Nach COS-Weltreise und Kooperationszusicherung an Europäer zeigt sich:

COS und Spag noch nicht im selben OSI-Boot

19.09.1986

BRÜSSEL/TOKIO - Bisher offenbar nur zwei (ungenannte) europäische Mitglieder konnten, nach Agenturmeldungen aus Japan, das Topmanagement der amerikanischen Corporation for Open Systems, COS, auf ihrer weltweiten Anwerbe-Tournee zu Beitrittsplänen veranlassen. Kurz vor Gründung der Spag Services AG, Brüssel, konterkariert die US-Organisation diese europäische Initiative, die gleichfalls zur Beschleunigung der Validierung von OSI-Protokollen für den Einsatz in Multivendor-Konfigurationen von acht Mitgliedern der Spag-Gruppe gegründet wird.

Die inzwischen schon mitgliedsstarke (56) amerikanische "Non-Profit-Organisation" COS, die im Gegenzug zur europäischen Spag nach einjährigen Präliminarien erst im März 1986 fest installiert wurde, hat sich auf den ersten Blick ähnliche Ziele auf die Fahnen geschrieben, wie die zuerst ins Leben gerufene Initiative der Alten Welt, die Standard Promotion and Application Group, Spag. Ihr gehören bisher zwölf europäische Hersteller an: AEG, Bull, CGE, GEC, ICL, Nixdorf, Philips, Plessey, Thompson, Siemens, Stet und Olivetti. Beiden Institutionen geht es erklärtermaßen um die möglichst schnelle Einführung weltweit einsetzbarer und international verbindlicher Kommunikationsstandards auf der Basis des Open-Systems-Interconnection-Modells. Vorrangig sollen der File-Transfer (FTAM) und Electronic Mail (MHS/X.400) behandelt werden. Unterschiede bestehen allerdings hinsichtlich des Wegs, über den dieses Ziel erreicht werden

soll.

Fragen zur Lizenzierung und Verfügbarkeit

Zwar existieren Kontakte und daraus resultierende Kooperationsabsichten zwischen den Amerikanern und den Europäern (siehe CW Nr. 36/86, Seite 3), und auch die Japaner bleiben, was die COS-Weltreise erneut beweist, nicht außen vor, doch geben sich - die Werbeveranstaltungen der COS-Abgesandten in Brüssel und Tokio zeigten es deutlich -die umworbenen Professionals in den maßgeblichen Nicht-US-Unternehmen sehr spröde, wenn nicht sogar mißtrauisch. Insgesamt 40 potentielle COS-Mitglieder wurden jeweils in Brüssel und in Tokio zu Präsentationen eingeladen.

Dieses mangelnde Vertrauen resultiert nach eigenem Bekunden weniger aus Zweifeln an der Kompetenz und der Realisierbarkeit des komplexen Vorhabens unter der Schirmherrschaft der COS, als aus den nicht ausreichend präzisen Antworten des COS-Präsidenten Lincoln D. Faurer auf Fragen zur künftigen Lizenzierung und Verfügbarkeit der von COS-Mitgliedern entwickelten und schließlich mit einem COS-Zertifikat versehenen Produkte.

COS-Chairman Thomas Chun (Tandem), Begleiter des ehemaligen Drei-Sterne-Generals auf seiner Rekrutierungstour, mußte auf nachhaltiges Befragen schließlich darauf verweisen, daß es sich bei COS natürlich um "ein amerikanisches Unternehmen unter amerikanischem Recht" handele - eine Tatsache, die in Brüssel den von den Cocom-Vorschriften abhängigen europäischen Herstellern offenbar einige Zurückhaltung auferlegte, die aber die von den wechselnden US-Ausfuhrbestimmungen betroffenen Großanwender zu erstaunlich "kritischen" Fragen zu Rechts- und speziell zu Lizenzierungs- und Zertifizierungsproblemen anregte. Die Antworten des Generals vermochten bisher wohl nicht zu überzeugen. Immerhin ist darüber hinaus eine COS-Mitgliedschaft mit erheblichen Kosten und zeitlichem Engagement (siehe Kasten) der weltweit nur sehr wenigen und ohnehin bereits sehr ausgelasteten OSI-Spezialisten verbunden.

Bis zum 15. Oktober wurde jetzt zum zweiten Mal die Zeitspanne verlängert, innerhalb der eine COS-Mitgliedschaft noch zum "Subskriptionspreis" möglich ist. Ursprünglich sollten die Sonderkonditionen nur bis zum 1. Juni dieses Jahres gelten. Umworben sind vor allem, neben den genannten Spag-Mitgliedern, auch Großanwender, vergleichbar COS-Mitgliedern wie Boeing Computer Services oder auch Visa International.

Bereits die ersten 17 amerikanischen OSI-Protagonisten, die sich unter dem Kürzel COS zusammenfanden, repräsentierten, so vermitteln es die US-Unterlagen, einen Jahresumsatz von 80 Milliarden Dollar für Computer- und Kommunikationsequipment sowie Services, obwohl IBM in dieser Riege noch nicht vertreten war. Der Beitritt Big Blues Mitte Februar dieses Jahres erfolgte fast unmittelbar vor der festen Installation des "Unternehmens" COS in Vienna/Virginia Anfang März.

Dieses und ein Ankündigungskrieg, der sich auf sogenannte OSI-Software bezog, sowie unterschiedliche Aktivitäten in unterschiedlichen Institutionen, die in Europa den Postverwaltungen, der EG-Kommission, und den Normierungsgremien ISO und CCITT sowie speziell den europäischen Standardisierungsgremien CEN/CENELEC nahestehen, erzeugte bei den Anwendern eine eher skeptische und daher abwartende Haltung dem Thema OSI gegenüber Verbreitet herrscht die Ansicht, daß es entgegen allen Beteuerungen künftig verschiedene sogenannte "OSI-Standards" geben werde, womit der eigentliche Zweck des weltweit als vorrangig und notwenig erachteten Normungsvorhabens verfehlt würde.

Da die IBM, sei es die Mutter in den USA, sei es IBM Europe, inzwischen auf fast allen OSI-Hochzeiten mittanzt, und darüber hinaus ab Oktober in ihrem Forschungszentrum La Gaude auch noch einen kostenlosen "OSI-Verification Service" für ihre IBM-OSI-Produkte anbietet (siehe CW Nr. 36, Seite 3), hat die Verwirrung der Anwender und der kleineren Hersteller einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Immerhin trägt das COS-Engagement weltweit zu einem Klärungsprozeß bei, der durch die Gründung der Spag Services AG jetzt noch unterstützt werden dürfte. Gewollte und ungewollte Mißverständnisse auf der politischen und der fachlichen Ebene könnten über einen "Konsens der Techniker" schließlich doch noch zu einer für alle Beteiligten jedenfalls technisch befriedigenden Lösung führen. So artikulierten sich in Brüssel anwesende Hersteller, die als nächsten Schritt auf dem Wege, Validation-Tools "für jedermann" zu produzieren, weniger die "Managerlösung" der COS sinnvoll finden als die Einrichtung einer Schnittstelle zwischen COS Services und Spag Services, die mit einiger wenigen Technikern besetzt ist.

Europäer reserviert gegenüber US-Zertifikat

Die in COS organisierten amerikanischen Hersteller können in Europa und Japan indessen gewichtige politische Argumente für die Mitgliedschaft in ihrer Dachorganisation in die Waagschale werfen. Dennoch reichen das überwältigende Marktvolumen, die Zusicherung von Partizipationsrechten an den schließlich von den COS-Päpsten ausgewählten Validierungstools mit einem COS-Prüfsiegel und die Hinzuziehung von hochqualifizierten US-Spezialisten (ITI, Industrial Technology Institute, Ann Arbor, Michigan, U.S.) sowie der zögerliche Verweis auf eine Zusammenarbeit mit der Spag offensichtlich nicht aus, dem kräftigen OSI-Verfechter in der Neuen Welt auch hierzulande viele Wurzeln und Ableger zu verschaffen. Zweimal schon wurde die Beitrittsfrist mit den günstigeren finanziellen Bedingungen verlängert, dennoch bekennt sich (siehe Vorspann) immer noch kein europäisches Unternehmen offen zu einer Mitgliedschaft. Wie bezeichnenderweise erst in Japan bekannt wurde, sollen jetzt immerhin zwei Europäer COS näher- beziehungsweise beigetreten sein.

Als sicher gilt, daß eine der britischen Regierung unterstellte Vereinigung von Computer-Zentren, die große Beschaffungsmengen aus den USA beziehen, die auf den Wehretat des United Kingdom entfallen, den Schritt zu COS gemacht hat. Begründung: Man glaube nicht an "alleinseligmachende europäische Normen", sondern an "internationale" Normen. Als zweiter, weiterer Partner wird ICL gehandelt, bisher bereits gewichtiges Mitglied in der europäischen Spag-Gruppe. Diese angloamerikanische Annäherung war von deutschen Spag-Mitgliedern schon prophezeit worden.

Wie sich die künftige Spag Services nun -derartiger Vorwürfe, nämlich nicht-internationale Normen zu protegieren, erwehren wird, ist abzuwarten. Offenbar ist die Mehrheit der Europäer jedoch nicht gewillt, ein Zertifikat, das nur US-Stempel trägt, zu akzeptieren. Öffentliche Lizenzierung, im Gegensatz zu der von COS ins Auge gefaßten Art von Profil-Festlegungen, wie sie nicht öffentlich kontrolliert werden könnten, heißt hier die Devise. Diese öffentliche Kontrolle sollte durch die internationalen Standardisierungsgremien erfolgen, zum Beispiel durch die ISO, CCITT, CEN/CENELEC CEPT etc. Weiterer Kritikpunkt ist die Hierarchie innerhalb der COS, die durch eine Drei-Klassen-Mitgliedschaft geprägt ist. "Man kann sich an den Fingern abzählen, daß die Gewichte innerhalb von COS nicht gleich verteilt sind, sei es, daß nicht alle Leute in allen Gremien sitzen, sei es, daß man die Hierarchie entsprechend gestaltet. Sicher kann man sich nur sein, daß da irgendwo gerubelt wird", so der Kommentar eines Brüssel-Reisenden auf dem Rückflug nach München.

Die Jahresbeiträge belaufen sich auf mindestens 25000 Dollar (Sonderkonditionen bis 15. Oktober).

Danach erhöht sich dieser Betrag auf 50000 Dollar. Alle COS-Mitglieder können, abhängig vom Umsatz, Research und Senior Research Member werden.

Mitglieder, die einen jährlichem Umsatz mit IuK-Equipment tätigen, der über 25 Millionen Dollar liegt, müssen in einen der beiden möglichen "Forschungsverträge" einsteigen.

Nach Ablauf der Frist für Sonderkonditionen wird der Jaresbeitrag 50000 Dollar für den einfachen "Forschungsvertrag" betragen. Für einen "Senior Research Contract" beträgt der Beitrag 375000 Dollar im ersten vollen Kalenderjahr; 1986 erst 100000 Dollar.

Die Meetings der Strategie-Foren sollen im ein- oder zweimonatlichen Rhythmus in den USA, Europa und Fernost stattfinden.

Die Mitgliederzahl soll auf ungefähr 100 steigen (zur Zeit: 56).