Cell Network sperrt Mitarbeiter aus

10.07.2001
Von Martin Hartwig
Die Entlassungswelle bei Internet-Firmen ebbt nicht ab. Nach Pixelpark und ID- Media melden zwei weitere Berliner Unternehmen Personalabbau: Cell Network Germany (früher Aperto) und Modalis Resarch. Beide Unternehmen haben in der Vergangenheit durch ihren unkonventionellen Führungsstil, die Duz-Kultur mit ihren flachen Hierarchien und ihre Flexibilität bei Arbeitszeiten von sich reden gemacht.

Am Morgen des 28. Juni standen die Beschäftigten der Multimedia-Agentur Cell Network Germany vor verschlossenen Türen. Keiner kam an seinen Arbeitsplatz in der aufwändig sanierten ehemaligen Klavier- und Sargfabrik. Gegen zehn Uhr rückte die Geschäftsleitung an. „Gestern kursierten Gerüchte. Heute muss ich euch sagen, die Gerüchte wurden übertroffen“, so leitete nach Auskunft eines Teilnehmers Geschäftsführer Dirk Buddensiek seine Rede ein.

Ein Bild aus glücklicheren Tagen bei Cell Networks.
Ein Bild aus glücklicheren Tagen bei Cell Networks.

Mit einem Overhead-Projektor wurden 36 Namen an die Wand geworfen. Das waren die, die im Unter-nehmen bleiben durften, jedoch nun den Raum verlassen mussten, damit Buddensiek den anderen 60 mitteilen konnte, dass sie ab sofort „freigestellt“ sind. Jeder erhielt zwei Papiere in die Hand gedrückt. Auf einem war der Termin für das persönliche Entlassungsgespräch vermerkt, das andere war die Abwicklungsvereinbarung. Wer diese wie gewünscht gleich unterschrieb, erklärte damit den Verzicht auf Abfindungszahlungen. „Unser Problem ist, das Wachstum zu kontrollieren“, hatte Geschäftsführer Buddensiek noch vor einem guten Jahr erklärt.

Mittlerweile hat sich die Auftragslage so verschlechtert, dass an der Entlassung von 60 Mitarbeitern kein Weg mehr vorbeiführte, so der Chef von Cell Network Germany. Vor allem im zweiten Quartal gab es einen massiven Einbruch: Kunden verschoben angekündigte Projekte oder reduzierten das Volumen der Aufträge auf einen Bruchteil. Die Kündigungen betreffen Mitarbeiter aus allen Abteilungen, angefangen vom Projekt-Management über Programmierung und Gestaltung bis zur Verwaltung. „Es gibt keine gute Art, Kündigungen auszusprechen. Auch eine endlose Reihe von Einzelgesprächen ist nicht besser“, so Buddensiek zu den Vorwürfen eines rüden Stils.

Dass es bei Cell Network Germany nicht gut lief, zeichnete sich schon länger ab. Der „First Monday Club“, bei dem sich die Beschäftigten an jedem ersten Montag im Monat auf Kosten der Firma in einem angemieteten Club amüsierten, fand schon seit Monaten nicht mehr statt. Vom jährlichen Betriebsurlaub am Mittelmeer war keine Rede mehr, und seit fünf Wochen gab es auch das Frühstücksbüffet und die Cola zwischendurch nicht mehr gratis. Nur eine Minderheit der 60 Entlassenen hat die vorgelegte Abwicklungsvereinbarung unterschrieben.

Der Rest sich mit der Gewerkschaftsinitiative Connexx.av in Verbindung gesetzt. Deren Sprecher Olaf Hofmann will sich mit den Gekündigten für angemessene Abfindungszahlungen einsetzen und ermuntert die Betroffenen dazu, entschlossen vorzugehen. „Solange die Hunde nur bellen, ist man noch entspannt. Es muss erst eine Klage auf dem Schreibtisch liegen, dann wird man aktiv“. An einer Reihe von Klagen auf Wiedereinstellung dürfte laut Hofmann die Cell-Network-Geschäftsführung nicht interessiert sein: Die Prozesse würden sich über Monate hinziehen, das Unternehmen müsste den Grund für die Kündigungen nennen und damit die Bücher offen legen.

Nach Einschätzung eines ehemaligen Cell-Network-Mitarbeiters, der wie alle Betroffenen anonym bleiben will, wären etwa 50 Kollegen bereit zu klagen. Sie fordern ein Monatsgehalt Abfindung für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit und für die Entlassenen, die Eltern sind, ein weiteres Monatsgehalt pro Kind. Von einer höheren Abfindung für Mitarbeiter mit Kindern weiß allerdings die Rechtsprechung nichts. So sieht etwa der „Haustarif“ des Arbeitsgerichts München eine Abfindung von einem halben Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr vor. Cell-Network-Chef Buddensiek sagte der CW, dass man bereit sei, etwa einer Mitarbeiterin mit zwei Kindern eine Abfindung zu zahlen. An eine Regelung für alle Entlassenen denkt er allerdings nicht: „Wir sprechen das mit jedem Einzelnen ab. Es hängt auch davon ab, wie lange derjenige für uns schon gearbeitet hat.“

Das familiäre Betriebsklima sieht Buddensiek bei Cell Network fürs Erste als gestört an, jedoch nicht aufgrund seines Kündigungsstils, sondern wegen der entlassenen Mitarbeiter, die sich an die Presse gewandt haben. Auch Modalis entlässt Die Perspektiven für das Online-Marktforschungsinstitut Modalis Research schienen noch vor drei Monaten rosig. Eine Studie prognostizierte der Branche ein jährliches Wachstum von fünf Prozent und bis zum Jahr 2004 einen Anteil von 15 Prozent am Gesamtumsatz der Marktforschung.

Hans Schmolke
Hans Schmolke

Hans Schmolke, Geschäftsführer der Berliner Niederlassung, hatte angekündigt, das Personal in nächster Zeit von 60 auf 90 Beschäftigte aufzustocken. “Heute hört sich das alles etwas anders an” räumt er jetzt ein. “Die Kunden haben 25 Prozent aller Aufträge gestrichen oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.” Nicht nur die Berliner Filiale ist betroffen. Weltweit ist das Unternehmen, das in den USA, Schweden Frankreich und Großbritannien aktiv ist, in Schwierigkeiten geraten. Die Krise der IT-Branche trifft Unternehmen wie Modalis besonders hart.

„Es ist eine Kettenreaktion, die auf die Dienstleister durchschlägt. Beim Marketing wird zuerst gespart” sagt Schmolke. Das Ergebnis: Anstatt 30 Leute mehr einzustellen gab es letzte Woche Entlassungen. Im Laufe des Mittwoch erfuhren insgesamt sechs Modalis Mitarbeiter von ihrer Kündigung. Eigentlich hätten noch mehr Beschäftigte entlassen werden sollen, doch am Nachmittag gab es eine Generalversammlung, auf der einige Beschäftigte einen ungewöhnlichen Vorschlag präsentierten: Wenn alle ihre Arbeitszeit freiwillig reduzierten, könnten weitere Entlassungen vermieden werden.

Die Belegschaft konnte zwischen drei verschiedenen Modellen wählen: Reduzierung um zehn, 20 oder 50 Prozent. Nach zwei Tagen war gut die Hälfte der Angestellten bereit, künftig nur noch eingeschränkt zu arbeiten, einige entschieden sich für einen Halbtagsjob. Dennoch musste eine weitere Kündigung ausgesprochen werden. Geschäftsführer Schmolke sieht in dem Vorgehen eine Bestätigung des Teamgeistes, der nach wie vor bei Modalis herrsche. Auch mit den Gekündigten gehe man friedlich auseinander. “Die haben mich hinterher sogar noch zu einem Bier eingeladen”.

Hinter vorgehaltener Hand reagieren Mitarbeiter, wenn sie auf diese Einschätzung angesprochen werden, mit sarkastischem Lachen. “Er wird schon Recht haben, wenn er so was sagt!” kommentiert einer die Statements seines Chefs. Zwei Modalis-Angestellte nahmen die Vorgänge zum Anlass, selbst zu kündigen. Ob einige der Entlassenen rechtlich gegen ihre Kündigungen vorgehen werden, ist noch unklar.

Für Hofmann von Connexx sind Kündigungen, die ablaufen wie bei Cell Network oder Modalis nur denkbar, weil es in den Unternehmen meist keinen Betriebsrat gibt. Ein gewählter Betriebsrat muss jeder Kündigung zustimmen, ansonsten ist sie gegenstandslos. Von den neueren Formen der Interessensvertretung wie „Roundtables“ oder „Employee- Boards“, die es in einigen New-Economy-Firmen gibt, hält er wenig. „Da gibt es doch nicht die Möglichkeiten, etwas durchzusetzen. Wenn einmal etwas schief läuft, wird es trotzdem so gemacht, wie die Geschäftführung das will.“