Die herkömmliche Fabrik wird immer mehr zur "integrierten DV-Anlage"

CIM erfordert fachübergreifendes Denken

07.10.1988

Der Markt für Rechner im technisch-wirtschaftlichen Einsatz wächst - die Fertigungsunternehmen fordern immer mehr Systeme, die Menschen entlasten und Fertigungsabläufe automatisieren. Zunehmend gefragt sind deshalb Experten die den Mensch-Maschinen-Dialog steuern. Bhawani Shanker umreißt die Berufsanforderungen.

Der Einzug der Digitalisierung in die Werkstattfertigung ist nach Aussage der CIM-Marktforscher nicht zu bremsen. Was als Erfindung von NC-Technikern vor 40 Jahren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) begann, entwickelte sich schnell zur Revolution der flexiblen Automatisierung in den Produktionsprozessen. Etwa 20 Prozent aller Fertigungseinrichtungen wurden seit der Geburtsstunde des industriell nutzbaren Mikroprozessors im Jahre 1975 weltweit durch CNC-Maschinen ersetzt. Und der Integrationstrend vernetzungsfähiger CAD-Software mit numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen und digitalisierbaren Robotern geht weiter. Voraussetzung für den Erfolg mit Computer Integrated Manufacturing sind allerdings eine höhere Qualifizierung der Mitarbeiter in der Produktion und CIM-Lösungen, die den individuellen Bedürfnissen ihrer Anwender entsprechen.

Umgang mit CIM ist viel zu kompliziert

Weniger rosig, als es sich die CIM-Anbieter wünschen, sieht bisher jedoch der Alltag der computerintegrierten Produktion in den Bereichen Fertigung, Arbeitsvorbereitung, Produktionsplanung und Produktionssteuerung aus. Dort, wo die Computerintegration den durchgehenden Datenfluß mit den strategisch wichtigen Funktionen der Fabrik verknüpfen sollte, um menschlicher Kreativität mehr Raum zu schaffen, wird sie häufig zum Gegenstand von Frustration. Erweist sich doch der Umgang mit der CIM-Technik, die erst mühsam mit den notwendigen betriebsspezifischen Daten aufgebaut und mit den computerorientierten Informationsstrukturen organisiert werden muß, oft als viel zu kompliziert. Zweites Manko: Aufgrund fehlender Ausbildungsmodelle stehen den Anwendern nicht genügend qualifizierte CIM-Experten zur Verfügung.

Bereits in der Konzeptphase einer Produktentwicklung werden wesentliche Weichen für die wirtschaftliche Fertigung und Konkurrenzfähigkeit eines Produktes gestellt. Müssen Aspekte der technischen und organisatorischen Innovation bei der Produktion einzelner Teile und Komponenten zusammenspielen, so kann dies die Herstellkosten durch Konstruktions- und Entwurfsprozesse bis zu 70 Prozent beeinflussen. Diese Integrationsfaktoren gewinnen immer mehr an Bedeutung, weil ein durchgehender Datenfluß die Teilfunktionen CAD, CAM und PPS verknüpfen muß. Im Datenverbund mit der Materialflußlogistik und der Qualitätskontrolle lassen sich diese Produktionsprozesse zu einem vom Auftragseingang bis hin zur Auslieferung durchgehenden Fertigungssystem vernetzen.

Produktionsleiter wird Informationsmanager

Der neue Produktionsmanager wird also seine Fabrik in Zukunft als eine "integrierte Datenverarbeitungsanlage" betrachten müssen. In einem Netzwerk von offenen Produktionsteilsystemen spielen zahlreiche Schnittstellen die Rolle der Informationsvermittler. Der traditionelle Fertigungstechniker sieht sich hier mit vollkommen neuen Aufgabenstellungen konfrontiert. Erfolgte nämlich bisher die Produktionssteuerung "nach Sicht" - das heißt, der Meister hatte nur die ihm direkt vorliegenden Fertigungsaufträge zu bearbeiten - steuert nunmehr ein zentrales Produktionsleitsystem die Fertigungsabfolge.

War zum Beispiel der Konstrukteur bisher daran gewöhnt, jeden Entwurf als isolierte Einheit zu betrachten, so ist er nunmehr aus Kostengründen gezwungen, seine neue Konstruktion den eventuell vorhandenen "alten" Zeichnungen anzupassen. Dies wiederum läßt sich nur durch eine Stücklistenverwaltung mit Hilfe der Produktionsplanung und -steuerung realisieren.

Aber auch dann, wenn viele Arbeitsgänge innerhalb eines Auftrages über mehrere unterschiedliche Kapazitätseinheiten in der Werkstatt führen, wird eine durchgehende Integration erforderlich. Die Durchführung der Materialflußlogistik ist ohne Informationstransparenz genauso schwierig wie die Disposition der Werkzeuge, Vorrichtungen, NC-Programme oder Transportmittel. Diese Probleme zeigen, daß der heutige Produktionsleiter immer stärker in die Rolle eines Informationsmanagers gedrängt wird. Er muß fähig sein, den integrativen Informationsfluß aller Produktionsfunktionen wie CAD-Entwurf, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigungssteuerung, Material- und Teiledisposition sowie Produktions- und Montagelogistik - zu koordinieren. Zwar werden die beschriebenen Fertigungsfunktionen an vielen Schulen und Ausbildungsstätten unterrichtet, doch gibt es bei den integrierten Produktionstechniken noch vieles aufzuholen. Dies ist allerdings nicht einfach; denn die CIM-Technik entpuppt sich im Zuge ihrer Realisierung immer mehr als eine Organisationsform, für die unfaßbare Ausbildungsmodelle beziehungsweise bewertbare Analysekriterien fehlen.

Computer Integrated Manufacturing dürfte schon in nächster Zeit zu gravierenden Veränderungen in den Unternehmen führen. Der Produktmanager bekommt hier ein strategisches Werkzeug an die Hand, das ihn gleichzeitig in seiner Qualifikation herausfordert. Der Einzug der CIM-Technik in die Werkstatt wird sehr bald auch alle Führungs- und Organisationsebenen berühren.

Die Entwicklung der NC/CNC-Maschinen hat bereits zu Engpässen an entsprechend ausgebildeten Fachkräften geführt. Sowohl die Betriebsleiter als auch die Dreher und Schlosser mußten den Umgang mit diesen Apparaten in Weiterbildungskursen und Seminaren lernen. Die digitale Intelligenz stellt eine ganze Technikergeneration vor Aufgaben, die nur durch umfassende Kenntnisse der Technologie zu lösen sind.

Zusätzlich hat die NC/Fertigungstechnik auf einen völlig neuen Produktionsfaktor aufmerksam gemacht, der durch den Begriff "Flexibilität" geprägt ist. Die Programmierbarkeit der Werkzeugwege und Maschinenoperationen erlaubt es, eine Produktivität zu erreichen, die mit manuellen Methoden bisher selbst bei Einzelfertigung unerreichbar war.

Die industrielle Verfügbarkeit der Mikroprozessoren hat die Fertigungsprozesse revolutioniert. Produktionsmanager wissen längst, daß das Konstruieren am Bildschirm und das anschließende Programmieren der Werkzeugwege für NC-Maschinen eine routinemäßig zu wiederholende Aufgabe der "Datenverarbeitung" ist, die weitreichende Konsequenzen auf die Organisationsstruktur eines Unternehmens hat.

Den Umgang mit der NC-Technik kann man an entsprechenden Werkzeugmaschinen erlernen; die Wirtschaftlichkeit von computergestützten Fertigungssystemen wie CAD, CAM oder CIM hingegen ist auch heute noch ein schwer zu erfassender Betriebsfaktor. Noch komplizierter ist für den "nichttechnischen" Vertriebsmanager die Frage, wie er die Datenverknüpfung von technischen Details und Wirtschaftsfaktoren der Produktion nutzen kann.

Es reicht nämlich nicht aus, lediglich zu wissen, daß die Computerintegration die Arbeit leichter und produktiver macht. Denn der wirtschaftliche Nutzen einer derart komplizierten Technik ist kaum ohne weiteres einsehbarer muß folglich erst offensichtlich gemacht werden.

Um Computer Integrated Manufacturing für die Optimierung der Wirtschaftlichkeit gezielt in der Produktion einsetzen zu können, müssen die angehenden Produktionstechniker die für diese Technik spezifische Organisation des durchgehenden Datenflusses kennenlernen. Vielfach fehlen allerdings noch Erfahrungswerte, und für die Weiterbildung der Experten gibt es keine Praxismodelle.

CIM ist mehr als betriebliche Organisation

Erforderlich ist deshalb eine neue Simulationstechnik, um die CIM-Vorgänge auf ihre Konsequenzen und auf ihre Rentabilität hin zu überprüfen. Der Informationsmanager benötigt daher für strategisch und wirtschaftlich richtige Entscheidungen in den Bereichen Automation und Produktion das Wissen über die Zusammenhänge der einzelnen CIM-Komponenten.

Am Beispiel einer Werkstätte für CIM lassen sich die Fertigungsvorgänge im Datenverbund simulieren: Zunächst gilt es, die Grundzüge des Entwurfes festzulegen; anschließend wird am CAD-Arbeitsplatz die Konstruktion mit den Bauteilen fertiggestellt. Die Methode zur Variantenkonstruktion soll nunmehr deutlich machen, welch dynamisches Instrument der Konstrukteur mit der CAD-Software an die Hand bekommt. Die Flexibilität dieses Hilfsmittels wird zusätzlich durch sogenannte Sachmerkmalleisten gesteigert.

Die Simulation der computerintegrierten Produktion als Mittel zur Weiterbildung setzt eine konsequente Weiterbildung und eine Vertiefung in den Teilprozessen voraus. Daher hat es sich als unerläßlich erwiesen, daß der "Lernende" die Vorgänge Vertrieb, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigung etc. bereits beherrscht. Das primäre Ziel dieser CIM-Ausbildung ist, das Organisationskonzept transparent zu machen, und so das integrierte Informationssystem in der Fertigung zu verdeutlichen. Die Fertigungstechniker müssen sich in bereichsübergreifenden Denkmustern üben. Das CIM-Konzept umfaßt daher weit mehr als innerbetriebliche Organisation und schließt die integrative Zusammenarbeit zwischen Großproduzenten und ihren Teilelieferanten mit ein.