Immer mehr Industriezweige setzen auf rechnerintegrierte Fertigung:

CIM modernisiert die Textilindustrie

12.05.1989

*Karl Heinz Schubäus ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung K. H. Schubäus in Petersberg.

Die kontinuierliche Entwicklung unter dem Schlagwort CIM hat - wenn auch erst nach einer Reihe von Negativerfahrungen - einen Reifegrad erreicht, auf dem nun auch mittelständische Unternehmer zuversichtlich aufbauen können. Das gilt, wie die Erfahrungen der Mehler GmbH in Fulda zeigen, auch für den Bereich der Textilindustrie.

Für diesen Industriezweig ist zwar der Begriff "rechnerintegrierte Fertigung" neu, Ansätze für CIM-ähnliche Produktionsverfahren gibt es dort jedoch bereits seit den 70er Jahren.

So hat der Zeitgeist die nicht gerade neue Idee einer durchorganisierten Arbeitsplanung und Fertigungssteuerung wiederentdeckt und auf eine solide Basis gestellt. Mit der längst fälligen Symbiose aus bekannten Regeln organisatorischer Grundlagen und modernster Datentechnik kann sich nun auch der Mittelstand m der Herstellung technischer Textilien, auf den Euromarkt und den damit verbundenen verschärften Wettbewerbsregeln einstellen.

Neu an der CIM-Strategie ist, daß die Aufbau- und Ablauforganisation als unabdingbare Notwendigkeit zur Erreichung unternehmerischer Ziele betrachtet wird. Man geht zwingend davon aus, daß moderne Organisationsformen nur durch den Einsatz hochmoderner Datentechnik möglich sind.

Die DV-Verantwortlichen glauben, daß es mit CIM einen Weg gibt, der aus einer Sackgasse herausführt, die in isolierte Betrachtungsweisen wie "die EDV macht das schon" geführt hat.

Außerdem sollen Rollen neu verteilt werden und Kontrahenten an einen Tisch kommen, die bisher nur wenig Gemeinsamkeiten hatten: DV-Hersteller, Softwarehäuser, Berater und Anwender.

Eine weitere Hoffnung, die in CIM gelegt wird, ist, daß an die Entwicklung von Software Maßstäbe angelegt werden, die mehr anwenderorientiert auch als Standards genügend Freiraum für gezielte Anpassung an individuelle Forderungen der Unternehmen ermöglichen.

So hat die Mehler GmbH konsequent auf das CIM-Konzept gesetzt. Daran konnten auch permanente Gegenströmungen wie beizubehaltende Altprogramme und bestehende Systemarchitekturen-IBM 4341- nichts ändern.

Mit der mehr symbolischen Einleitung der Mehler-Unternehmensleitung: "Wir müssen jetzt endlich zu einer den Zielvorstellungen entsprechenden ganzheitlichen Lösung kommen", sollten aus einer Vielzahl von Insellösungen und unvollendeten Versuchen durchgängige Lösungen geschaffen werden.

Im Zusammenhang mit der organisatorischen Neuordnung werden heute die Bereiche Produktentwicklung, Auftragslogistik von der Auftragserfassung bis zur Versandabwicklung und Fakturierung einschließlich der Qualitätssicherung von einem durchgängigen DV-System unterstützt.

Bestehende Programme für Rechnungswesen, Kalkulation und Fertiglagerverwaltung wurden durch Programm-Eigenentwicklungen für die Bereiche Produktentwicklung, PPS und Qualitätssicherung ergänzt. Durch Zukauf von Standards für Garnlagerverwaltung und Bestellabwicklung wurden weitere Lücken geschlossen. Die Vernetzung eigenständiger PC-Einheiten als Leitstandsysteme in der Fertigungssteuerung, zur Prozeßdatenerfassung in der Qualitätssicherung und als eigenständiges System in der Packerei, führte nicht nur zu einer Entlastung des zentralen Systems. Es wurde auch demonstriert, daß verteilte Systeme durchgängige Lösungen unterstützen.

Ohne Eigenentwicklungen sind durchgängige Lösungen vorerst nicht zu realisieren. Oft fehlt es an verbindenden Elementen, oder wie im Musterfall, sind trotz jahrelanger Suche keine PPS-Programme zu beschaffen. Andererseits erfordert die Implementierung von Standards relativ hohe und qualifizierte Anpassungsaufwendungen.

Die Individualität der Programmvielfalt zeigt sich oft in scheinbar unbedeutenden Details. So war im Gegensatz zu der generellen Systemverfügbarkeit in der Tagesschicht, eine Neuentwicklung von Software erforderlich, um in der Packerei eine Systemverfügbarkeit über alle drei Schichten sicherzustellen. Die Durchgängigkeit der Auftragsabwicklung wurde durch die Einbindung einer PC-Lösung gewährleistet, um auch außerhalb der Host-Rechnerleistung beispielsweise Aufkleber auszudrucken und Wiegedaten zu erfassen.

Standardsoftware verlangt die Aufbereitung von Stammdaten und deren Erfassung in gegebene Stammsätze. Diese Vorgänge sind allen Anwendern hinlänglich bekannt. Bei der Neuentwicklung von Software, müssen diese Voraussetzungen erst einmal geschaffen werden. Die Konstruktion des Grunddatengerüstes ist bei komfortabler Software von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren des Gesamtsystems. Im Musterfall wurde die Neuentwicklung des Grunddatengerüstes in der PPS-Software, Maßstab für bestehende und zugekaufte Softwarepakete.

Die Konstruktion des Grunddatengerüstes wurde von vornherein als offenes System ausgelegt. Denn nur so ist es möglich, bestehende und zugekaufte Programme problemlos zu integrieren und jede erforderliche Systemerweiterung ohne Schwierigkeiten durchzuführen.

Die Konstruktion des Datengerüstes, die DB-orientierte Organisation der Datenbestände und die Aufbereitung der Stamminformationen wurde durch die Normierung traditioneller, uneinheitlicher Begriffe im Unternehmen ermöglicht. Verteiltes Wissen wurde zusammengetragen und gezielt in die DV-Prozesse eingebunden. Außerdem wurden für alle Bereiche, Funktionen und Abläufe in dem Unternehmen, Datenbestände angelegt.

Als letzten Schritt wurde die Stammdatenpflege so optimiert, daß Veränderungen des Datenbestandes sofort verfügbar sind. Insgesamt entsprechen Grunddatenumfang, -qualität und -strukturierung den gesamtlogistischen Zusammenhängen des Unternehmens. Die Sorgfalt in der Gestaltung des Grunddatengerüstes, bei der Neuanlage und Aktualisierung von Grunddaten sind Voraussetzung für das Funktionieren datentechnisch unterstützter Regelkreise einer rechnerintegrierten Fabrik.

Gleitende Übergänge statt "Kastendenken"

Im Musterfall wurden Programme zur Unterstützung von Produktentwicklung, Auftragslogistik und Qualitätssicherung neu entwickelt. Eine Anpassung der Neuentwicklungen an bestehende Programme war ebenso erforderlich wie die Einbindung zugekaufter Standardsoftware. Sowohl die erforderlichen Programmieraufwendungen, als auch die der Programmierqualifikation sind es wert, über den Kauf oder die Eigenentwicklung von Programmen, nachzudenken.

Die Gestaltung der Abläufe unterstützt im Musterfall die enge funktionale Bindung zwischen Entwicklung und Arbeitsvorbereitung. Früher übliches Kastendenken und damit verbundene Mehrgleisigkeit in der konstruktiven und ablauftechnischen Gestaltung, ergänzen sich heute durch gleitende Übergänge.

Die datentechnisch unterstützte Auftragsabwicklung erfolgt durchgängig über ein Netz operativer Programmschritte zwischen den Bereichen Auftragserfassung, Fertigungsvorbereitung, Materialdisposition, Kapazitäts- und Reihenfolgeplanung, Rohstoff-, Betriebs- und Hilfsmittelbereitstellung, Fertigung, Qualitätssicherung, Packerei und Versand.

Die Feinsteuerung in Verbindung mit der Rückmeldesystematik steuert und überwacht die gesamtlogistischen Zusammenhänge der Fertigungsfolgen und die damit verbundenen Abhängigkeiten in der Material- und Hilfsmittelbereitstellung. Die relativ junge Anwendung erfordert noch eine Reihe koordinierender Maßnahmen zur Ablösung manueller Vorgänge und die systemtechnische Einbindung der Materialverfügbarkeiten.

Die verketteten Regelkreise der Auftragslogistik bestehen im Musterfall aus übernommenen, neuentwickelten und zugekauften Programm-Modulen. Mit diesem System werden die eingangs dargestellten betrieblichen Bereiche datentechnisch unterstützt.

Die typische Einzelfertigung in diesem Bereich erlaubt eine weitgehend papierlose Be- und Verarbeitung aller datentechnisch unterstützten Transaktionen in der Auftragsabwicklung. In Fertigung, Transportwesen, Packerei und Versand sind Einrichtpläne, Begleitpapiere, Aufkleber und Versandpapiere nötig.

Der sinnvolle Einsatz von Leitstandssystemen in der Fertigungssteuerung ist, wie die Praxis zeigt, nur durch ein Team hochwertiger Spezialisten zu realisieren. Das gilt für die Erarbeitung der Datenbasis auf Refagrundlagen ebenso wie die Implementierung von Leitständen in die bestehende DV-Umgebung.

Moderne Leitstandssysteme sind in sich geschlossene Einheiten, die durch spezielle Systemhäuser vertrieben werden. Sie sind in der Lage, den Anwender in der Fertigungssteuerung wirksam zu unterstützen.

Durch die Leitstandssystematik werden im Musterfall, Grob-, Fein- und Reihenfolgeplanung in der Fertigungssteuerung durch eine integrierte PC-Lösung unterstützt. Über das systemgebundene Netz kapazitiver Be- und Entlastungen der Fertigungs- und Montageeinheiten erfolgt permanente Aktualisierung der Maschinen- und Anlagenverfügbarkeit am Farbmonitor.

In der Tagesroutine unterscheiden sich PC-Leitstände ganz erheblich von Plantafeln alter Prägung. Moderne Leitstände erfordern Erfahrung und eine Menge Fingerspitzengefühl im Berufsbild des Sachbearbeiters ebenso, wie Kenntnis und Übung im Umgang mit der Datenbank.

Die Steuerungsvorgänge werden zwar datentechnisch in der Form unterstützt, daß Kapazitätsbe- und -entlastungen verarbeitet und angezeigt werden. Entscheidungen in bezug auf eine optimale Auslastung in Fertigung und Montage, trifft allein der Sachbearbeiter.

Die mit Hilfe der Leitstandtechnik erzeugten Termindaten sind ebenso wie der aktuelle Auftragsstatus entscheidend von der Qualität der Zeitdaten-Struktur abhängig. Variable Rüstzeiten wie Unterbrechungen, unterschiedliche Auslastungen durch eine Vielfalt von Material- und Umgebungseinflüssen sind durch (vom Hersteller nicht mitgelieferte) Formeln in der Anpassungsprogrammierung zu berücksichtigen.

Wird die Betriebsdatenerfassung (BDE) in die interaktiven Prozesse der Auftragsabarbeitung und des betrieblichen Rechnungswesens integriert, werden Daten gewonnen, die durch konventionelle Verfahren nur mit erheblichem Aufwand, meist zu spät und nur mit geringer Effektivität für unternehmerische Steuerungszwecke zu verwenden sind.

Die Wirksamkeit der Betriebsdatenerfassung erstreckt sich neben der Rückmeldesystematik in der Auftragslogistik, auch auf die Erkennung von Schwachstellen. Für diese Zwecke sind konventionelle Methoden zu aufwendig und uneffektiv. Im Musterfall erfolgt die Realisierung

der BDE in zwei Stufen. In der ersten Stufe erfolgt die Erfassung kostenträgerbezogener Rückmeldedaten über Barcode und Lichtgriffel in den Meisterbüros. In der nachfolgenden Stufe werden sowohl kostenträgerbezogene, als auch kostenstellen- und kostenartenbezogene Daten direkt an den Produktionsanlagen über entsprechende BDE-Systeme erfaßt.

Folgende Erkenntnisse lassen sich aus den realisierten CIM-Bausteinen des Musterfalles ableiten:

Erstens: Die Projektentscheidung fällt auf der Geschäftsleitungsebene. Durch permanente Verbindung zum Projekt (Berichterstattung) behält die GL das Vertrauen zum Projekt und kann auch in Krisenphasen besonnen handeln.

Zweitens: Neutralität, Erfahrung, Durchsetzungsvermögen, hohe Fachkompetenz, Anpassungsfähigkeit und Sachkenntnis, sind unerläßliche Eigenschaften des Projektkoordinators. Halbwissen ist gleichbedeutend mit halben Ergebnissen.

Drittens: Nur ein qualifiziertes Team kann das Projekt über längere Zeit zielgerichtet tragen. Dabei ist unerheblich, ob es sich um vorwiegend externe oder betriebsinterne Teammitglieder handelt. Bewährt hat sich ein Mix aus ex- und internen Experten.

Organisatorisch-datentechnische Veränderungen in bezug auf das Gesamtunternehmen erfordern individuelle Vorgehensweisen. Jeder Teilschritt ist Baustein einer sorgfältigen Planungsvorbereitung und Teil durchgängiger datentechnisch unterstützter Abläufe in der CIM-Kette. Außerdem sind Umstellungen in Richtung CIM nicht mehr abteilungs-, sondern funktionsbezogene Veränderungen mit allen darin enthaltenen Merkmalen, die eine Unternehmens-Landschaft unter Umständen grundsätzlich verändern. Alte Gewohnheiten gehen teilweise verloren. Veränderte Ablaufstrukturen erfordern neue personelle Zuordnungen. Traditionelle Abteilungsgrenzen haben nur noch symbolische Bedeutung. Die Beteiligten müssen lernen, lernen, lernen.

Im Musterfall stand die Projektrealisierung vorrangig unter dem Motto der Umkehrung traditioneller Rollenverständnisse. DV-Abteilung und Anwender vor Ort, wurden von Anfang an als vollwertige Partner in den Umstellungsprozeß einbezogen. Mit zunehmendem Verständnis der Anwender für neue Abläufe und der damit verbundenen Neuordnung personeller Strukturen, wuchs auch die Akzeptanz für abteilungsübergreifende Vorgänge.

Es sollte nicht unerwähnt bleiben daß die neu geschaffenen Systeme eine starke Hand erfordern, die nur in der Top-Ebene angesiedelt sein kann. Denn neu geschaffene Systeme in diesem Umfang sind anfangs empfindlich gegen Nachlässigkeit Unterbewertung, Verkennung der Aufwendungen zur Grunddatenermittlung, mangelnde Personalqualifikation, unzureichende Schulungen, provozierte Engpaßbildung durch Informations- und Datenzurückhaltung und ewige Systemgegner.

Es ist aus internen Gründen an dieser Stelle nicht möglich, über Zahlen zu sprechen, die mit dem Musterfall direkt in Verbindung stehen. Insgesamt wurden jedoch die geplanten Ziele erreicht. Der Musterfall hat gezeigt, daß Innovationen im Zusammenhang mit der DV ein permanentes Suchen nach optimalen Verfahren und Mitteln zur maximalen Zweckerfüllung sind.