Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung beschäftigt sich mit DV:

Computersprache auf dem Prüfstand

28.11.1986

Mit dem Thema "Werden wir die Sprache der Computer sprechen" setzten sich die Teilnehmer einer Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in München auseinander. Konsens herrschte darüber, daß die Notwendigkeit, sich mit dem Computer zu verständigen, bereits einen gewissen Fach-Jargon hervorgebracht habe. Der Vortrag von Albrecht Blaser, Wissenschaftliches Zentrum der IBM in Heidelberg, den die COMPUTERWOCHE in Auszügen veröffentlicht, zeigt jedoch: Vorurteile, was den Umgang mit Computern in eingeschränkter Sprache angeht, sind nicht angebracht.

Die Frage "Werden wir die Sprache der Computer sprechen?" drückt Besorgnis aus. Ich werde mich mit der geschriebenen natürlichen Sprache beschäftigen, die zur Kommunikation mit dem Rechner verwendet wird. Die gesprochene Sprache schließe ich aus zwei Gründen aus:

- weil sie noch sehr viel weiter von der Realisierung entfernt ist als die geschriebene Sprache, und

- weil sie eines Tages zwar vielleicht mehr Bequemlichkeit in die Kommunikation mit dem Rechner aber keine neuartige, grundsätzliche Qualität einbringt. Technisch bedeutet sie ja "nur" ein Vor- und Nachschalten der Übertragung von Lautfolgen in geschriebenen codierten Text und umgekehrt. (Allerdings mag diese Einschätzung einer psycholinguistischen Kritik nicht standhalten).

Das heute praktisch Machbare möchte ich an unserer eigenen Arbeit erläutern. Sie ist nur ein Beispiel für viele andere Bemühungen.

Seit Mitte der 70er Jahre hat eine kleine Forschungsgruppe bei uns an der Zielsetzung gearbeitet, die linguistischen und softwaretechnischen Grundlagen für eine natürlichsprachliche Schnittstelle zur Abfrage von relationalen Datenbanken zu schaffen. Auf deren Basis sollte ein Prototyp erstellt und im praktischen Einsatz erprobt werden. Eine wesentliche Anforderung an die Technologie war Portabilität, das heißt die Anpaßbarkeit der Sprachschnittstelle an Landessprachen des westlichen Kulturkreises, an Anwendungen, das heißt an verschiedene Datenbanken, und an den Jargon des Benutzers.

Es entstand ein System, dessen Struktur die Grafik zeigt. Wesentliche Komponenten sind:

- Ein universeller Sprachverarbeiter mit einem Parser zur syntaktischen Analyse von Eingabesätzen und einer Komponente zur syntaktischen und semantischen Wortdefinition, wobei letzteres die Herstellung der Beziehung eines natürlichsprachlichen Begriffs zu einem Begriff in der Datenbank oder zu einem schon vorher definierten Begriff oder Satzteil bedeutet.

Die semantische Komponente, die mit einem Satz von Interpretationsroutinen den Syntax-Baum in Sätze der Datenbanksprache übersetzt.

- Die Grammatik für die gerade benutzte Landessprache. Möglich sind zur Zeit bei uns Dänisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Die grammatischen Strukturen müssen sich ohne Anwendungswissen analysieren lassen - das bedingt die Portabilität.

- Das dreistufige Wörterbuch. Die erste Stufe enthält Funktionswörter, die anwendungsunabhängig eine allgemeingültige Bedeutung haben (wie etwa Januar, Montag, und, der, in, ..) Sie werden mit der Grammatik a priori mitgeliefert. Die zweite Stufe enthält anwendungsspezifische Wörter, die zur Anwendungsentwicklungszeit definiert und zu Begriffen in der Datenbank in Beziehung gesetzt werden (wie zum Beispiel Staat, Kontinent, Hauptstadt, Einwohnerzahl, ..). Sie können sich im Laufe der Zeit vermehren und verändern. Die dritte Stufe umfaßt Wörter, die der Benutzer selbst während seiner Arbeit einführen und wieder verwerfen kann - also Abkürzungen, Synonyme und Variablennamen.

Man kann den Sprachumfang eines natürlichsprachlichen Systems kaum systematisch und umfassend darstellen - wahrscheinlich gilt das gleiche für den Sprachschatz menschlicher Kommunikationspartner.

Die praktisch wichtige Forderung nach "Portabilität" führt dazu, daß der Dialog mit dem System manchmal auf den Betrachter nicht sehr "natürlich" wirkt. Das hat weniger mit den limitierten linguistischen Fähigkeiten des Systems zu tun, als vielmehr damit, daß Portabilität es verbietet, Welt- und Anwendungswissen in das System einzuprogrammieren. Der Benutzer einer solchen Spräche muß sich darüber klar sein, daß sein Kommunikationspartner kein intelligentes einfühlsames Wesen ist, das weiß, was es will, auch wenn es sich unpräzise ausdrückt, sondern nur eine sehr logische, im Grunde aber unwissende Maschine. Sie "kennt" nur die Fakten in der Datenbank und ihre Bezüge zu einigen Termen der natürlichen Sprache. Daß der Benutzer bei dieser Einstellung aber in der Lage ist, seine Anwendungsprobleme mit dieser Sprache zu lösen, das haben unsere Anwendungsexperten gezeigt.

Will man die Fähigkeit eines solchen Systems durch allgemeines "Weltwissen" und spezielles "Anwendungswissen" erweitern, ohne die Portabilität einzuschränken, so muß man die Techniken wissensbasierter Systeme einsetzen. Damit kann man Wissen in austauschbaren Regelsätzen formalisieren, aus denen das System neues Wissen ableiten und dem Benutzer auch begründen kann. So ist es nur natürlich, daß wir diesen Fragen in einem Folgeprojekt nachgehen. (Wir streben natürlichsprachliche Problemlösungsdialoge mit einem Expertensystem über das deutsche Straßenverkehrsstrafrecht an.)

Während natürliche Sprache zur Datenbankabfrage heute technisch machbar und brauchbar und ihr Erscheinen am Markt nur noch eine Frage der Vermarktbarkeit ist, so verbergen sich hinter diesem Vorgehen noch langfristige, ehrgeizige Forschungsziele. Es findet noch Grundlagenforschung statt, deren Früchte bei aller derzeitigen Aufbruchstimmung und optimistischem Überschwang, wenn überhaupt je, dann wohl doch erst im nächsten Jahrzehnt reif sein werden.

Der Ausgangspunkt vieler Forschungsarbeiten über Dialogsysteme und -sprachen für Anwendungsspezialisten war die Zielsetzung, diesen Nutzern den Computer zur Steigerung ihrer menschlichen Effizienz "in die Hand zu geben". Die Prinzipien, die man dabei verfolgte waren,

- daß das System und die Sprache schnell und leicht erlernbar sein sollten,

- daß es dem Nutzer erlaubt, sich voll auf sein Anwendungsproblem zu konzentrieren und ihn nicht durch Systemprobleme davon ablenkt,

- daß das System dem Nutzer im Dialog Hilfen wie anwendungsorientierte Terminologie und Visualisierung der zu verarbeitenden Objekte, Unterweisung, Systemaufforderungen und Menüauswahl anbieten sollte,

- und daß es sich an seine Nutzer anpassen können sollte.

Benutzerfreundlichkeit ist nicht meßbar

All dies zusammengefaßt - und mehr - versteht man heute gemeinhin unter dem Begriff "Benutzerfreundlichkeit" eines Systems. Ob heutige Dialogsysteme aber wirklich "benutzerfreundlich" sind, ist nach wie vor eine schwierige Frage, und um die Antwort bin ich verlegen. Nicht, weil ich an der Qualität dieser Arbeit zweifle, sondern weil wir in ihrem Verlauf eigentlich immer unsicherer wurden, wie man den schillernden Begriff "Benutzerfreundlichkeit" - den alle Software-Entwickler so leichthin für das Ergebnis ihrer Arbeit in Anspruch nehmen - präzisieren, quantifizieren und damit meßbar machen kann. Dies ist um so bedenklicher, als wir beobachten können, daß sogenannte Benutzerfreundlichkeit auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Systems großen Einfluß haben kann. An dies führt dazu, daß die Diskussion darüber oft sehr emotional geführt wird.

Wir haben deshalb die in Deutschland an Bedeutung gewinnende Forschung über Ergonomie von Dialogsystemen und Nutzersprachen mit propagiert und beschäftigen uns seit einigen Jahren selbst damit. Letztlich geht es dabei um folgendes:

Die Entwickler von Programmen bauen ihre Vorstellung von den Benutzers Programm ein. Durch einen Lernvorgang und durch praktische Arbeit entwickelt jeder Benutzer eine Vorstellung - sein mentales Modell - vom Anwendungsprogramm. Mit den Methoden der kognitiven Psychologie versucht man zu verstehen, wie die aufgabenorientierte und die unterstützende Mensch-Maschine-Schnittstelle aussehen müssen, daß das mentale Modell des Benutzers möglichst schnell und korrekt entsteht. Dieses Verständnis sollte dann auch helfen, das Benutzermodell zu verbessern.

Um in der Forschung erfolgreich sein zu können, muß man diese Gesamtproblematik natürlich einschränken und sich mit Detailfragen beschäftigen. Das haben wir zum Beispiel mit unserer eingeschränkten natürlichen Sprache zur Befragung von Datenbanken gemacht. Im wesentlichen ging es dabei darum, ob man überhaupt eine Chance hat, die Untermenge der natürlichen Sprache - auf die man sich bei der Implementierung auf dem Rechner immer beschränken muß - so weit zu treiben, daß der Nutzer damit seine Probleme lösen kann. Es interessieren uns also Fehlerstatistiken und -analysen.

Ich glaube aus den Ergebnissen unserer Experimente zumindest eines folgern zu können, nämlich daß weitverbreitete Vorteile über eingeschränkte natürliche Sprache zur Kommunikation mit Maschinen nicht gerechtfertigt sind.

Das Funktionieren des Menschen verstehen

In Software-ergonomischen Untersuchungen haben wir zum Beispiel grafische und verbale Repräsentationen von Dialogkonzepten verglichen. Zu den Erwartungen an die SW-Ergonomie insgesamt nur soviel: Wir haben Detail-Erkenntnisse gewonnen, aber auch gelernt, daß hier einfache Anworten auf einfach scheinende Fragen nicht zu erwarten sind. Außerdem ist unklar, ob Detail-Kenntnisse für die gesamte Problemlösungssituation noch signifikant sind. Die Problematik ist komplex, und es fließen viele Parameter ein, Und überspitzt ausgedrückt: einer davon ist der Mensch, dessen ,Funktionieren' bei der Informationsverarbeitung mit Systemen wir letztlich verstehen lernen wollen. Trotzdem hoffen wir, daß in der Zukunft Sofware-Ergonomie-Forschung helfen kann, grundsätzliche Fragen zu beantworten und im Sinne der Nutzer bessere interaktive Sprachen und Systeme zu machen. Ob man bei weiteren Fortschritten im Verstehen "natürlicher Sprache" dann in Zukunft noch von Computersprachen reden wird, bleibt vielleicht der persönlichen Einschätzung vorbehalten.