Computerisierte Gebietsreform oder angepaßte Informationsverarbeitung

20.02.1981

Staatssekretär Dr. Günter Hartkopf (FDP), Bundesministerium des Inneren

Ich habe volles Verständnis für Befürchtungen und Ängste mancher Mitarbeiter, die sie hinsichtlich negativer Folgewirkungen aus einem verstärkten Einsatz der Informationstechnik hegen. Ich will auch nicht leugnen, daß diese Technik durchaus zu sehr ernst zu nehmenden negativen Folgen führen kann. Ich nenne hier beispielhaft

- die Verringerung der individuellen beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten

- die Polarisierung von Qualifikationsanforderungen und Qualifikationsmöglichkeiten

- die Dequalifikation der Arbeitsinhalte und erhöhte Arbeitsmonotonie

- die Erhöhung der physischen und psychischen Leistungsanforderungen durch verbesserte Kontrollmöglichkeiten und erhöhte Abhängigkeit von technischen Systemen.

Wenn diese Technik falsch, das heißt ausschließlich als ein Mittel zur Produktivitätssteigerung im rein ökonomischen Sinne eingesetzt wird, kann sie durchaus zu Gefahren bis hin zu Arbeitsplatzverlusten und Verstärkung der strukturellen Arbeitslosigkeit führen - in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung gleichermaßen. Wenn wir rückblickend die Auswirkungen zum Beispiel des Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung einmal selbstkritisch betrachten, müssen wir feststellen, daß neben den positiven Auswirkungen teilweise auch negative Folgewirkungen hinsichtlich der Außenbeziehungen zum Bürger sowie auf die verwaltungsinterne Arbeitsorganisation und die Arbeitsplatzgestaltung deutlich geworden sind. Dies ist zum größten Teil darauf zurückzuführen, daß manchmal die Verbesserung der verwaltungsinternen Arbeitsabläufe im Vordergrund stand und sich die Realisierung weitgehend an den Automatisierungsmöglichkeiten der Verwaltungsaufgaben ausrichtete. Dabei standen die organisatorische und die DV-bezogene Maschinen- und Programmierkapazität für die einzelnen Umstellungsschritte im Vordergrund. Außerdem sind auch in der öffentlichen Verwaltung, um dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gerecht zu werden, in Anbetracht des erheblichen finanziellen Aufwandes für technische Investitionen, häufig auch Aufgaben und Arbeitsabläufe zentralisiert worden, die allein aus organisatorischen Gründen eine solche Konzentration nicht erfordert hätten, sozusagen als "computerisierte Gebietsreform". Dies hat in einer Reihe von Fällen zu einer Trennung der Verarbeitung von der materiellen Verantwortung und damit zu einer Entfremdung der Arbeitsinhalte geführt.

Die Verbesserung des Leistungsangebots der Informationstechnik bei gleichzeitiger Kostensenkung für die Geräte und die technische Ausgestaltung der Übertragungsnetze bietet der öffentlichen Verwaltung die große Chance, ihre Leistungsfähigkeit nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ weiter zu steigern. Die Organisation der Informationsverarbeitung kann sich dadurch wieder ausschließlich aufgabenorientiert an die allgemeine Organisationsstruktur anpassen. Hierdurch können auch weniger günstige Entwicklungen korrigiert werden, die sicherlich zu der vielerorts geäußerten Bürokratiekritik beigetragen haben. In der Diskussion um den Einsatz der Informationstechnik in der öffentlichen Verwaltung kann es daher immer weniger um die Frage gehen, ob die Informationstechnik eingesetzt werden soll, als vielmehr wie sie eingesetzt werden muß, um mögliche nachteilige Auswirkungen im Verhältnis Mensch/Maschine auszuschließen.

Hier tritt die entscheidende Frage an uns Verwaltungsfachleute heran, wie die Nutzung der Technologien "organisiert" werden kann, um sie sinnvoll und geordnet einzusetzen und damit zugleich ihre dynamisierenden Auswirkungen einzufangen. Die öffentliche Verwaltung wird hierzu unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Untersuchungen und des Angebots an Geräten und Verfahren der Kommunikationstechnik eigene Überlegungen zur Informationsorganisation entwickeln müssen, die in die Ziele einer sach- und zeitgemäßen Verwaltungsorganisation einzubinden sind. Dabei wird es in erster Linie um die verwaltungsspezifische und anwendungsorientierte Nutzung der Informationsverarbeitungstechnik gehen und um unerwünschte Auswirkungen technologischer Entwicklungen auf die Organisation und die in ihr beschäftigten Menschen zu vermeiden. Durch die den neuen Geräten der Informationstechnik innewohnende Mehrfunktionalität sind dabei vielfältige auf Mensch und Aufgabe gleichermaßen ausgerichtete Gestaltungsmöglichkeiten gegeben, die es zu nutzen gilt. Auch hierbei sollte die Automatisierung nicht so sehr als ein Mittel zu Rationalisierung unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten, sondern mehr als ein Mittel zur qualitativen Leistungssteigerung eingesetzt werden. Neben organisatorischer und technischer Effizienz muß zugleich eine stärkere soziale Effizienz erreicht werden. Das bedeutet, der Einsatz der Technik hat in erster Linie dem Bürger zugute zu kommen.

Für die öffentliche Verwaltung bedarf es daher einer allgemeinen organisationspolitischen Orientierung, die vor allem deutlich macht, daß neben Effektivität und Effizienz des Verwaltungshandels der Bürgernähe Rechnung zu tragen ist.

Arbeitnehmerinteressen

Ich glaube, in meinen Ausführungen die Notwendigkeit einer mitarbeitergerechten Ausgestaltung der Arbeitsplätze genügend deutlich gemacht zu haben. Gleichwohl sei es mir gestattet, hierzu eine kritische und warnende Ausführung zu machen:

Weite Kreise unserer Gesellschaft sehen die Entwicklung der Informationstechnik überwiegend unter negativen Gesichtspunkten wie zum Beispiel der Vernichtung von Arbeitsplätzen, Erhöhung der Arbeitsmonotonie bei gleichzeitig verstärkter Kontrolle und Abhängigkeit von technischen Systemen. Dies hat zu der Forderung geführt, daß der Einführung neuer Technologien nur dann zugestimmt werden könne, wenn dies im Interesse und zum Vorteil der Arbeitnehmer erfolge.

Dazu ein deutliches Wort:

Öffentlicher Dienst ist in unserem Staatswesen in erster Linie Dienst für den Bürger, dies nicht Deklamation bleiben, sondern muß im Alltag immer wieder spürbar werden. Dies bedeutet, daß die Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe in der öffentlichen Verwaltung primär aufgaben- und bürgerorientiert zu gestalten sind. Das bedeutet aber hinsichtlich der organisatorischen Gestaltung der Arbeitsplätze auch, daß in den Fällen, in denen ein unauflösbarer Zielkonflikt zwischen dem Erfordernis der Aufgaben- und Bürgerorientiertheit und den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeiter besteht, letztere zurücktreten müssen. Das mag für den einzelnen schmerzhaft sein, für das Ganze ist es notwendig. Andernfalls wird der Kritik am Selbstverständnis der Angehörigen des öffentlichen Dienstes und den Gegnern des Berufsbeamtentums erneut Nahrung gegeben.

Auszug aus einem Referat, das der 22sten beamtenpolitischen Arbeitstagung des Deutschen Beamtenbundes (8. bis 10. Januar) in Bad Kissingen gehalten wurde, zum Thema "Technisierte Verwaltung - Entlastung oder Entfremdung des Menschen?"