammengesetzten Lenkungsausschuß unterstützt wird.

Gleichzeitig mit den Anpassungsarbeiten an der zentralen Informationstechnik begann der Konzern auch mit der Umstellung der lokalen Systeme. Dieses Projekt wird voraussichtlich erst im Frühjahr 1999 abgeschlossen. Die individuelle Datenverarbeitung, sprich: die PC- und LAN-Welt, befindet sich seit Anfang 1998 in Jahr-2000-Behandlung, die wohl frühestens im Dezember 1999 beendet sein wird. Aber mit diesem Risiko kann das Unternehmen leben.

Ein gravierenderes Problem ist die Netzinfrastruktur. Amann räumt ein, daß es für Daimler hier noch viel zu tun gebe. Er äußert aber die Zuversicht, daß auch dieses Projekt im Juni des kommenden Jahres erfolgreich beendet werden könne.

Leider sind die Jahr-2000-Probleme mit der Umstellung der klassischen DV noch nicht gelöst. Einzubinden sind auch die Produktions- und Haustechnik, die Informationstechnik der Lieferanten, Vertriebsniederlassungen und Werkstätten sowie die Embedded-Systeme im Produktbereich. Das alles schließt Amann ein, wenn er andeutet, daß Daimler Chrysler das Jahr-2000-Vorhaben derzeit "auf breitere Beine" stelle. Die Gesamtkosten für die konzernweite Umstellung beziffert der Projektverantwortliche mit 200 bis 250 Millionen Mark. Das ist auch für Deutschlands größten Konzern kein Pappenstiel. "Wir werden dadurch nicht in Liquiditätsschwierigkeiten geraten, aber es schmerzt uns schon", klagt Amann.

In den einzelnen Bereichen des weitverzweigten Daimler-Konzerns sind die Vorbereitungen auf das Jahr 2000 unterschiedlich weit fortgeschritten, und die notwendigen Maßnahmen divergieren beträchtlich. So hat beispielsweise die Luft-und-Raumfahrt-Division Dasa große Probleme mit Embedded-Systemen, dafür aber kaum mit der individuellen Datenverarbeitung.

Um den kürzlich akquirierten Chrysler-Zweig braucht sich das Daimler-Management offenbar weniger Sorgen zu machen. Laut Amann sind die Amerikaner mit ihren Jahr-2000-Projekten mindestens ebenso weit gediehen wie die Deutschen.

Das zentrale Projektteam hofft, die bis Juni nächsten Jahres verbleibende Zeit optimal nutzen zu können, indem es den Rahmen des Vorhabens um eine konzernumfassende Perspektive erweitert. Damit will es unternehmensübergreifende Synergien möglich machen - beispielsweise dann, wenn ein bestimmter Robotertyp in unterschiedlichen Konzernteilen zum Einsatz kommt. Letztlich soll die Verantwortung für die Jahr-2000-Fähigkeit jedes einzelnen Systems aber nach wie vor bei der Einheit vor Ort liegen.

Amann gibt sich überzeugt, daß der Konzern bis Mitte 1999 alle "wesentlichen Punkte" des Projekts erfüllt haben wird, so daß alle unternehmenskritischen Anwendungen anstandslos funktionieren. Mit Hilfe eines ausgefeilten Berichtswesens sollen etwaige Sorgenkinder frühzeitig erkannt werden. In regelmäßigen - auf den jeweiligen Zuständigkeitsbereich abgestimmten - Abständen speisen die Verantwortlichen via Intranet eine kurze Lagemeldung in eine dafür angelegte Datenbank ein. Das zentrale Projektteam sieht auf diese Weise mit einem Blick, welche Systeme zu wieviel Prozent umgestellt sind und wo es Probleme gibt, den Zeitplan einzuhalten.

Sollte an der einen oder anderen Stelle die Deadline überschritten werden, hat Daimler auch Pläne für eine anschließende Weiterentwicklung in petto. Nur für den Fall der Fälle ist das Unternehmen bislang nicht gerüstet: Den von der amerikanischen Börsenaufsicht geforderten Notfallplan für die Fortführung der Geschäfte in einer Krisensituation will es erst im kommenden Jahr - nach Abschluß der meisten Teilprojekte - erarbeiten.

Auf die Frage nach den größten verbleibenden Risiken antwortet das Unternehmen: Produktionstechnik, ausländische Standorte, vor allem aber Lieferanten. Von den Zulieferern kämen teilweise völlig unzureichende oder schlichtweg falsche Informationen. So hätte beispielsweise ein großer deutscher Hersteller im Haustechnikbereich Mitte dieses Jahres eine neue Maschine an das Daimler-Werk Gaggenau geliefert und dabei deren Datum-2000-Fähigkeit bestätigt. Beim Test stellte sich jedoch heraus, daß das Gerät zwar ordnungsgemäß vom 31. Dezember 1999 auf den 1. Januar 2000 überging, aber nach dem Abschalten das Datum wieder auf den 1. Januar 1980 zurückstellte. Eine andere Maschine in Ludwigsfelde weigerte sich konstant, überhaupt weiter als bis zum 31. Dezember 1999 zu zählen. In Düsseldorf wäre im Ernstfall die ganze Produktion zusammengebrochen, weil das übergeordnete Leitsystem keine Rückmeldungen mehr bekommen hätte; in der Mannheimer Motorenfertigung hätte es Ausfälle bei den Härte- und Schleifmaschinen gegeben, weil einzelne Baugruppen nicht mehr funktionierten und die dahinterliegende Datenbank zerstört worden wäre.

Aus diesen und einer langen Liste anderer Fehler zog Daimler den Schluß, daß auf die Aussagen der Lieferanten kein Verlaß sei. Folglich entwickelte das Unternehmen eigene Testprozeduren, die jede neu anzuschaffende Maschine bestehen muß. Wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg der Jahr-2000-Umstellung sind, das wird Amann nicht müde zu betonen, eine sorgfältige Inventarisierung aller Systeme und genug Zeit für ausgiebige Tests.

Einen Teil des in der Automobilindustrie gravierenden Zulieferproblems versucht die Daimler Chrysler AG zu lösen, indem sie die zum Teil sehr eng mit dem Konzern verbandelten Teilefertiger in die Pflicht nimmt. Sie hat im April dieses Jahres an etwa 1800 Lieferanten einen Fragebogen ausgesandt, der die Empfänger um eine selbstkritische Einschätzung ihrer Jahr-2000-Fähigkeit bittet. 60 Prozent der Antworten sind bereits wieder eingegangen. Demzufolge geben vier Prozent der Zulieferer zu, überhaupt noch nichts unternommen zu haben, aber immerhin sieben Prozent sind überzeugt, schon bestens vorbereitet zu sein.

Auf die Fragebogenmethode mag sich Daimler aber nur bei weniger wichtigen Zulieferern verlassen. Die Unternehmen, denen der Konzern mehr als zehn Millionen Mark Umsatz beschert oder die qusi unersetzbar sind, müssen sich intensiver auf den Zahn fühlen lassen. Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) hat es übernommen, die in der gesamten Autobranche notwendigen Überprüfungen zu systematisieren. Die Fahrzeughersteller konnten bis zum vergangenen Oktober ihre wichtigsten Lieferanten beim VDA melden, der daraufhin ein Audit durch einen unabhängigen Dienstleister vermittelte. Vorteil für den Zulieferer: Er muß die Prozedur nur einmal über sich ergehen lassen. Für die Autokonzerne: Sie teilen sich die Kosten mit ihren Mitbewerbern.

Auf die Frage, was passiert, wenn der eine oder andere Zulieferer den Sprung ins Jahr 2000 nicht schaffen sollte, weiß Amann allerdings auch keine schlüssige Antwort. "Wir können nur versuchen, das Problem gemeinsam zu lösen."