Trendwende in Hannover?

CeBIT 2002: IT-Branche in der Warteschleife

22.03.2002
Für fast alle Beobachter galt die CeBIT als Zäsur. Bringt das IuK-Spektakel an der Leine die ersehnte Umkehr der Konjunktur? Nach acht Messetagen in Hannover ist man nur unwesentlich schlauer. Die Talsohle scheint zwar erreicht, doch der nachhaltige Aufschwung muss sich erst noch einstellen. Fest steht nur eines: Die CeBIT war zumindest in diesem Jahr eine ganz normale Messe.

An Mühe und Aufwand, von der CeBIT aus positive Signale zu senden, hat es wahrlich nicht gemangelt. Allen voran Bundeskanzler Gerhard Schröder und Microsoft-Chef Steve Ballmer, die zum feierlichen Auftakt der Messe am Dienstag vergangener Woche nicht mit großen Worten sparten. "Ich bin sicher, von dieser CeBIT wird ein Signal der Zuversicht und des Aufbruchs ausgehen", beschwor der Kanzler in seiner Eröffnungsrede den Aufschwung. Ob Schröder allerdings mit einer weiteren Bemerkung, wonach die angeblich erkennbare Erholung in der IT-Industrie die gesamte Weltwirtschaft wieder beleben werde, nicht zu große Erwartungen geweckt hat, dürfte sich erst in den kommenden Monaten herausstellen. Steve Ballmer jedenfalls muss sich für die CeBIT-Eröffnung im altehrwürdigen Kuppelsaal des Hannoveraner Congress-Zentrums mit seinem Nachredner abgesprochen haben. Denn der Microsoft-Chef hatte dem deutschen Regierungschef eine Art Steilvorlage für dessen Konjunkturprognose gegeben, indem er den rund 2500 geladenen Ausstellern eine klare Botschaft vermittelte. Das Jahrzehnt, vor dem die IT-Industrie stehe, sei "noch weitaus spannender als die vergangenen zehn Jahre". Man stehe vor "großen Sprüngen" in puncto Schnelligkeit, Flexibilität sowie Vereinfachung und Vernetzung von Anwendungen. Die Branche müsse nur "an sich selbst glauben".

Tags darauf war es dann zunächst vorbei mit den großen Sprüngen - zumindest, was die Besucherstatistik der Deutschen Messe AG angeht. Denn der erste Messetag begann, gelinde gesagt, ruhig. Rund 10 000 Besucher weniger als sonst üblich tummelten sich ersten Schätzungen zufolge bei eisigem Wind und kühlen Temperaturen in den Hallen. 40 Prozent weniger Busse, 60 Prozent weniger Autos, halbleere Straßenbahnen: Mit dieser ersten Überschlagsrechnung machte die "Hannoversche Allgemeine" schon in CeBIT-Untergangsstimmung und titelte: "Ist denn jetzt CeBIT, oder was?"

An den folgenden Messetagen war der Andrang des Publikums dann zwar sichtlich größer, doch schon zur Halbzeit der CeBIT zeichnete sich ab: Die Vorjahreszahl von 849000 Besuchern ist, wenn überhaupt, nur mit Mühe zu erreichen. Ernst Raue, Vorstandsmitglied der Deutschen Messe AG, wollte dies jedoch bei seiner Halbzeitbilanz am vergangenen Sonntag nicht bestätigen. Dennoch: 352 000 Besucher von Mittwoch bis Samstag versus 350 000 Besuchern an nur drei Messetagen (Donnerstag bis Samstag) im Vorjahr sprachen Bände. Trotzdem wertete der Messechef (siehe das Interview auf dieser Seite) die Verlängerung der CeBIT in Kombination mit der Neuaufteilung der Hallenbelegung schon zum "Bergfest" als einen Erfolg. So attestierte Raue eine "Entspannung auf den Messeständen" und eine "verbesserte Verkehrssituation".

Auf Zweckoptimismus machte auch der IuK-Branchenverband Bitkom, demzufolge vor allem der auf Mittwoch vorverlegte erste Messetag "sehr verhalten" verlaufen sei. Allerdings sei an den Folgetagen Donnerstag bis Samstag bei den Besucherzahlen wieder das Vorjahresniveau erreicht worden, erklärte Bitkom-Vizepräsident Heinz Bäurer. Die meisten Aussteller "sind zufrieden". In der IuK-Branche werde, so Bäurer, ein "allmählicher Wiederaufschwung" der wirtschaftlichen Lage verspürt. Mit diesem Stimmungsbild orientierte sich der Bitkom-Repräsentant an der offiziellen Sprachregelung seiner Organisation, die in Hannover mit einem Wachstum von 4,2 Prozent für das laufende Jahr eine positive Trendwende prognostiziert hatte.

Stichprobenartige Umfragen der COMPUTERWOCHE ergaben ein eher heterogenes Stimmungsbild. So herrschte beispielsweise auf den Ständen von Cisco Systems, NEC und Soft M weitgehende Einigkeit darüber, dass man sich den ersten Messetag "hätte schenken können". Ansonsten hieß es im Ausstellerlager unisono: Im Schnitt weniger Besucher, aber auch weniger Laufkundschaft, bessere Qualität der Gespräche - und vor allem: Man spricht "wieder miteinander". Zwar sei das Investitionsverhalten der Kunden noch zurückhaltend, was aber künftige Projekte und die mittelfristige Auftrags-Pipeline angehe, sei man wieder "gut unterwegs". Wer einen Stand ansteuerte, interessierte sich für das Produkt und nicht für Werbegeschenke, hieß es in Anspielung auf den Hype der vergangenen Jahre. Es ging zu wie auf einer "richtigen Messe".

Wann sich jedoch die Frühlingsstimmung in konkreten Zahlen niederschlagen wird, blieb offen. Denn ungeachtet aller Hoffnungsschimmer waren auf der CeBIT nach wie vor die Zeichen der vorherrschenden Krise bestimmend. Nicht nur optisch, wie Zyniker in Bezug auf die "Sichtbarkeit" der Teppichböden in den Hallen und die Tatsache, dass wieder vermehrt Anzüge und Krawatten statt Sweatshirts getragen wurden, verwiesen. Einmal mehr blieb die CeBIT nämlich den großen thematischen "Kracher" schuldig, einen Trend also, der einen neuen Paradigmenwechsel in der IT einläuten könnte.

Wie es sich schon im Vorfeld der Messe abgezeichnet hatte, musste im Prinzip ein "Klassiker" das Leitmotiv abgeben: Der viel zitierte M-Commerce, der nun in der Facette des Mobile Internet aber wirklich Einzug in die Unternehmens-DV und natürlich vor allem in den ConsumerBereich halten soll. Namhafte IT-Anbieter wie Compaq und Hewlett-Packard (HP) widmeten große Teile ihres Messeauftritts dem Mobile Office, flankiert sozusagen von der leidenden Mobilfunkbranche, die sich hinter dem "I-Mode"-Start von E-Plus für CeBIT-Verhältnisse regelrecht versteckte.

So blieb es Steve Ballmer vorbehalten, zusammen mit Telekom-Chef Ron Sommer zumindest in Sachen Publicity für den Höhepunkt der CeBIT zu sorgen. Denn dass der Microsoft-CEO nicht nur für Grußadressen und zum Händeschütteln nach Hannover gekommen war, machte ein am ersten Messetag groß angekündigter Deal beider Firmen deutlich: Zusammen mit der Telekom-Tochter T-Mobile wollen die Redmonder schon ab diesem Sommer mobile .NET-Datendienste für Geschäftskunden anbieten. .NET soll also nach hinlänglich bekannter Lesart von Microsoft die gesamte IT-Welt durchdringen. Ballmer war sich jedenfalls schon bei seiner Keynote der "großen Verantwortung von Microsoft als führendem Unternehmen der IT-Branche" bewusst, was gemeinhin auch so interpretiert wurde, dass Ballmer und Gates sich zutrauen, die Rolle der "Konjunkturlokomotive" zu übernehmen. Andererseits: An Microsofts Produkten soll die IT-Welt genesen - auch das dürfte eine Botschaft sein, mit der die Branche insgesamt nur bedingt etwas anzufangen weiß.

Gerhard Holzwart

gholzwart@computerwoche.de

CeBIT in AmerikaDie US-CeBIT wird vom 18. bis 20. Juni 2003 in New York stattfinden. Veranstaltungsort ist das Jacob K. Javits Convention Center mit 80000 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Dort war zu der Zeit zunächst die PC Expo geplant.