Bundesgerichtshof läßt Fragen zum Software-Copyright offen

Copyright-Schutz gilt nur für überdurchschnittliche Software

19.04.1991

Nixdorf gegen Nixdorf: der kleine Gebrauchtcomputer-Händler Manfred Nixdorf gegen die Aktiengesellschaft seines verstorbenen Namensvetters. Seit Jahren beschäftigt ihr Streit die deutschen Gerichte. Es geht um mindestens zwei grundsätzliche Probleme: Worauf gründen die Eigentümerrechte eines Software-Herstellers und wie weit reichen sie?

Kurz vor Weihnachten ist eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Urheberrechtsschutzfähigkeit von Computerprogrammen bekannt geworden. Dem Bundesgerichtshof lag folgender Fall zur Entscheidung vor:

Die Nixdorf AG verkaufte und vermietete ihre Hardware. An ihrer Systemsoftware räumte sie ihren Vertragspartnern jedoch nur ein einfaches, auf den jeweiligen Vertragspartner bezogenes Nutzungsrecht ein. Der Vertragspartner war somit - nach Ansicht der Nixdorf AG - berechtigt, beispielsweise im Falle eines Systemwechsels seine alte Hardware zu verkaufen, nicht jedoch das dazugehörige Betriebssystem. Dadurch wurde erkennbar versucht, marktpolitische Ziele durchzusetzen. Ein Händler, der eine gebrauchte Nixdorf-Anlage zusammen mit dem Betriebssystem verkaufte, wurde auf Unterlassung und Schadenersatz gerichtlich in Anspruch genommen.

Kein Einfluß auf den weiteren Verbleib

Das LG Bielefeld hat nach Anhörung eines Sachverständigen die Urheberrechtsschutzfähigkeit der Nixdorf-Systemsoftware bejaht. Die Klage wurde trotzdem abgewiesen, da das LG Bielefeld von einem einheitlichen Kaufvertrag ausging, so daß insoweit auch für die Systemsoftware eine "urheberrechtliche Erschöpfung" eingetreten ist. Dies bedeutet, daß bezüglich eines einmal rechtmäßig in Verkehr gebrachten urheberrechtlich geschützten Originalwerkes, der Urheber keine Möglichkeit mehr besitzt, auf dessen weiteren Verbleib Einfluß zu nehmen (wenn man von Ausnahmefällen, wie zum Beispiel der Einstellung eines Werkes absieht).

Der berechtigte Erwerber eines urheberrechtlich geschützten Werkes kann dieses also frei weiter veräußern. Der Händler durfte demnach die Original-Hard- und -Software verkaufen.

Das OLG Hamm als Berufungsgericht war demgegenüber der Auffassung, daß die Nixdorf AG nicht ausführlich genug dargelegt hätte, was an ihrer Systemsoftware überhaupt eine eigenschöpferische Leistung sei, die einen Urheberrechtsschutz begründen würde.

Der Bundesgerichtshof hat nun im Dezember 1990 die Entscheidung des OLG Hamm aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof war hierbei der Ansicht, daß die Anforderungen des OLG Hamm an die Darlegungsverpflichtung der Klägern zur Begründung der Urheberrechtsschutzfähigkeit ihrer Systemsoftware nicht überzogen werden dürfte.

Wohl hält der BGH auch in dieser neuen Entscheidung des BGH erklärtermaßen an seinen in der sogenannten "Inkasso-Programm" -Entscheidung ausgestellten Prüfkriterien grundsätzlich fest.

Erfreulich ist jedoch, daß in der neuen Entscheidung trotz formal ähnlicher Wortwahl nach meiner Ansicht deutlich neue Akzente gesetzt worden sind. In seiner "Inkasso-Programm" -Entscheidung forderte der Bundesgerichtshof:

"Auszugehen ist von den vorbekannten Programmen und den Arbeitsergebnissen der einzelnen Entwicklungsstufen mit ihren jeweils bekannten und üblichen Anordnungen, Systemen, Aufbau- und Einteilungsprinzipien. Alle in deren Nähe bleibende Gestaltungsformen besitzen keinen hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad; auch die bloße mechanisch-technische Fortführung und Entwicklung des Vorbekannten bleibt in diesem Bereich. Lassen sich nach Maßgabe des Gesamtvergleiches mit dem Vorbekannten schöpferische Eigenheiten feststellen, so sind diese dem Schaffen eines Durchschnittsprogrammierers gegenüberzustellen. Das Können eines Durchschnittsgestalters, das rein handwerksmäßige, die mechanisch-technische

Aneinanderreihung und Zusammenfügung des Materials liegt außerhalb jeder Schutzfähigkeit. Erst in einem erheblich weiteren Abstand beginnt die untere Grenze der Urheberrechtsschutzfähigkeit, die ein deutliches Überragen der Gestaltungstätigkeit in Auswahl, Sammlung, Anordnung und Einteilung der Informationsanweisungen gegenüber dem allgemeinen Durchschnittskönnen voraussetzt."

Mehr als nur handwerkliche Routine

Nunmehr geht der BGH von folgenden Voraussetzungen aus: "Die Frage der schöpferischen Eigentümlichkeit bemißt sich nach dem Gesamtvergleich gegenüber vorbestehenden Gestaltungen. Lassen sich nach Maßgabe dieses Gesamtvergleiches schöpferische Eigenheiten feststellen, so sind diese dem durchschnittlichen Schaffen bei der Programmherstellung gegenüberzustellen.

Eine für die Urheberrechtsschutzfähigkeit hinreichende Gestaltungshöhe wird erst erreicht, wenn das alltägliche, durchschnittliche Programmiererschaffen, das auf einer mehr oder weniger routinemäßigen, handwerksmäßigen, mechanisch-technischen Aneinanderreihung und Zusammenfügung des Materials beruht, deutlich überstiegen wird."

Es bleibt zu hoffen, daß die neue Wortwahl des BGH nicht nur eine neue "mechanisch-technische Aneinanderreihung und Zusammenfügung" der bekannten Begriffe ist, sondern, daß der "Durchschnittsprogrammierer" zugunsten des "durchschnittlichen Schaffens bei der Programmerstellung" seinen endgültigen Auszug aus der Rechtsprechung gefunden hat.

Der "Durchschnittsfachmann hat im Patentrecht bei der Beurteilung der Erfindungshöhe seine Berechtigung, also bei der Frage, ob ausgehend vom bekannten Stand der Technik die gewählte Lösung in technischer Hinsicht naheliegend war oder nicht. Demgegenüber ist der "Durchschnittsprogrammierer" bei dem technischen Sprachwerk Computerprogramm ebenso systemwidrig wie der "Durchschnittskomponist" im Bereich der Musikwerke.

Auch ein überdurchschnittlicher Programmierer wird einen nicht unbeachtlichen Teil seiner Arbeitskraft "einer mehr oder weniger routinemäßigen handwerksmäßigen, mechanisch technischen Aneinanderreihung und Zusammenfügung des Materials" widmen. Demgegenüber kann auch ein "unterdurchschnittlicher Programmierer" in bestimmten Fällen Programme mit einer schöpferischen Eigentümlichkeit erstelIen. Entscheidend ist, und dies kommt in der neuen BGH-Entscheidung wesentlich klarer als bisher zum Ausdruck, nicht die (überspitzt ausgedrückt) Examensnote des Informatikers, sondern die Frage, ob das konkrete Programm eine schöpferische Eigentümlichkeit aufweist.

Bei Werken, die man landläufig nicht den schönen Künsten zuordnen kann (zum Beispiel Lexika, wissenschaftliche Bücher, Computerprogramme und dergleichen), hat der BGH in ständiger Rechtsprechung (scheinbar) strengere Anforderungen an die Schutzfähigkeit gestellt.

Grenzen der schöpferischen Leistung

Bei diesen Werken verbleibt zumeist jedoch nur ein eingeschränkter Bereich für die Entwicklung einer persönlichen geistigen Schöpfung. Dies ist darauf zurückzuführen, daß vorgegebene Fakten (zum Beispiel bei Geschichtsbüchern), durch die Aufgabenstellung bedingte oder naheliegende Lösung (bei einem Computerprogramm) und dergleichen keine persönlichen geistigen Schöpfungen sein können.

Bei derart engen Vorgaben kann die persönliche, geistige Schöpfung nur noch in der Auswahl, Sammlung, Anordnung und Einteilung des "Materials" liegen.

Bei der Systemsoftware ist die Möglichkeit für eine eigenschöpferische Leistung begrenzt durch den Mikroprozessor des jeweiligen Rechners. Bei einem Compiler ist sie begrenzt durch die Möglichkeiten des Betriebssystems, bei einem Anwenderprogramm durch die Möglichkeiten, die Compiler und Betriebssystem bieten etc. Derartige technische Vorgaben, beziehungsweise deren unmittelbare Umsetzung (zum Beispiel die unmittelbare Umsetzung einer einfacheren mathematischen Formel in einen Befehlssatz) können nicht Gegenstand einer eigenschöpferischen Leistung sein. Auch ist dem BGH zuzustimmen, daß weder der quantitative Umfang eines Programmes noch die Entwicklungskosten eine unmittelbare Auswirkung auf die Werksqualität haben. Wie der BGH jedoch ausführt, können derartige Merkmale (zum Beispiel auch ein Lob in der Fachpresse, wenn es im Prozeß entsprechend vorgetragen wird) ein Indiz für eine eigenschöpferische Leistung sein.

Erfreulicherweise geht der BGH in dieser seiner Entscheidung auf die in letzter Zeit insbesondere von Professor Lehmann (München) vertretene Ansicht, daß auch Merkmale wie "Fehlerfreiheit" und das "Vorhandensein eines Kopierschutzes" Kriterien für die Schutzfähigkeit sind, nicht ein. Ich persönlich halte derartige Kriterien für contra legem. Wenn ein Roman von Hemingway mit Druckfehlern veröffentlicht wird, dann ist das Buch mangelhaft, urheberrechtlich jedoch immer noch ein geschütztes Werk. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, wenn die Ansicht vertreten wird, daß der Programmierer durch Anbringung eines Kopierschutzes zu erkennen geben muß, daß er sein Werk für schützenswert hält. Weder eine Schallplatte, noch ein Buch ist kopiergeschützt, ohne daß jemand Zweifel daran hegte, daß die jeweiligen Urheber ihre Werke für schützenswert halten.

Eine interessante Frage hat der BGH in seiner neuen Entscheidung offengelassen und zur weiteren Sachaufklärung an das OLG Hamm zurückverwiesen. Nach der herrschenden Meinung in der juristischen Literatur sowie nach einigen Amtsgerichtsentscheidungen stellt bereits das Laden eines Programms vom Massenspeicher in den Arbeitsspeicher eine Vervielfältigung dar. Wenn das Programm nachlädt, so erfolgt diese Vervielfältigung schrittweise.

Grundlegende Fragen sind offengeblieben

Weiter wird die Ansicht vertreten, daß auch die Abarbeitung des Programms im Wechselspiel zwischen Arbeitsspeicher und Prozessor eine weitere Vervielfältigung darstellt. Bei Originalen sind diese zur Benutzung unerläßlichen Vervielfältigungsvorgänge zulässig. Dagegen ist jede Benutzung einer Raubkopie oder die gleichzeitige Benutzung einer Original-Software (Einzelplatzversion) auf mehreren PCs eine unzulässige Vervielfältigung.

Der BGH vertritt hierzu folgende Ansicht: "Es wird daher auf die Frage ankommen, ob die im Rahmen der Programmbenutzung erfolgende Programmeingabe und Verarbeitung eine Vervielfältigung erforderlich macht." Diese technische Frage muß nunmehr durch das OLG Hamm (mit Hilfe eines Sachverständigen) noch geklärt werden. Auch die Frage, ob der Handel des Beklagten mit gebrauchten Computern, einschließlich der Systemsoftware der Klägerin, unter dem Gesichtspunkt der Ausnutzung fremden Vertragsbruches, wettbewerbswidrig ist, hat der BGH zur weiteren Sachaufklärung an das OLG Hamm zurückverwiesen. Trotz klärender Worte aus Karlsruhe zum Urheberrecht für Computerprogramme, sind damit immer noch einige grundlegende Fragen offengeblieben.