CeBIT 1986 bis 2006: Jubiläumsprobleme

13.12.2005
Die CeBIT hat Schwierigkeiten - sinkende Besucherzahlen, weniger Aussteller und scheinbar unklare Ausstellungskonzepte. Und jetzt stellt auch noch die Internationale Funkausstellung (IFA) in Berlin auf jährlich um.

Der Chef der Messe AG, Ernst Raue, verkündete im Jahr 2004, in Zukunft werde sich alles ändern: die Art einzukaufen, zu leben und zu arbeiten. Er bezog diese Aussage auf den überwältigenden Einfluss, den das Internet auf Menschen und Gesellschaften ausüben werde. Diese Veränderung werde auch das Gesicht der CeBIT modifizieren. Informationstechnik und Unterhaltungselektronik, so das Diktum, würden immer mehr verschmelzen.

Hier lesen Sie …

• was die CeBIT im kommenden Jahr zeigt;

• wie viele Aussteller kommen;

• warum die CeBIT den Markt widerspiegelt;

• und warum die Internationale Funkausstellung in Berlin den Hannoveranern keine Sorgen macht.

CeBIT gestern und heute

2001: 830 000 Besucher 8106 Aussteller;

2002: 674 000 Besucher 7962 Aussteller;

2003: 560 000 Besucher 6600 Aussteller;

2004*: 510 000 Besucher 6109 Aussteller;

2005: 480 000 Besucher 6270 Aussteller.

*Ab 2004 wieder einen Tag kürzer.

Interview mit Ernst Raue: "Wir haben aus dem Markt herausgeholt, was möglich ist."

Ernst Raue ist Chef der Messe AG in Hannover. Über die Gegenwart und Zukunft der CeBIT sprach er mit CW-Redakteur Jan-Bernd Meyer.

CW: Sie wurden in jüngster Vergangenheit für einen unklaren Kurs der CeBIT gescholten: Zum einen soll sie eine Business-Messe in reiner Form sein, zum anderen aber auch die Unterhaltungselektronik einbinden. Hat die CeBIT ein Problem, sich selbst zu definieren?

RAUE: Nein. Natürlich ist die CeBIT eine Business-Messe. Dafür ist sie gemacht. Im Grunde zeigen wir hier Kundenlösungen nach Bedarf. Im Jahr 2004 hatten wir uns ja klar ausgerichtet und drei horizontale Bereiche definiert: zum einen alles, was im Unternehmen abläuft, also die Business-Prozesse. Das sehen Sie in den Hallen 1 bis 9. Da zeigen wir sämtliche Lösungen, auch die für den Mittelstand.

Einen weiteren Bereich haben wir als Digital Equipment and Systems bezeichnet. Hier präsentieren alle Anbieter von Hardware. Der dritte große Bereich beschäftigt sich mit Kommunikationstechnik. Vor allem dieser hat den Markt in der Vergangenheit an-

getrieben.

CW: Das beantwortet nicht die Frage…

RAUE: Nun, gerade bei den Kommunikationstechniken sehen Sie viele Lösungen, bei denen Sie nicht mehr zwischen Privatnutzung und Arbeit trennen können. Meine Aussage von vor zwei Jahren, dass die Arbeits- und Lebenswelten zusammenwachsen, ist deshalb weiter gültig, und das spiegelt sich auch in der CeBIT wider. Die Dinge wachsen zusammen, und die CeBIT zeigt dieses gesamte Spektrum - übrigens als einzige Messe überhaupt.

CW: Trotzdem noch einmal: Welche Wertigkeit haben die Unterhaltungselektronik und die Business-Lösungen für die CeBIT?

RAUE: Der Markt für die private digitale Nutzung wächst dynamischer als der Business-Markt. Letzterer ist aber mit einem Anteil von 80 Prozent viermal so groß.

CW: 2004 hatte die CeBIT aus dieser Erkenntnis heraus das Thema "Digital Lifestyle" geboren, im kommenden Jahr nennen Sie es "Digital Living". Geben Sie demselben Kind unterschiedliche Namen, um dem Besucher das Gleiche zu verkaufen?

RAUE: Digital Lifestyle und Digital Living verkörpern in der Tat etwas Ähnliches. Aber den Begriff Digital Living haben wir uns schützen lassen, weil wir wussten, dass dieses Thema in Zukunft jeden begleiten wird. Die Sonderschau kommendes Jahr in Halle 27 zeigt deshalb exemplarisch, wie verschiedenste Geräte und IT-Anwendungen im privaten Haushalt zusammenwirken. Dieser Bereich ist als Event gedacht, übrigens auch bis 22 Uhr geöffnet.

CW: In jüngsten Berichten wurde auf Unternehmen verwiesen, die der CeBIT 2006 fernbleiben werden - Cisco zum Beispiel. Dies sollte ein nachlassendes Interesse an der ITK-Leitmesse dokumentiere.

RAUE: Hier sind einige Dinge schlicht falsch dargestellt worden. Debitel, eine der Firmen, die angeblich 2006 nicht kommen würden, hat gerade erst in einer Pressemitteilung veröffentlicht, dass sie natürlich an der CeBIT teilnimmt. Alcatel wird ebenso vor Ort sein wie all die Jahre zuvor. AMD kommt auch, das Unternehmen stellt in Halle 2 sogar einen großen Stand auf. Sony - um ein anderes viel diskutiertes Beispiel zu nennen - hat zum einen für die Internationale Funkausstellung in Berlin noch nicht zugesagt. Zum anderen kennt jeder seine wirtschaftlichen Probleme mit Entlassungen und etwa der Standortschließung in Köln. Man kann verstehen, dass dieses Unternehmen momentan andere Gedanken hat. Eine Firma Apple war schon seit Jahren nicht auf der CeBIT, Apple macht seine eigene Messe. Philips war 2005 schon nicht in Hannover, Dell seit Jahren nicht.

CW: Apropos IFA: Ist die Berliner Messe ein Problem für die CeBIT?

RAUE: Die CeBIT ist viel breiter aufgestellt. Unsere Messe beleuchtet auf rund 35000 Quadratmetern Ausstellungsfläche nur dieses Thema.

CW: Über die Jahre muss man einen drastischen Rückgang der Ausstellerzahlen von 8106 Teilnehmern im Jahr 2001 auf 6300 im März 2006 konstatieren. Ist das nicht alarmierend?

RAUE: Insbesondere in unserer Branche haben wir in der Vergangenheit einen enormen Hype erlebt, der durch die Dotcom-Entwicklung noch mehr angetrieben wurde. Dieser Hype ist weg. Wachstumszahlen im zweistelligen Bereich gehören der Vergangenheit an, heute ist man froh über 1,5 Prozent Steigerungsraten. All das bildet sich auch bei der CeBIT ab.

Ich halte es nicht für richtig, hier Zahlen von früher mit heute zu vergleichen. Klar, wenn Sie die Werte kalt nebeneinander stellen, können Sie sagen, die CeBIT hat einen Absturz erlebt. Aber die CeBIT hat sich noch einmal vom Wettbewerb absetzen können. Gelitten haben wir alle. Insofern ist die CeBIT ein Spiegelbild des Marktes und wir haben aus dem Markt herausgeholt, was möglich ist.

Raue reagierte mit dieser Prognose auf die Tatsache, dass von den Hardwareherstellern kein spürbares Wachstum mehr kam und auch das Geschäft der Applikations- und Lösungsanbieter stagnierte. Eine Branche schien überwintern zu wollen. Dann kamen Spielkonsolen, multifunktionale Handys, PCs als Informations- und Unterhaltungszentrum für private Haushalte. Die Unterhaltungselektronik (UE) hielt Einzug auf der CeBIT, und ein Hauch von Boom schien sich wieder über die Messe in Hannover zu legen.

Raue behielt zwar Recht mit der Meinung, die Unterhaltungselektronik werde sich zum Wachstumsmotor herausbilden. Er betont aber selbst (siehe Interview), dass das angestammte Informations- und Telekommunikationssegment das mit Abstand größte ist, wenn auch UE dynamischer wachse.

Eklat auf der Messe

Noch 2002 war es auf der Messe an der Leinestadt zum Eklat gekommen, als Sony seine "Playstation 2" präsentierte und Microsoft verlangte, die Geräte zu entfernen. Böse Zungen behaupteten, der Softwareriese habe nur deshalb gemosert, weil sein Konkurrenzprodukt, die "Xbox", noch nicht marktreif war.

Zwei Jahre später war das Thema UE nicht mehr wegzudenken. Allerdings mehrten sich die Kritiker, die die CeBIT als Business-Messe mit der Öffnung in Richtung Digital Lifestyle verwässert sahen. Irritiert fragten sich viele Aussteller noch ein Jahr später, was denn die von Samsung in Halle 27 veranstaltete "WCG 2005 - Samsung Euro Championship" auf einer CeBIT zu suchen habe. Über 300 Profispieler aus 30 Nationen gaben sich auf dem nach Angaben der Südkoreaner weltgrößten E-Sport-Event ein Stelldichein.

Andere Aussteller wie die Sicherheitsspezialisten Trend Micro und Symantec machten ihrem Ärger über karnevaleske Umtriebe in den Hallen bei der Messeleitung Luft. Lautstarke Sambarhythmen und knapp bekleidete Damen von den Ständen verschiedener UE-Aussteller ließen Geschäftsgespräche im Spektakel förmlich untergehen. Wenn diese Unterhaltungsgeschichten auf der CeBIT überhand nähmen, werde man überlegen, künftig Hausmessen zu veranstalten und Hannover fernzubleiben, hieß es.

Die Verantwortlichen der Messe sehen hingegen keinen Weg mehr zurück von dem, was nicht nur sie Konvergenz der Techniken nennen. Das betont Messechef Raue heute, das hatte er auch schon auf der Abschlusspressekonferenz 2005 gesagt. Noch vor zwei Jahren habe man sich gegen Consumer Electronics auf der CeBIT gewehrt: "Aber die Konvergenz zwischen IT und UE ist nicht mehr aufzuhalten."

Bereits im März 2005 kam dabei die Frage auf, ob die CeBIT mit der Öffnung zur Unterhaltungselektronik - 1996 hatten die Messeverantwortlichen zudem versucht, eine nur auf diese Klientel ausgerichtete Veranstaltung "CeBIT at Home" zu etablieren, was aber nach zwei Jahren aufgegeben wurde - mittelfristig der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin das Wasser abgraben werde. Danach sieht es momentan nicht aus. Dies gilt insbesondere, seit die IFA-Veranstalter beschlossen haben, ihre Messe ab sofort alljährlich zu veranstalten.

Zu fragen ist allerdings, wie richtungweisend Absagen an die CeBIT sind - etwa von Philips. Firmensprecherin Veronika Hucke bezeichnete die IFA als mit "Abstand wichtigste Messe für die Unterhaltungselektronik", weswegen es keinen Anlass gebe, an der CeBIT teilzunehmen. Allerdings war Philips schon in diesem Jahr der Hannoveraner Messe ferngeblieben.

Gewisses Eigeninteresse

Zudem muss man dem Vorstandsvorsitzenden (CEO = Chief Executive Officer) von Phi-lips, Hans-Joachim Kamp, ein gewisses Interesse an der Berliner Veranstaltung unterstellen. Er ist Vorsitzender des Messeausschusses für die Internationale Funkausstellung Berlin. Seit 1998 bekleidet er ferner das Amt eines Aufsichtsratmitglieds der Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu). Letztere wiederum ist stark in IFA-Aktivitäten involviert.

Sony, ein anderes Beispiel, dessen Fernbleiben von der CeBIT in den Medien aufmerksam verfolgt wird, hat nach den Worten von Messechef Raue momentan ganz andere, nämlich wirtschaftliche Probleme (siehe Interview). Im Übrigen wird Sony in Halle 13 sehr wohl mit Projektoren, Videokonferenzsystemen, Public Displays sowie Network-Video-Monitoring-Produkten vertreten sein.

Intel, ein Schwergewicht der Szene mit Interessen sowohl in der "ernsthaften" IT wie der UE, baut das Engagement in Hannover sogar noch aus. Die Standfläche soll um etwa 30 Prozent auf rund 1000 Quadratmeter zulegen. Der Prozessormarktführer spekuliert dabei durchaus auch auf die Generation Daddelgamer - Hauptsache, sie können sich an der leistungsfähigen Hardware begeistern, die Intel anzubieten hat.

Zudem nehmen große Anbieter aus der UE-Szene an der CeBIT teil: Hierzu zählt der weltweite Marktführer Panasonic ebenso wie Samsung, Sharp oder LG. Inwiefern sich CeBIT und IFA also ins Gehege kommen werden, darf diskutiert werden. Raue betont, dass es außer der CeBIT keine Messe weltweit gibt, die sämtliche Themen der ITK- und UE-Branchen komplett präsentiert.

Raue hält es zudem nicht für richtig, frühere Ausstellerzahlen mit aktuellen zu vergleichen. Stelle man die Werte nebeneinander, ließe sich zwar in der Tat für die CeBIT ein Absturz konstruieren. "Aber gelitten haben wir alle. Insofern bildet die CeBIT den Markt ab. Und wir haben aus dem Markt herausgeholt, was möglich ist."