Chef oder lieber Spezialist?

14.07.2006
Von Gudrun Schulz 
In Zeiten von Verschlankung, Personalabbau und Fusionen werden klassische Chefposten knapp. Viele Firmen bieten deshalb Mitarbeitern mit Expertenwissen andere Entwicklungsmöglichkeiten.

Der Mythos hält sich hartnäckig: Wer Karriere machen will, muss führen. Lange Zeit galt eine klassische Management-Laufbahn als einziger Weg zu Anerkennung und attraktiver Vergütung. Doch das Blatt hat sich gewendet. Fragt man Gunnar Kunz, ist Karriere mittlerweile nicht mehr zwangsläufig mit beruflichem Aufstieg gleichzusetzen. Der Personalberater und Coach definiert berufliches Vorankommen vor allem als Fähigkeit, die eigenen Talente und Stärken zu erkennen und zu nutzen. "Früher konnte man darauf vertrauen, nach einigen Jahren automatisch befördert zu werden. Das ist heute nur noch begrenzt so."

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Buchbesprechung: Welcher Karriereweg ist der richtige?

Karriereratgeber gibt es viele. Die meisten konzentrieren sich jedoch auf die klassische Führungslaufbahn. Anders Gunnar Kunz. Der Personalberater und Management-Trainer (www. dr-kunz-consult.de) zeigt in seinem Buch, dass beruflicher Erfolg und eine verantwortungsvolle Position nicht nur Führungskräften vorbehalten sind. Der Autor liefert Beispiele, wie man sich als Fachmann beruflich weiterentwickelt - als Projekt-Manager, Berater, im Außendienst oder in der Weiterbildung. Um die berufliche Zukunft zielgerichtet gestalten zu können, rät Kunz, sich über die persönliche Motivation, die eigenen Ziele und Bedürfnisse klar zu werden und eine individuelle Karriereorientierung zu entwickeln. Anhand von Checklisten findet der Leser heraus, wo sein fachliches und methodisches Potenzial liegt und wie ausgeprägt seine sozialen Kompetenzen sind.

Gunnar C. Kunz: Fachkarriere oder Führungsposition. So stellen Sie die Weichen richtig. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2005, 24,90 Euro.

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Test: Chef oder Spezialist?

Online-Self-Assessment (OSA) ist ein Persönlichkeitsfragebogen und wurde vom Psychologen und Buchautor Dr. Walter Lieberei entwickelt. Der Test umfasst 40 Fragen, die sich auf den beruflichen Alltag beziehen. Auf einer zehnstufigen Skala wählt der Proband aus, inwiefern die jeweilige Aussage auf ihn zutrifft. Aus dem Antwortverhalten werden Rückschlüsse auf acht Persönlichkeitsdimensionen gezogen. Das erhaltene Profil zeigt auf, ob der Teilnehmer eher eine Experten- oder eher eine Führungslaufbahn anstreben sollte. Die acht Dimensionen sind

• Konfliktbereitschaft/Harmoniestreben;

• Sicherheitsstreben/Veränderungsbereitschaft;

• Handlungsorientierung/Planung und Reflexion;

• Robustheit/Sensibilität;

• Profitstreben/Nachhaltigkeitsorientierung;

• Ausgeglichenheit/Leistungsmotivation;

• Intuition/Rationalität sowie

• Team- und Führungsorientierung/Automoniestreben.

Für eine Expertenlaufbahn sprechen etwa hohe Werte auf den Skalen "Autonomiestreben", "Harmoniestreben", "Sicherheitsstreben" und "Handlungsorientierung". Von Führungskräften werden hingegen hohe Werte auf den Skalen "Konfliktbereitschaft", "Veränderungsbereitschaft", "Planung und Reflexion" und "Führungsorientierung" erzielt.

Unter dem Link www.alpha-test.de/ computerwoche/test/html stellt die Firma alpha-test den Lesern der CW den Test für drei Wochen kostenlos zur Verfügung. Bei Fragen zum Test wenden Sie sich per E-Mail an: kontakt@alpha-test.de. Weitere Infos unter www.alpha-test.de.

Dafür seien die Entwicklungsmöglichkeiten mittlerweile vielfältiger. Im Job voranzukommen könne auch heißen, sich in neue Teams zu integrieren, an einen anderen Standort zu wechseln oder eine Zeit im Ausland zu verbringen. Kunz: "In vielen Unternehmen, vor allem in größeren, haben Fach- und Führungskarrieren den gleichen Stellenwert. Auch als Fachmann ohne Führungsaufgaben kann man eine interessante Karriere machen."

Spezialisten in der Chefetage

Der Blick in die Chefetage beweist: Viele Entscheidergruppen sind nicht mehr nur mit Führungskräften besetzt, sondern auch mit Spezialisten. Schließlich haben Top-Controller, IT-Fachleiter oder Steuerexperten wesentlichen Anteil am Unternehmenserfolg und sind an wichtigen Weichenstellungen beteiligt. "Die Entwicklung von Computerprogrammen ist ebenso eine schätzenswerte Qualität wie Führung. Wichtig ist, dass ein Unternehmen das auch in seiner Aufbauorganisation sichtbar macht", so Kunz.

Mentor unterstützt Nachwuchs

Das Softwarehaus sd&m weiß das Expertenwissen seiner Fachleute zu schätzen. "Wir sind keine Management-Beratung, sondern unser Geschäft lebt von technisch guten Lösungen", sagt Personalleiter Christoph Reuther. Das Münchner Unternehmen bietet seinen Mitarbeitern drei Entwicklungsmöglichkeiten. Neben der klassischen Führungslaufbahn gibt es zusätzlich einen technisch und einen anwendungsorientierten Entwicklungspfad. Nach den ersten Jahren als Mitarbeiter in Entwicklungs- und Beratungsprojekten wird der Schwerpunkt für die weitere Karriere festgelegt. Besonders talentierte Mitarbeiter absolvieren ein einjähriges Förderprogramm, um die nächste Stufe zu erreichen. Während dieser Zeit werden zusammen mit einem Mentor Aufgaben aus dem künftigen Arbeitsalltag bewältigt. Ziel ist herauszufinden, wo die Stärken des Einzelnen liegen und für welchen der drei Entwicklungspfade er sich eignet. Am Ende entscheidet ein Assessment-Center über die Beförderung. Auch die Ausrichtung der weiteren Laufbahn und die Weiterbildungsmaßnahmen werden bestimmt. Reuther: "Alle drei Entwicklungspfade sind absolut auf Augenhöhe, auch was den Verdienst angeht."

Auch bei SAP in Walldorf haben Fachkräfte keinen Imagenachteil zu befürchten. Sie genießen aufgrund der Firmengeschichte traditionell ein hohes Ansehen. "Bei SAP lag der Schwerpunkt nie auf der Führung von Mitarbeitern. Wir brauchen Spezialisten. Mitarbeiter, die eine Fachkarriere machen, sind deshalb seit jeher sehr geschätzt und werden als wichtige Ansprechpartner respektiert", sagt Steffen Laick, Senior Recruitment Consultant bei SAP. Neben der Fach- und Führungslaufbahn gibt es auch bei SAP mit dem Projekt-Management einen dritten Karriereweg. Der Zeitpunkt, wann sich ein Mitarbeiter für die eine oder andere Laufbahn entscheidet, ist flexibel. "Nach der Probezeit ist zum Beispiel ein guter Zeitpunkt, um zu klären, wo die Reise hingehen soll."

Wer sich für die Führungslaufbahn entscheidet, erhält an der SAP University zwei Jahre lang ein Führungskräftetraining, das klassische Themen wie Konfliktfähigkeit, Präsentationstechniken, Umgang mit Kosten und Budgetkalkulation abdeckt. Für künftige Projekt-Manager ist das hauseigene "Projektmanagement Institute" zuständig, und Fachleute werden entsprechend ihrem Schwerpunkt geschult.

Keine Gehaltsunterschiede

Ob Fach- oder Führungslaufbahn - die Entscheidung für den einen oder anderen Weg muss keine Einbahnstraße sein. Das Motto "Einmal Fachkraft, immer Fachkraft" ist überholt und eine Neujustierung jederzeit möglich, wie Viola Klein, eine Gründerin des mittelständischen Software- und Beratungshauses Saxonia Systems, bestätigt: "Es gibt Lebensumstände, in denen sich Menschen verändern. Jemand, der während seiner beruflichen Laufbahn gelernt hat, zu kommunizieren, kann durchaus in der Lage sein, andere zu führen." Auch Peronalberater Kunz hält Führung nicht für angeboren: "Führung kann man lernen, indem man zum Beispiel Teams moderiert, präsentiert und kleine Leitungsaufgaben erhält. Eine langjährige Fachkraft kann auch noch mit 50 eine Führungsrolle übernehmen."

Von der Führungs- zur Fachkraft

Dass sich die Ansprüche an den Job im Lauf des Berufslebens immer wieder ändern können, weiß Jörn Feuerabend aus eigener Erfahrung. Nachdem er sechs Jahre lang bei Fujitsu Services als Führungsposition mehrere Teams geleitet hatte, suchte er nach einer neuen Aufgabe und fand sie in der Fachkarriere. "Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich etwas anderes machen wollte", sagt Feuerabend heute. "Dabei war mir völlig egal, welche Rahmenbedingungen das mit sich bringen würde. Ich wusste, ich kann Führungsverantwortung übernehmen, wollte mich fachlich aber diversifizieren."

Bereut hat er seinen Entschluss nicht. Heute arbeitet er im Marketing als Programm-Manager, entwickelt neue Produkte und Leistungen für Kunden und übernimmt damit vor allem strategische Aufgaben. Die Erfahrungen aus der Zeit als Führungskraft kommen ihm dabei zugute. "Auch in meiner neuen Position muss ich motivieren und überzeugen können. Früher hatte ich zusätzlich disziplinarische Mittel und konnte im Zweifelsfall Dinge einfach anordnen. Heute muss ich die Kollegen noch umfassender davon überzeugen, dass sie mit einem neuen Produkt erfolgreich sein werden."

Das Beispiel zeigt: Die Grenzen von Fach- und Führungskraft sind heute fließend, und ganz ohne Kommunikationstalent kommt auch ein Spezialist nicht weit. "Die strikte Trennung zwischen Fach- und Führungslaufbahn hat sich ein Stück weit aufgeweicht. Viele Fachkräfte, die ein Projekt leiten, übernehmen durchaus auch Führungsverantwortung, zwar keine disziplinarische, aber fachliche", sagt Angélique Thranberend, HR-Direktorin bei Fujitsu Services. Während Experten vor allem ein detailliertes Fachwissen benötigten, sei bei einer Führungskraft der Helikopter-Blick gefragt. "Wer führt, muss wissen, welche Skills es im Team gibt, und die Mitarbeiter ihren Fähigkeiten entsprechend einsetzen", so die Personalleiterin.

Auch wenn die Grenzen zunehmend verwischen, gibt es dennoch Unterschiede in den Anforderungsprofilen. Wer sich eher in der Expertenlaufbahn sieht, sollte sich darauf konzentrieren, seine fachlichen Fähigkeiten zu erweitern und zusätzliche Erfahrungen zu sammeln. Potenzielle Führungskräfte dagegen zeichnen sich vor allem durch Konfliktfähigkeit, Entscheidungsfreude und die Bereitschaft aus, Verantwortung zu übernehmen - für das eigene Tun und das der Mitarbeiter. Wer führt, muss Strategien in Ziele umsetzen, motivieren und begeistern können.

Der Chef muss andere motivieren

Fujitsu-Services-Mann Feuerabend sah seine Führungsverantwortung vor allem darin, seine Mitarbeiter zu entlasten. "Ich habe viel Zeit darauf verwendet, Mitarbeiter zu motivieren und in Gesprächen herauszufinden, welche Probleme sie beim Kunden haben. Aufgabe einer Führungskraft ist es, den Mitarbeitern alle Tools und Möglichkeiten an die Hand zu geben, damit sie ihren Job optimal erfüllen können."

Obwohl mittlerweile viele Firmen Fachkräften Entwicklungsperspektiven bieten, macht immer noch das Gerücht vom schlecht bezahlten Spezialisten die Runde. Eine Vergütungsstudie der Unternehmensberatung Kienbaum scheint es zu bestätigen. Danach variieren die Jahresgesamtbezüge von IT-Mitarbeitern deutlich. Während Führungskräfte im Durchschnitt 101000 Euro pro Jahr verdienen, landet eine Fachkraft gerade einmal bei durchschnittlich 57 000 Euro.

Eigene Karriere langfristig planen

"Hierarchie ist noch immer ein wesentlicher Treiber der Vergütung. Führungsfunktionen werden, egal in welcher Branche, immer besser bezahlt. Der Markt honoriert Führungsaufgaben, weil sie ein viel höheres Maß an Verantwortung für Mitarbeiter und Budgets mit sich bringen und dafür auch Entscheidungskompetenz und Erfahrung voraussetzen", sagt Michael Kramer, Bereichsleiter bei Kienbaum Consultants.

Viele Unternehmen beteuern jedoch, dass sie den Wert der Spezialisten zu schätzen wissen und diese entsprechend entlohnen. "Gerade in der IT ist der Markt bereit, für Leute mit sehr speziellem Fachwissen viel Geld zu zahlen", sagt die Personalerin Thranberend von Fujitsu Services. SAP-Mann Laick bestätigt: "Wir haben ein stringentes Gehalts-Management-System, in dem Spezialisten genauso viel verdienen wie Manager und Führungskräfte. Das kann dazu führen, dass ein erfahrener Softwarearchitekt mehr bekommt als ein Manager."

Wer vor der Frage "Führungs- oder Fachlaufbahn?" steht, dem rät Personalberater Kunz, möglichst entspannt damit umzugehen. Wer sich zu sehr unter Druck setze und krampfhaft darauf konzentriere, den nächsten Karriereschritt zu machen, laufe Gefahr, mental zu blockieren. "In Firmen wird man darauf getrimmt, nur bis zum nächsten Quartal zu schauen. Bei der persönlichen Entwicklung aber braucht man Geduld", so Kunz. "Karriereplanung sollte langfristig angelegt sein. Schließlich geht es nicht um die nächsten ein bis zwei Jahre, sondern um das ganze Leben." (am)