CIM: Eine "revolutionäre Evolution" setzt sich durch

03.04.1987

"Folgt dem Computer Integrated Manufacturing demnächst Computer Aided Anything?" fragt sich Uwe Zimmath, Org./DV-Leiter bei AEG. Zwar steht langfristig die Bedeutung des Integrations-Konzepts außer Frage, doch appelliert Zimmath ebenso wie sein Kollege Wolfgang Neubauer von der Hamburger Karl H. Bartels GmbH & Co. KG, an den Realitätssinn des Anwenders. Kosteneinsparungen und dar aus resultierende Wettbewerbschancen waren für Hagen Rohrbacher, Alfred Teves GmbH, und Ernst F. Hahn, Fichtel & Sachs AG, ausschlaggebend, sich für CIM-Implementationen zu entscheiden. Die Gefahr, aus der intern vollzogenen Integration in eine sich extern vollziehende Abhängigkeit zu geraten, schätzt das Vorstandsmitglied der Klein, Schanzlin & Becker AG, Otto H. Schiele, als gering ein.

Dr. Hagen Rohrbacher

CIM-Projektleiter Alfred Teves GmbH, Frankfurt

CIM ist ein Muß für den Fertigungsbetrieb! Wir, die Alfred Teves GmbH, ein Kfz-Zulieferungs-Unternehmen, planen den Einsatz von Computer Integrated Manufacturing in zwei Bereichen, denen speziell bei der Zuliefer-Industrie große Bedeutung zukommt: zum einen im Produkt, entstehungsprozeß, zum anderen bei der Rationalisierung des Materialflusses, in der Logistik also.

Diese Notwendigkeit ergibt sich in besonderem Maße durch unsere modernsten Produkte, die ABS-Anlagen, die aus komplexen feinmechanischen und elektronischen Komponenten bestehen. Da durch sind die Anforderungen an die Bereiche Konstruktion und Logistik sprungartig angestiegen.

Wenn einzelne Bereiche, wie zum Beispiel CAD oder CAM, bereits eine hohe Durchdringung mit DV haben und somit unter Gesichtspunkten der Kostenreduktion bereits optimiert sind, treten in immer stärkerem Maße Zeitverzögerungen im Ablauf auf, die durch die fehlenden Verbindungen zwischen den "Automatisierungsinseln" verursacht werden.

Das Ziel jedes weiteren DV-Einsatzes muß es daher seine diese Verbindungen zu ermöglichen.

CIM läutet diesen integrationsprozeß ein mit dem Zielt flexiblere Reaktionsmöglichkeiten auf Produkt- und Märkterfordernisse zu erreichen.

Durch den Einsatz der Datenverarbeitung in verschiedenen Bereichen ist Information zum Produktionsfaktor geworden, der jetzt ebenso optimal eingesetzt werden muß wie Material, Maschinen und menschliche Arbeitskraft.

Wir sind der Ansicht, daß Unternehmen, die sich in spätestens fünf Jahren noch nicht auf diese Integrations-Strategie eingestellt haben, schlechtere Chancen gegenüber ihren Mitbewerbern am Markt haben werden. Dann werden nämlich insbesondere große Unternehmen Computer Integrated Manufacturing realisiert haben, an die sich deren Zulieferer werden anschließen müssen.

Neben Produkten und Qualität wird die Fähigkeit zu diesem Anschluß ein wichtiges Auswahlkriterium für einen Zulieferer werden. Wir steigen mit CIM in die nächste Generation der Datenverarbeitung ein, wo DV-Einsatz nicht mehr primär unter internen Kostengesichtspunkten betrieben wird, sondern den Stellenwert eines zusätzlichen Wettbewerbsfaktors erhält.

Ernst F. Hahn

Hauptabteilungsleiter Unternehmensbereich PTE, Fichtel & Sachs AG, Schweinfurt

Bevor man über die Bedeutung von Computer Integrated Manufacturing zu diskutieren beginnt, tut eine Definition dieses Begriffes not. Wir, die Fichtel & Sachs AG, verstehen unter CIM die "Klassischen CAs" - CAD, CAM, CAP, CAQ, PPS ergänzt durch rechnerunterstützte Instandhaltung und dergleichen.

Wir haben bei Fichtel & Sachs augenblicklich ein Pilotprojekt in Planung, in dessen Rahmen - meiner Einschätzung nach - innerhalb von zwölf bis fünfzehn Monaten Hard- und Software installiert sein werden.

Über kurz oder lang werden wir für unsere Belange ein Gesamtkonzept für die Informations-Verarbeitung entwickeln müssen. Mit dieser Voraussetzung werden wir dann sukzessive weitere Fertigungsquerschnitte - unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der Anforderungen des Computer Integrated Manufacturing neu strukturieren und integrieren.

Allgemein, also über die Grenzen unseres Unternehmens hinausgehend, halte ich die Wirkungen von CIM kurzfristig für nicht sehr weitreichend. Auf mittlere Sicht allerdings - hier meine ich eine Zeitspanne von etwa drei Jahren - wird diese Strategie spürbar an Einfluß gewinnen. Langfristig - das sind Zeiträume um fünf, sieben oder noch mehr Jahren - wird CIM eine zentrale Bedeutung erlangen. Die obengenannten Zeiträume werden aber nicht durch die reine CIM-Entwicklung bestimmt, sondern auch durch die Möglichkeiten, in CIM zu investieren, Keinem Unternehmen werden wohl die erforderlichen Mittel in unbeschränkter Höhe zur Verfügung stehen.

Was die Wettbewerbschancen anlangt, so sehe ich eine Zweiteilung: Jedenfalls positiv wird sich die Strategie für den auswirken, der sich ihrer bedient, sie einsetzt und Nutzen daraus zieht. Unternehmen, die sich CIM-Konzepten auch in Zukunft verschließen, werden ihre Wettbewerbsposition verschlechtern.

Doch um das "Ja" zu CIM noch einmal zu unterstreichen, will ich auf CIM als "Flexibilisierungs-Motor" für die Produktion hinweisen und einige weitere Vorteile nennen:

-kürzere Entwicklungs-, Einführungs- und generelle Reaktionszeiten,

-verbesserte Planungsqualität, AV-Tätigkeit und Werkstattsteuerung eingeschlossen,

- Optimierung der technischen Durchlaufzeiten und Reduzierung der Bestände.

All diese Punkte erhöhen die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens mit CIM-Einsatz. Außerdem ergibt sich als Konsequenz neben Kostensenkung und gesteigerter Fertigungsqualität auch mehr Transparenz, im Sinne einer "gläsernen Fabrik".

Uwe Zimmath

Leiter Org./DV AEG AG, Geschäftsbereich Hausgeräte, Nürnberg

CIM - ein evolutionärer Prozeß, der vor Jahren begonnen und dessen Ende nicht abzusehen ist.

Bei der AEG Aktiengesellschaft, Geschäftsbereich Hausgeräte, mit Sitz in Nürnberg, vier Werken, weltweitem Vertrieb mit Schwerpunkt in Westeuropa, gliedert sich das DV-Geschehen, grob geschildert, wie folgt:

1. Ebene:

Auf dieser Ebene stehen (über Jahre hinweg) gewachsene und in ständiger Verfeinerung befindliche große, zentrale Planungssysteme zur Verfügung. In ständiger rollierender Aktualisierung mit einem längerfristigen Planungshorizont werden aufgrund laufend aktualisierter Daten des Vertriebs/Marketings die Produktionsprogramme für die Werke festgelegt. Maschinelle Stücklistenauflösung des Produktionsprogramms unter Berücksichtigung des aktuellen Produktionsgeschehens führen zu rollierend überarbeiteten Aufträgen in Form von Mengen und Terminen für Eigenfertigungs- und Einkaufsmaterialien (Nettobedarfsrechnung).

Fremdeinkaufsaufträge werden rollierend über ein Onlineeinkaufssystem an Fremdlieferanten weitergegeben.

Eigenfertigungsaufträge werden im Kurzfristbereich (von etwa fünf Tagen bis auf Tagesebene) in vor Ort an den jeweiligen Werksstandorten befindliche Fertigungsauftrags- und Lagerverwaltungssysteme online übermittelt.

2. Ebene:

Im Werksrechner für Fertigungsauftrags- und Lagerverwaltung im Werk erfolgen Aktivitäten wie beispielsweise,

- Erstellung der Arbeitspapiere für die Fertigung,

- automatische, termingerechte Materialbereitstellung,

- Palettierung und Einlagerung von Wareneingängen,

- Erfassung der Produktion in allen Fertigungsstufen,

- Lagerverwaltung einschließlich Bestandsführung bis auf Lagerplatzebene; Lagerorganisation und Lagerstrategie,

- weitere Konkretisierung der Fertigungsaufträge (Termine, Reihenfolgen) und deren Weitergabe (zur Zeit noch offline) an korrespondierende Steuerungsrechnersysteme im Werk,

- zeitgleiche (online) Rückmeidungen an das Planungssystem (Host).

Unterhalb dieser zweiten Ebene beginnt eine wesentlich stärkere werksindividuelle Ausprägung in Form der

3. Ebene:

Auf dieser Ebene mit Aufgaben wie zum Beispiel

- kurzfristige Kapazitätsrechnung,

- Reihenfolgeplanung,

- Betriebsmittelüberwachung,

- Terminrealisierung,

- Behandlung von Fertigungsstörungen

sowie zu integrierenden, automatisierten Materialflußsystemen liegt das größte zu realisierende Potential für "CIM-Aktivitäten".

Wir produzieren nicht aus einer Kundenauftragsvorlage heraus, sondern "blind"; das heißt, von den Erzeugnissenr die wir heute produzieren erhoffen wir, daß sie in den nächsten Wochen in der vom Endverbraucher gewünschten Form, Farbe und Ausstattung über den Handel geordert werden.

Auch eine noch so große Lagerhaltung an fertigen Erzeugnissen könnte - abgesehen von der enormen Kapitalbindung - niemals allen sich kurzfristig wandelnden Verbraucherwünschen gerecht werden. Dieses führt zu immer kleineren Produktionslosgrößen in immer kürzeren Zeitintervallen.

Künftig immer mehr von- beziehungsweise teilautomatisierte Produktionsprozesse erfordern eine Feinsteuerung aller Produktionsmittel bis hin zur Prozeßebene.

Künftige Systeme auf dieser Ebene müssen Funktionen abdecken wie

- kurzfristige Kapazitätsrechnungen über mehrere Fertigungsstufen,

- Reihenfolgefeinplanung,

- Überwachung von Anlagen und Betriebsmitteln,

- Teilebedarfsermittlung und Verfügbarkeitsrechnung,

- Montagefortschrittsverfolgung,

- Fehlermitführung,

- aktuelle Störungsbehandlung mit Rückkopplung.

Auch die Einbindung von CAD-Anwendungen wird im Rahmen dieses Prozesses spätestens erforderlich. Systeme auf dieser Ebene unterliegen besonderen Anforderungen bezüglich individueller Systemverfügbarkeit, temporärer Unabhängigkeit von vorgelagerten Systemen, sehr hoher Ausfallsicherheit (Duplex-Betrieb), der Möglichkeit zur Signalverarbeitung von NC-Steuerungen etc.

Auf dieser Ebene werden sicherlich künftig die größten Schwerpunkt-Aktivitäten liegen müssen. Aufgrund des mittlerweile bereits erreichten hohen Integrationsstandes wird dieser Prozeß sich nur in evolutionärer Form realisieren lassen, wobei unter der Faszination des technisch Möglichen der Blick für das real Machbare und Sinnvolle nicht verlorengehen sollte.

Wolfgang Neubauer

Technischer Leiter Karl H. Bartels GmbH & Co. KG, Hamburg

CIM - das Konzept zur totalen Computerisierung der Fertigung und deren Vorfeld. EDV-Einsatz von der Planung bis zur Auslieferung eines Artikels. Für aufgeschlossene Menschen im Computerzeitalter eine Herausforderung, eine Vision.

Immer mehr Firmen bieten sich zur Ausarbeitung eines CIM-Konzeptes an. Abgestimmt - da keine Patentlösungen, sprich: Standardsoftware, möglich - auf den Betrieb des Kunden. Im Stillen hoffend, daß der Kunde einen gut durchorganisierten Betrieb hat, und mit Mitarbeitern gesegnet ist, die jede Neuerung freudig aufnehmen und nutzen wollen. Und hier ist eigentlich der Punkt, an dem die Weichen gestellt werden, ob eine Firma glücklich oder unglücklich mit solch einem allumfassenden Vorhaben werden kann. Die Weichensteller sind hier einmal der Fachmann des Anbieters und zum anderen der Verantwortliche beim Kunden. Hoffentlich ist der Anbieter so ehrlich, den Kunden zu dessen Wohl zu beraten! Hoffentlich ist der Kunde so realistisch und in der DV vorgebildet, seinen Betrieb richtig einzuschätzen!

Wohl dem, der aus eigener Erkenntnis und/oder durch Hinweise sich nicht auf Höhenflüge begibt, sondern sein Hauptaugenmerk schon in der Wunschphase auf die vielen kleinen Stolpersteine lenkt. Gemeint sind hier die organisatorischen Vorstufen, um Oberhaupt erst an die einzelnen Bausteine eines CIM-Konzeptes, wie CAD, CAM, CAP, CAE, PPS, etc. denken zu können, geschweige denn an das Zusammenspiel dieser Bausteine. Was nützt die schönste CAD/CAM-Anläge, wenn das Personal aus qualitativen Gründen nicht optimal mit der Anlage arbeiten kann? Oder der Werkzeugmaschinenpark nicht vor NC-, CNC- und DNC-Steuerungen strotzt? Was nützt das ausgefeilteste PPS-System, wenn die Materialwirtschaft von der Hand in den Mund lebt, also noch keine Materialverzeichnisse aus den Stücklisten erstellt hat? Oder die Zeitwirtschaft praktisch nicht existiert, weil Arbeitspläne nur unzureichende Qualität haben oder ein undefinierbares Lohnsystem herrscht?

Wohl dem, der sich sehr, sehr viel Zeit nehmen kann, um sich ein sehr gründliches Pflichtenheft erarbeiten zu können, bevor überhaupt ein erster verbindlicher Schritt unternonimen wird. Wem das unmöglich ist, der sollte unbedingt einen unabhängigen Unternehmensberater heranziehen. Dem Verantwortlichean aus eigenen Reihen sollte aus Fairneß viel Zeit zugestanden werden - und wenn es erst einmal für die eigene Weiterbildung ist. Denn dieser Verantwortliche wird einen steinigen Weg bis zur Verwirklichung der gesteckten Ziele durchstehen müssen. Um nur einige "Steine" zu nennen:

- Inwieweit ist das Artikelprogramm der Firma "DV-geeignet"?

- Inwieweit ist das Personal geeignet?

- Welche Stimmung herrscht in der Fertigung?

- Wie kooperativ ist der Betriebsrat?

- In welchem Zustand ist der Maschinenpark?

- In welchem Zustand ist die Finanzdecke?

Wenn bei diesen Fragen mehr positive als negative Punkte feststellbar sind, kann vielleicht der nächste Schritt gewagt werden - vielleicht wird dann CIM erreicht.