Computergesteuerte Relaisanlage am Würzburger Hauptbahnhof:Mit Siemens-Mikros die Weichen gestellt

29.06.1984

WÜRZBURG - Einsparungen beschert der Bundesbahn das neue mikrogesteuerte Relaisstellwerk am Würzburger Hauptbahnhof. Herz der Anlage ist ein Siemens-System auf Mikrocomputerbasis.

Bis vor einem Monat gab es für einen Teilbereich des Würzburger Hauptbahnhofs noch ein nostalgisches Überbleibsel der Signaltechnik von "anno dazumal": In einem alten und im wahrsten Sinne des Wortes ausrangierten Wagenkasten war ein kleines mechanisches Stellwerk untergebracht, bei dem ein Wärter für jede Signaländerung und jede Weichenumstellung einen langen, gewehrförmigen Hebel in Bewegung setzen mußte.

So rückständig ging es beim Hauptstellwerk dieses Bahnhofs freilich schon lange nicht mehr zu. Hier gab es bereits seit 1959 eine Relaisanlage, die auf Knopfdruck bedient werden konnte. Doch auch wenn dieses Drucktastenstellwerk gegenüber den mechanischen Anlagen erheblich rationeller war und eine weitgehende Zentralisierung der Stellwerksfunktionen ermöglichte, mußten bei einem so großen Verkehrsknotenpunkt wie dem Würzburger Hauptbahnhof zur Regelung des Zugverkehrs nicht enden wollende Reihen von Tasten und Knöpfen bedient werden.

Im Zuge eines ohnehin geplanten Weichenumbaus und der Einrichtung neuer Fahrtstrecken entschloß man sich in Würzburg auch zum Bau einer neuen und erstmalig mikrocomputergesteuerten Relaisanlage. Nach fünfjähriger Bauzeit konnte nun am sechsten Mai 1984 "grünes Licht" für die Inbetriebnahme dieses Stellwerks der Superlative gegeben werden. Gleichzeitig eingeweiht wurde ein mikroelektronischer Belegblattschreiber zum Registrieren aller ein- und ausfahrenden Züge und eine ebenfalls kleincomputergesteuerte Zugstandort- und Bahnnummernmeldetafel.

In dem neuen Stellwerksgebäude am Fuße des Würzburger Steinberges sind sowohl das neue Relaisstellwerk, ein sogenanntes Spurplandrucktastenstellwerk (SpDr) der Bauform Siemens 600 und auch das Mikrocomputernummernstellpult NstP

Siemens 800 untergebracht. Um der Stellwerkanlage - jedem Relais entspricht hier eine Weiche oder ein Signal - Befehle geben zu können bedienen die Fahrdienstleiter eine alphanumerische Dateneingabetastatur (DET). Da das Gleisbildwerk in einem bestimmten Streckenabschnitt einzelne Signal- beziehungsweise Weichenstellungen selbständig übernimmt, müssen über die Eingabetastatur "nur" die Start- und Zielpunkte mittels einer dreistelligen Zahl eingetippt werden. Außerdem gibt es Richtungskennzeichen und Codes für Zug- und Rangierstraßen. Die DET ermöglicht es dem Fahrdienstleiter, im Sitzen tätig zu sein. Und da sich die Stellpulte erheblich verkleinert haben, kann jetzt eine Person größere Stellwerksbereiche überwachen.

Über die alphanumerische Datentastatur werden auch die Zugnummern eingegeben, entweder in der Würzburger Zentrale oder aber für die nach Würzburg fahrenden Züge an den Einwahlstellen Heidingsfeld, Rottendorf oder Retzbach.

Das Thema "Zugnummernvergabe" leitet direkt über zu der zweiten bahnbrechenden Innovation am Würzburger Hauptbahnhof, dem Zugverfolgungs- und Zugmeldecomputer. Er bleibt sämtlichen Bahnen unmittelbar auf der Spur und überträgt die Streckenverläufe beziehungsweise die jeweiligen Standorte der Züge auf eine große und blinkende Meldetafel, die ebenfalls im Bedienungsraum des Stellwerks steht. Der ständige aktuelle Überblick über die Betriebsanlage erleichtert es dem Stellwerkspersonal, für einen reibungslosen Ablauf des Bahnverkehrs zu sorgen.

Neu im Würzburger Bahnhof ist außerdem ein Belegblattschreiber in Mikrocomputertechnik (System ZNS 800). Auf einem Bildschirm erscheinen alle Ein- sowie Ausfahrtszeiten der Bahnen und ihrer Zugnummern in tabellarischer Form. Früher mußte dies manuell geschehen. Die Archivierung der Daten erfolgt über einen Nadelmatrixdrucker, der pro Sekunde 250 Zeilen schreiben kann.

Der Belegblattschreiber wurde in erster Linie installiert, um die Oberzugleitung Nürnberg hinsichtlich des Betriebsgeschehens am Würzburger Hauptbahnhof auf dem laufenden zu halten und im Bedarfsfall eine schnelle Fahrplanänderung möglich zu machen.

Schließlich befindet sich in der Nummernstellzentrale des Hauptbahnhofs Würzburg neben jedem Bedienplatz ein Kontrollmonitor, der sämtliche Befehle mitschreibt. Dieses "Notizbuch" des Fahrdienstleiters kann insgesamt 60 Kommandos speichern, wodurch eine vorausschauende Programmierung "machbar" wird. Schleicht sich bei der Dateneingabe versehentlich ein Fehler ein, leuchtet der Kontrollmonitor auf und blockiert weitere Eingaben an der DET.

Der Planungsleiter der neuen Anlage, Richard Huber, betont, daß das mikrocomputergesteuerte Relaisstellwerk der Bundesbahn bedeutende Einsparungen beschert: "Die Umbauarbeiten wurden nach entsprechenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchgeführt. Diese haben ergeben, daß bei einem Neubau der Signalanlage gegenüber dem Umbau des Stellwerks 890 000 Mark pro Jahr eingespart werden können".

Einen Rationalisierungseffekt sieht Huber vor allen Dingen auch darin, daß die Bundesbahn jetzt 20 ehemalige Fahrdienstleiter anderweitig beschäftigen kann. Die übrigen Stellwerkbediener seien in einem halbjährigen Kursus ohne große Probleme umgeschult worden.

Stefanie Schopenhauer ist freie Journalistin in München