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Thema des Tages

Comdex: Xerox gewährt Einblick ins Allerheiligste

19.11.1999
Thema des Tages

LAS VEGAS (ba) – Anläßlich seiner Keynote-Rede auf der Comdex 99 in Las Vegas bemühte sich Xerox-CEO Rick Thoman, einen Bogen über die verschiedenen Geschäftsfelder seines Unternehmens zu spannen. Auf der einen Seite bilden das Druckergeschäft und der Bereich Wissens-Management immer noch das Kerngeschäft des Unternehmens. Auf der anderen Seite steht die Entwicklung neuer Technologien, die jedoch nicht zwangsläufig etwas mit Druck oder Dokumentenverwaltung zu tun haben müssen, und deren Profitabilität noch nicht gesichert ist.

Zusammen mit seinem Chefentwickler John Seely Brown, Ober-Guru des Think Tank "Parc" (Palo Alto Research Center), stellte Thoman die neuen Entwicklungen des in Stamford, Conneticut, ansässigen Unternehmens vor. Schon im vergangenen Jahr hielt das Xerox-Gespann das Comdex-Publikum in Atem. Die diesjährige Keynote wollte Thoman als eine Art Bestandsaufnahme dessen gewertet wissen, was seit dem letzten Jahr alles passiert sei.

Brown begann mit einem kurzen Resümee, welche Entwicklungen aus den Parc-Labors während der letzten 20 Jahre hervorgegangen waren - zum Beispiel die Computer-Maus, die grafische Benutzeroberfläche (GUI = Graphic User Interface), Ethernet oder der Laserdrucker. Danach präsentierte der Wissenschaftler den Besuchern einen winzigen Chip, auf dem sich 16 000 Laser befinden. Ziel dieser bis in den Mikrometerbereich verfeinerten Technik ist, die Druckqualität der eigenen Laserprinter zu verbessern. Um den Entwicklungsfortschritt hervorzuheben, zeigte Brown den Keynote-Besuchern zum Vergleich eine mehr als 30 Zentimeter lange und über fünf Zentimeter dicke Laserröhre aus den Anfangszeiten des Laserdrucks.

"Im digital vernetzten Zeitalter ist Wissen unser Herzblut. Dokumente sind die DNA unseres Wissens", erklärte Xerox-Chef Thoman nach dem Technikexkurs seines Laborchefs und definierte damit das Wissens- und Dokumenten-Management als Kerngeschäft des Druckspezialisten. Auch hier konnte Thoman einige neue Entwicklungen vorweisen.

So arbeitet das zusammen mit dem Bertelsmann-Konzern an einer "Books-on-Demand"-Lösung, mit der kleinere Buchauflagen effektiver gedruckt werden sollen.

Mit der "Content Guard"-Technik will Xerox den Anwendern ein Werkzeug in die Hand geben, mit dem Zugriffsrechte auf geistiges Eigentum im Internet verwaltet werden können.

Über das "Mailing Online"-Projekt, das Xerox zusammen mit US-Postunternehmen auf die Beine gestellt hat, sollen Daten online zu großen Druckzentren geschickt, dort ausgedruckt und weiter verteilt werden.

Die "Presspoint"-Technik soll es möglich machen, den Zeitungsdruck weltweit zentral zu steuern. Damit könnten die Verlage ihre Blätter weltweit vertreiben. Ein Knopfdruck genügt, und die über die ganze Welt verteilten Druckmaschinen beginnen zu rotieren, versprach Thoman.

Neben dem Printgeschäft präsentierten die beiden Xerox-Manager aber auch einige Zukunftstechnologien, an denen selbst Daniel Düsentrieb seine helle Freude gehabt hätte. Nicht fehlen durfte dabei das elektronische Papier, an dem die Xerox-Laboratorien seit Jahren arbeiten. Bei dieser Technik richten sich winzige Kugeln, die auf einer Seite schwarz und auf der anderen weiß sind, zwischen zwei Plastikschichten je nach angelegter Spannung unterschiedlich aus. Konnte Brown vor einem Jahr nur die Zauberkugeln an sich präsentieren, rollte diesmal eine meterlange Bahn des elektronischen Papiers unter das Publikum.

Außerdem führte Brown einen Handheld-Rechner vor, dessen Menüführung sich durch Neigen des Gerät in verschiedene Richtungen steuern läßt. Eine Weiterwicklung dieser Technologie stellen quadratmetergroße Dokumente dar, die in einem horizontal liegenden Display ("Document Surfing Table") dargestellt werden und sich ebenfalls durch Neigen und Kippen erkunden lassen. Den Einwand, ob solche Entwicklungen überhaupt jemals einen Verwendungszweck fänden, versuchte Brown mit einer typischen Erfinder-Philosophie zu entkräften: "Wer die Zukunft vorhersagen will, erfindet sie am besten selbst."

Den Höhepunkt der Technikshow bildete eine Vorführung der KI-Technik (Künstliche Intellgenz) "Polybot". Die Module, an denen die Entwickler bereits seit über einem Jahr arbeiten, gleichen eigenständigen biologischen Systemen. Die faustgroßen Bausteine sind mit Motoren, Sensoren sowie Chips und Software ausgerüstet. Allerdings müssen die Polybots nicht von Menschenhand gesteuert werden. Sie sind laut Xerox so programmiert, daß sie sich - einmal mit einer bestimmten Aufgabe losgeschickt - selbständig analysieren und neu organisieren können. Browns Vision besteht darin, daß zukünftige Hard- und Software ebenfalls über diese Eigenschaft der Selbstanalyse und Neuorganisation verfügen soll.

An der Weiterentwicklung von Polybots ist auch die amerikanische Regierung interessiert. Das State Department will nach den Worten von Thoman die Geräte in für Menschen unzugänglichen Gebieten einsetzen, zum Bespiel um eingestürzte Häuser in Katastrophengebieten nach Opfern und Überlebenden zu durchsuchen.

Noch sind all diese Entwicklungen Zukunftsmusik. Der Xerox-Wissenschaftler glaubt, daß Entwicklungen wie das elektronische Papier in zwei bis drei Jahren marktreif sein könnten. Doch der Druck auf Xerox wächst: Nachdem im dritten Quartal 1999 der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent von 389 auf 311 Millionen zurückgegangen ist, steht die Company unter Erfolgszwang. Das weiß auch Thoman, der das schlechte Ergebnis mit Investitionshemmungen wegen des Jahr-2000-Problems und Restrukturierungsmaßnahmen erklärt: "Wir wissen, was los ist, aber wir wissen auch, wie wir da wieder rauskommen", meint der Xerox-Boß zuversichtlich.

Da mit den Polybot-Robotern vorerst kaum Geld zu verdienen ist, wird sich Xerox auf sein Kerngeschäft konzentrieren müssen. Dabei soll unter anderen die bereits im September angekündigte Übernahme der Drucker-Division von Tektronix helfen. Das Geschäft mit einem Volumen von 950 Millionen Dollar wird laut Thoman im Dezember 1999 oder Januar 2000 abgeschlossen sein.

Nach Ansicht von Insidern ist der Weg von Xerox, die neuen Technologien prominent zu präsentieren, richtig. Doch Xerox muß bald etwas wirklich Aufregendes vorweisen können, meint Rob Enderle, Analyst bei der Giga Information Group. Die anderen Unternehmen hätten zwar großen Respekt vor den Erfindungen, die in den kalifornischen Labors gemacht wurden. Allerdings trete die Company im Augenblick ein wenig auf der Stelle, meint Enderle.