Nach Low-end- jetzt Top-Maschine

Cray Research steigt mit der Y-MP C90 in Gflop-Höhen auf

22.11.1991

MÜNCHEN/EAGAN (jm) -Cray Research ist in der Offensive:Während andere Supercomputer-Hersteller das Handtuch werfen müssen oder sich zumindest hartnäckig das Gerücht hält, ihnen stünde das Wasser bis zum Hals, rollt Cray-Research-CEO John Rollwagen eine neue Maschine nach der anderen aus seinen Entwicklungslabors. Das jetzt der Öffentlichkeit vorgestellte 16-Prozessor-Modell C90 stellt bereits die dritte Neuankündigung von Cray Research in diesem Jahr dar. Es löst mit der vierfachen Leistung die Y-MP/8 an der Spitze ab.

Beim großen Shake-out der Supercomputer-Hersteller mußte schon vor zwei Jahren Control Data mit ihren ETA-Systemen die Segel streichen. Das deutsche Prestigeprojekt Suprenum unter Federführung der Professoren Wolfgang K. Giloi und Ulrich Trottenberg heimste nicht rechtzeitig die Erfolge ein, die über die ohnehin vom Forschungsminister bereitgestellten 180 Millionen Mark weitere Zahlungen hätten rechtfertigen können.

Auch Multiflow mit dem deutschen Distributor GEI spürte den harten Wind der Konkurrenz. Jüngstes Opfer der Darwinschen Auslese ist BBN. Nicht endgültig widerlegt sind zudem die Stimmen, welche Cray Research zutrauen, sich nach Minisupercomputer-Hersteller Supertek auch die havarierende Floating Point Systems einzuverleiben.

Und wer Fachleute nach ihrer Meinung zu den Vorgängen bei Alliant befragt, vernimmt verdächtig wenig, und was er hört, ist nichts Positives. Meint ein Insider aus dem universitären Bereich: "Da kommen ganz eigenartige Signale von seiten Alliants."

Deren bestes Pferd im deutschen Stall, Kolja Kuse, ist mittlerweile bei der Cray Research GmbH für den Aufbau des Minisupercomputer-Bereiches zuständig, die Münchner Alliant-Dependance - ehemals Hauptniederlassung der Amerikaner in Deutschland - erledigt nur noch "die Betreuung der alten Basis zur Erfüllung der Verträge", wie Alliants neuer Geschäftsführer Bernd Kuhne ausführt. Kuhne, der an zwei Tagen in der Woche die Geschäfte der GmbH nun von Frankfurt aus führt, hielt gegenüber der COMPUTERWOCHE allerdings nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg, wer für das momentan schlechte Image von Alliant verantwortlich ist: Seiner Ansicht nach streut die Konkurrenz fleißig Gerüchte über die marode Situation bei Alliant aus, weil sie Angst vor dem überzeugenden Produktangebot der Leute aus Littleton, Massachusetts, habe.

Cray Research kann derweil noch recht gut mit dem Kuhne-Vorwurf leben, der Zug sei im Supercomputer-Segment für Vektorrechner Ó la Cray abgefahren. Massiv-parallel sei die Losung, und die Konkurrenz - wie eben die Entwickler um Rollwagen - hätten die technologische Entwicklung verschlafen.

Die Zahlen der installierten Systeme zeigen hingegen, daß der Anwender das Angebot von Cray durchaus goutiert: Allein in Deutschland stammen nach einer Erhebung der Supercomputer-Spezialisten Hans-Werner Meuer und Erich Strohmaier von der Uni Mannheim (siehe auch diese CW Seite 29: "Für massiv-parallele Rechner...") von insgesamt 36 Supercomputern der obersten Leistungsklasse 19 aus den Produktionshallen der Cray Research.

Abgesehen davon hat Rollwagen seinen für die Entwicklung des jetzt vorgestellten C9O-Top-Rechners verantwortlichen Spezialisten, Steve Nelson, schon seit Beginn des Jahres auf ein massiv-paralleles Rechnerprojekt angesetzt. Bei Cray rechnet man allerdings nicht vor Mitte der 90er Jahre - eher Ende des Jahrhunderts - mit einem konkreten, sprich: markt- und serienreifen Ergebnis.

Probleme stellen für solche massiv-parallelen Rechner nach Worten von Nelson sowohl die Prozessorleistung als auch die Speichergröße sowie die Kosten für die Verbindungen und Prozessoren dar. Entscheidend allerdings nach Meinung des Cray-Entwicklers ist einmal mehr die Softwareproblematik.

Der C9O-Rechner ist nach Unternehmensangaben völlig binärkompatibel zu den Y-MP-Systemen.

Jede der maximal 16 komplett neu entworfenen CPUs (0-Ton Cray Research) weise eine - zumindest theoretisch erreichbare - Höchstleistung von einem Gflop auf.

Der Supercomputer läuft unter dem "Unicos"-Betriebssystem, Crays Unix-Variante, bisherige Programme könnten deshalb ohne Änderungen auch auf dem neuen Spitzenmodell genutzt werden. An Compilern stehen CF77 Fortran, Cray Standard C, Cray Ada sowie Pascal zur Verfügung. Zudem liefert Cray eine Autotasking-Software, die die Auf- und Verteilung von Aufgaben auf die maximal 16 CPUs erledigt.

Bislang lägen bereits sechs Bestellungen und eine Absichtserklärung zum Kauf für den mit doppelt ausgelegten Vektor-Pipelines versehenen C90-Rechner vor.

Die erste "internationale Installation" wird beim britischen Wettervorhersagedienst ECMWF vorgenommen.