New-Economy-Firma entlässt nach alter Schule

Cell Network Germany sperrt Mitarbeiter aus

13.07.2001
BERLIN - Cell Network Germany galt als Vorzeige-Startup. Jetzt entließen die Berliner unter spektakulären Umständen 60 Mitarbeiter. Von Martin Hartwig* und CW-Redakteurin Alexandra Mesmer

Am Morgen des 28. Juni standen die Beschäftigten der Multimedia-Agentur Cell Network Germany, früher Aperto, vor verschlossenen Türen. Keiner kam an seinen Arbeitsplatz in der aufwändig sanierten ehemaligen Klavier- und Sargfabrik. Gegen zehn Uhr rückte die Geschäftsleitung an. "Gestern kursierten Gerüchte. Heute muss ich euch sagen, die Gerüchte wurden übertroffen", so leitete nach Auskunft eines Teilnehmers Geschäftsführer Dirk Buddensiek seine Rede ein. Mit einem Overhead-Projektor wurden 36 Namen an die Wand geworfen. Das waren die, die im Unternehmen bleiben durften, jedoch nun den Raum verlassen mussten, damit Buddensiek den anderen mitteilen konnte, dass sie ab sofort "freigestellt" sind. Jeder erhielt zwei Papiere in die Hand gedrückt. Auf einem war der Termin für das persönliche Entlassungsgespräch vermerkt, das andere war die Abwicklungsvereinbarung. Wer diese wie gewünscht gleich unterschrieb, verzichtete auf eine Abfindung.

"Unser Problem ist, das Wachstum zu kontrollieren", hatte Buddensiek noch vor gut einem Jahr erklärt. Nun hat sich die Auftragslage so verschlechtert, dass an den Entlassungen kein Weg mehr vorbeiführte, so der Chef von Cell Network Germany. Vor allem im zweiten Quartal gab es einen massiven Einbruch: Kunden verschoben angekündigte Projekte oder reduzierten das Volumen der Aufträge.

Die Kündigungen betreffen Mitarbeiter aus allen Abteilungen, vom Projekt-Management über Programmierung und Gestaltung bis zur Verwaltung. Dass es bei Cell Network nicht gut lief, zeichnete sich schon länger ab. Der "First Monday Club", bei dem sich die Beschäftigten an jedem ersten Montag im Monat auf Kosten der Firma in einem Club amüsierten, fand schon seit Monaten nicht mehr statt. Vom jährlichen Betriebsurlaub am Mittelmeer war keine Rede mehr, und seit fünf Wochen gab es auch das Frühstücksbüffet nicht mehr gratis.

Nur eine Minderheit der 60 Entlassenen hat die Abwicklungsvereinbarung unterschrieben. Der Rest hat sich an die Gewerkschaftsinitiative Connexx.av gewandt. Deren Sprecher Olaf Hofmann will sich mit den Gekündigten für angemessene Abfindungszahlungen einsetzen und ermuntert die Betroffenen dazu, entschlossen vorzugehen. An einer Reihe von Klagen auf Wiedereinstellung dürfte laut Hofmann die Cell-Network-Geschäftsführung nicht interessiert sein: Die Prozesse würden sich über Monate hinziehen, die Firma müsste den Grund für die Kündigungen nennen und damit die Bücher offen legen. Nach Einschätzung eines ehemaligen Cell-Network-Mitarbeiters, der wie alle Betroffenen anonym bleiben will, wären etwa 50 Kollegen bereit zu klagen. Sie fordern ein Monatsgehalt Abfindung für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit, ferner für die Entlassenen, die Eltern sind, ein weiteres Monatsgehalt pro Kind. Von einer höheren Abfindung für Mitarbeiter mit Kindern weiß allerdings die Rechtsprechung nichts. So sieht etwa der "Haustarif" des Arbeitsgerichts München eine Abfindung von einem halben Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr vor.

Cell-Network-Chef Buddensiek sagte der CW, dass man bereit sei, etwa einer Mitarbeiterin mit zwei Kindern eine Abfindung zu zahlen. An eine Regelung für alle Entlassenen denkt er allerdings nicht: "Wir sprechen das mit jedem Einzelnen ab. Es hängt auch davon ab, wie lange derjenige für uns gearbeitet hat." Das familiäre Betriebsklima sieht Buddensiek bei Cell Network fürs Erste als gestört an, jedoch nicht aufgrund seines Kündigungsstils, sondern wegen der Entlassenen, die sich an die Presse wandten.

*Martin Hartwig ist freier Journalist in Berlin.