Die Kontroverse um Excel hält an

Controllers Liebling bereitet der IT Sorgen

19.03.2004
Die Meinungen zu Microsofts "Excel" könnten nicht unterschiedlicher sein: IT-Mitarbeiter sehen darin einen Integrationsalbtraum, Fachanwender dagegen halten das Tabellenkalkulationsprogramm für ihre tägliche Arbeit unverzichtbar.CW-Bericht, Sascha Alexander

Hersteller von Software für Business Intelligence (BI), Analysten und vor allem IT-Abteilungen sehen seit Jahren in der unkoordinierten Nutzung des Tabellenkalkulationsprogramms eine ständige Quelle für Fehler in den Geschäftszahlen. "Excel-Clients sind eine Plage für die IT und eine Droge für die Anwender. Niemand sollte diese Software zu mehr machen als zu einem Tool für die persönliche Produktivität", kritisiert stellvertretend Gartner-Analyst und BI-Spezialist Frank Buytendijk. Dabei geht es den Kritikern gar nicht darum, die Leistungsfähigkeit von Excel grundsätzlich in Frage zu stellen, sondern vielmehr die unsachgemäße Nutzung anzuprangern, die zu erheblichen Problemen bei der Integration und Konsolidierung von Daten sowie zu Sicherheitsmängeln führt.

"Mit Excel lassen sich so viele betriebswirtschaftliche Funktionen nutzen, dass ein Anwender kaum an Grenzen stößt", erklärt Jörg Narr, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Barc-Institut in Würzburg. "Es gibt Kunden, die ihre gesamte Finanzkonsolidierung oder die Management-Rechnung gemäß dem EVA-Konzept (EVA= Economic Value Added) komplett mit Excel machen." Das Tabellenkalkulationsprogramm sei zumindest aus dem Controlling nicht mehr wegzudenken, zumal es auf dem Markt derzeit kein besseres Werkzeug für diese Anwendergruppe gebe. Controller und andere Fachanwender liebten die einfache Bedienung und die Möglichkeit, individuell und kreativ zu arbeiten. So finden sich Excel-Arbeitsblätter heute fast überall dort, wo es um Aufgaben wie Berichtserstellung, Planung, Analyse oder Konsolidierung geht. Dienstleister und Anwender bieten zudem über das Web eine Fülle von Add-ins für Excel, die viele Arbeiten und Entwicklungen erleichtern. Das Kernprodukt selbst hat sich laut Michael Storck, zuständig für Business Development beim BI-Anbieter MIS, seit der Version "Excel 95" hingegen kaum geändert.

Mit der Benutzerzahl wachsen die Probleme

Doch die Probleme kommen mit der Menge der verwalteten Daten und der Benutzerzahl. So sei Excel laut Barc-Mitarbeiter Narr in kleinen Arbeitgruppen ein effizientes Instrument. Sind es jedoch mehr als 50 Anwender - andere Fachleute sehen die Probleme schon bei fünf Benutzern entstehen - wird der Aufwand für die Verwaltung und Abstimmung der Arbeitsblätter zu hoch. "Stellen Sie sich vor, Sie haben 50 000 Kunden und 400 Produkte und sollen diese mit Excel verwalten. Das ist nicht mehr möglich", sagt Narr. Mühsam sei es auch, ein monatliches Berichtswesen mit Excel zu machen, da die Zahlen jedes Mal kopiert werden müssten. Ein Horrorszenario entfalte sich schließlich, wenn neue Gesellschaften ins Unternehmen eingegliedert werden und alle Arbeitsblätter anzupassen sind.

Der Ursprung vieler Probleme mit Excel liegt darin, dass es in Abteilungen ohne eine gemeinsame Datenhaltung und Benutzerverwaltung verwendet wird. Sollen die Daten in der Abteilung zusammengeführt werden, müssen viele separate Arbeitsblätter mühsam manuell verknüpft werden. Hinzu kommt, dass es die große Flexibilität von Excel gestattet, Spreadsheets mit individuellen Formatierungen, Daten und Formeln (Logik) aufzubauen, die oft nur ihr Erzeuger noch versteht, vor allem, wenn er keine Dokumentation angelegt hat. Außerdem fehlt ein abgestimmter Workflow zwischen den Anwendern, wodurch in großen Gruppen ein geordneter oder gleichzeitiger Zugriff auf ein Arbeitsblatt unmöglich ist. Ferner besteht die Gefahr, dass Zellen überschrieben werden, ohne dass dies für andere Mitarbeiter nachvollziehbar ist. "Wenn sich Spreadsheets verändern lassen, lassen sie sich später nicht mehr einbinden. Sperrt der Anwender aber seine Tabelle, beschweren sich die anderen Benutzter und akzeptieren die Zahlen womöglich nicht", weiß Götz Kaster, Account Manager beim BI-Softwarehersteller Cartesis.

Zentrale Lösung soll Ordnung schaffen

Fachleute fordern deshalb seit Jahren, dass die Geschäftsdaten zentral gesammelt werden und die Benutzerverwaltung (Zugriffsrechte, Rollen, Verschlüsselung) sowie ein Großteil der Geschäftslogik auf einem Datenbank-Server angesiedelt sind. "Die Anforderungen im Berichtswesen ändern sich ständig. Die Modellierung von Reports sollte deshalb zentral geschehen", empfiehlt MIS-Manager Storck. Der übliche Lösungsansatz hierfür ist eine BI-Software. Sie führt Daten aus operativen Systemen oder einem Data Warehouse zusammen und bietet zur Auswertung eine multidimensionale Datenbank für Online Analytical Processing (Olap), die auch die Analyse aus Excel berücksichtigen kann. Zudem ermöglicht sie es, parallel dazu ein unternehmensweites, oft Web-basierendes Berichtswesen aufzubauen, das Mitarbeiter unabhängig von Excel mit formatierten Reports versorgt.

BI-Produkte von Applix, MIS, Cognos, SAP, Cartesis oder Hyperion lassen sich heute als Add-in mit Excel integrieren und bieten lesenden und schreibenden Zugriff auf die Daten. Preislich und funktional speziell für den Mittelstand geeignet seien zudem laut Narr Tools von Herstellern wie MIK, Orenburg, Cubus oder Proclarity. Anwender, so das Versprechen der Hersteller, können so in ihrer gewohnten Arbeitsumgebung weiterarbeiten und zugleich aus den Tabellen heraus umfassendere und flexiblere Abfragen starten, als sie mit den rudimentären Analysefunktionen Excels (Pivoting) möglich wären. Zudem ist laut MIS-Manager Storck eine flexiblere Navigation in den Daten bis auf Zellenebene erlaubt, während Excel beispielsweise immer komplette Unterordner öffnet.

Microsoft liefert nur die Technik

Überraschenderweise spielte Microsoft beim Thema Excel-Integration mit BI bisher keine größere Rolle, sondern stellt nur die technisch Infrastruktur bereit. So wurden laut Storck erst jetzt mit "Excel 2003" die Pivoting-Services ausgebaut, so dass sich beispielsweise ein Ranking der Daten in Excel vornehmen lässt. Der Zugriff auf weitergehende Analysefunktionen, die Microsoft mit seinen "Analysis Services" als Teil der Datenbank "SQL Server" vermarktet, setzt eine vorhergehende Programmierung jeder einzelnen Query mit Hilfe der neuen Abfragesprache MDX voraus. Ebenso ist eine Olap-Auswertung über einzelne Zellen im aktuellen Excel-Release laut Storck noch nicht möglich.

Um die Kreativität und vor allem das Know-how der Benutzer nicht zu verlieren, gestatten BI-Lösungen, Excel nicht nur als Eingabeoberfläche, sondern auch weiterhin für Nebenrechnungen auf dem PC einzusetzen, wenn - wie es oft geschieht - kurzfristig spezielle Kalkulationen nötig sind. Dies können beispielsweise das Errechnen von Abweichungen, das Projekt-Controlling oder die Ergänzung einer Deckungsbeitragsstufe sein. Die lokalen Spreadsheets lassen sich laut Barc-Mitarbeiter Narr bei vorhandener Berechtigung in einzelnen BI-Lösungen wie dem SAP Business Warehouse (SAP BW) in Mappen auch als Vorlagen auf dem Server verwalten und anderen Benutzern zugänglich machen.

SAP-Anwender wollen Excel

Eine Unternehmensplanung, die Konsolidierung über mehr als zehn Gesellschaften oder das Beteiligungs-Controlling werden aber heute laut Cartesis-Manager Kaster normalerweise nicht mehr mit Excel gemacht, sondern durch Standardlösungen abgedeckt. Zu einer kompletten Verdrängen von Excel-Lösungen durch Web-basierende Reporting-Software mit eigenem Frontend wird es aber seiner Ansicht nach nicht kommen. "Ich kenne kein Unternehmen, das Excel abgelöst hat", erklärte auch Kai Noak, Vorsitzender der Cognos-Anwendervereinigung für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Excel sei für seine Kollegen auch künftig ein Standard auf jedem Rechner. Insbesondere im SAP-Umfeld sei Excel heute der wichtigste Client, der bei einer Integration mit SAP BW seine Daten direkt aus den operativen Systemen erhalte.

Das Misstrauen bleibt

Weitere Vorzüge von Excel sehen Anwender laut Noak darin, dass es leicht zu erlernen ist und geringere Kosten als ein spezielles BI-Frontend verursache. Zudem sei die Formatierung in Excel flexibler und entspreche dank ihrer Zellenorientierung mehr den Vorlieben der Anwender als die zeilenorientierten BI-Produkte. Allerdings ständen viele Mitglieder Excel trotz seiner Stärken weiter misstrauisch gegenüber. So beklagen sie beispielsweise, dass sich oft nicht nachvollziehen und kontrollieren lasse, wie der Autor seine Spreadsheets erstellt habe. "Ein Unternehmen hat jetzt Excel-Präsentationen verboten. Es nimmt in Zukunft lieber einmal falsche Zahlen aus einem BI-System in Kauf, weil dann zumindest feststeht, dass alle Benutzer mit den gleichen Zahlen arbeiten und wo der Fehler steckt", sagte Noak.

Andererseits sei der Weg von Excel zu einer BI-Lösung laut Noak oftmals nicht so geradlinig, wie es Hersteller gern behaupten. Viele organisierte Cognos-Anwender wie beispielsweise BMW hätten zunächst versucht, eine Lösung mit Excel zu entwickeln, und diese, als sie immer mächtiger wurden, in ein BI-Tool überführt. Das klappe allerdings nur dann reibungslos, wenn es von Anfang an klare Vorgaben und Prozesse für die Dateneingabe mit Excel gebe, was nicht oft der Fall sei. Auch sei es laut Joachim Schelp, Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Sankt Gallen, für den Fachbereich manchmal gar nicht möglich, auf kurzfristige Anforderungen mit einem BI-Projekt zu reagieren, weil dafür kein Budget vorhanden ist. Ebenso kommt es aber auch vor, dass Fachabteilungen ohne speziellen "Business Case" nicht bereit sind, die Kosten für den Aufbau und die laufende Wartung einer zentralisierten BI-Software mitzutragen. "Aus mancher Ad-hoc-Improvisation entstand dadurch eine Dauerlösung."

Kommt doch ein Projekt zustande, müssten IT-Abteilungen die speziellen Anforderungen der Fachbereiche zügig umsetzen können: Wenn die Entwicklung der Lösung zu lange daure, würden Anwender wieder auf Excel zurückgreifen und der Reigen von vorn beginnen.

"Das Excel-Problem ist deshalb laut Schelp wie ein Pendel: Es schwingt regelmäßig zwischen dezentralem, unkoordiniertem Excel-Wildwuchs und Konsolidierung mit einer BI-Lösung hin und her."

Pro und Kontra Excel

+ Weit verbreitet (keine Zusatzinvestitionen);

+ niedrige Einstiegshürde;

+ hohe Flexibilität für den Anwender bei Formatierung, Analyse und Datenauswahl;

+ große Benutzergemeinde, über die sich viele Add-ins und Informationen beziehen lassen;

+ betriebswirtschaftliche Anfragen schnell bearbeitbar;

+ lässt sich über Add-ins mit BI-Technik erweitern und verwalten.

- Nicht in die übrige IT-Landschaft integriert;

- geringe Transparenz der Daten;

- fehleranfällig und aufwändige Pflege (manuelle Eingabe);

- Sicherheitsrisiko;

- keine Dokumentation;

- Verwaltungschaos mit wachsender Zahl der Spreadsheets;

- komplexere Aufgaben in Excel setzen viel Wissen und Programmierkenntnisse voraus;

- Pivoting erlaubt nur einfache Analysen;

- für Planung und Konsolidierung nur begrenzt geeignet.