Gartner Group übt Kritik an den Angeboten der Server-Hersteller

"Capacity on Demand" lohnt sich nicht in jedem Fall

04.08.2000
MÜNCHEN - Unter dem Motto "Leistung nach Bedarf" versprechen Sun Microsystems und Hewlett-Packard (HP), die Kapazität ihrer Multiprozessor-Server dem jeweiligen Bedarf der Unternehmenskunden anzupassen. Das Marktforschungsinstitut Gartner Group warnt hingegen vor unbedachten Investitionen in auslaufende Prozessormodelle.

"Pay for use" und "Pay as you grow" lauten derzeit die Marketing-Leitsätze bei Sun Microsystems und Hewlett-Packard. Seit gut einem halben Jahr bieten die Server-Hersteller an, Mehrprozessoren-Systeme über die schrittweise Freischaltung von CPUs nach dem konkreten Leistungsbedarf des Kunden zu konfigurieren.

Die beiden Konkurrenten wenden sich mit ihren Hardware-Lizenzierungsprogrammen nicht zuletzt an schnell expandierende Unternehmen der New Economy, die ihre Rechenzentren für einen abrupten Anstieg des Nutzungsaufkommens gerüstet wissen wollen. Anwendern wie diesen versprechen Sun und HP die Möglichkeit, hochwertige Server-Systeme zu verhältnismäßig geringen Anschaffungskosten zu erwerben und diese mit ausreichenden Leistungsreserven für künftiges Wachstum auszustatten.

Unter dem Motto "Capacity on Demand" (COD) erlaubt Sun seinen Kunden seit Ende letzten Jahres, bereits installierte CPUs durch den späteren Erwerb von Lizenzen zu nutzen. Erste Nutznießer waren Anwender der Highend-Server "Enterprise 10000" (Starfire). Ab August sollen nun auch Kunden der Mittelklasse-Server "Enterprise 3500", "4500", "5500" sowie "6500" von dem neuen Verfahren profitieren. Anfang dieses Jahres zog Rivale HP nach: Das Lizenzierungsangebot "Instant Capacity on Demand" (ICOD) gilt für alle "HP-9000"-Server der L-, N- sowie der V-Klasse.

Sun bietet die COD-Varianten der Starfire-Server in einer Minimalkonfiguration mit insgesamt 20 CPUs (fünf System-Boards mit jeweils vier CPUs) bis hin zu einer maximalen Ausstattung von 16 Boards mit insgesamt 64 Prozessoren an. Voraussetzung: Der Kunde muss mindestens acht Prozessorlizenzen erwerben. Auch die COD-Modelle der Mittelklasse-Server Enterprise 3500, 4500, 5500 und 6500 müssen mit einer Mindestzahl aktiver CPUs bestückt sein, etwa zwei Prozessoren für das Modell 3500 und acht für den Enterprise 6500.

HP gibt sich diesbezüglich flexibler. In den ICOD-Servern muss keine Mindestzahl an Prozessoren genutzt werden; außerdem steht dem Anwender jede Kombination aus traditionellen und ICOD-CPUs frei. Die L-Klasse der HP-9000-Server bietet HP in einer Konfiguration mit vier, die N-Klasse mit acht und die V-Klasse mit 32 nutzbaren CPUs an.

Die Kritik des Marktforschungsinstituts Gartner zog sich vor allem Sun zu. Während der Anbieter als Zielgruppe für seine Lizenzierungsoption sämtliche Anwender im Visier hat, die ihren Bedarf an Rechenleistung zum Zeitpunkt des Server-Kaufs nicht abschätzen können, lohnt sich nach Ansicht der Analysten die Finanzierungsinitiative von Sun ausschließlich für Unternehmen, die sehr klare Vorstellungen vom eigenen Ressourcenbedarf sowie ihrem Wachstumspfad haben.

Capacity out of Date?Geeignete Kandidaten für das COD-Programm seien lediglich Unternehmen, die die aktuellen COD-CPUs ("Ultrasparc II") mit Sicherheit in den nächsten zwölf Monaten nutzen und innerhalb dieses Zeitraums auch weiterhin Ultrasparc-II-Server einsetzen wollen. Allen anderen Kunden empfiehlt Gartner, sich größere Investitionen in COD-Server gut zu überlegen oder ganz zu verkneifen. Gartner-Analyst Thomas Henkel weist darauf hin, dass sich Suns Nachfolger-Chip "Ultrasparc III" aufgrund eines leistungsfähigeren Systembusses in den alten Geräten nicht nutzen lässt. Anwender der Ultrasparc-II-Server kämen somit auch nicht in den Genuss der neuen Funktionen (beispielsweise physikalische Partitionierung) des Ultrasparc III. Dies wertet Henkel als eine Verringerung des Langzeitwerts der Investition in weitere Ultrasparc-II-CPUs.

Sun kann diese Kritik nicht nachvollziehen. "Das ist nichts Ungewöhnliches, das gibt es in der Industrie bei jedem anderen Hersteller auch", wehrt sich Michael Schroeder, Suns Leiter Produkt-Marketing für Zentraleuropa. Der Anwender decke sich im Rahmen des COD-Programms mit den heute aktuellen CPUs ein.

HP-Kunden soll dieses Problem nicht betreffen. "Einen solchen Bruch wird es bei uns nicht geben", so Eberhard Meier, Marketing-Leiter Programme und Produkte. Um nicht nur Neukunden, sondern auch bestehende Anwender zu befriedigen, lege der Hersteller großen Wert darauf, Systeme anzubieten, die es dem Benutzer erlauben, auf einfache Weise Hardware-Upgrades vorzunehmen. Somit könnten HP-Kunden in den heutigen und folgenden HP-9000-Server-Modellen sowohl den neuen Prozessor PA-Risc 8700, der im Frühjahr 2001 auf den Markt kommen soll, als auch die kommenden, auf Intels IA-64-Technologie basierenden CPUs einsetzen.

Sun preist die COD-Server-Systeme in der Minimalkonfiguration im Vergleich zu voll ausgebauten Sun-Rechnern als preislich günstiger an. Wer beispielsweise einen mit 20 CPUs ausgestatteten Starfire-Rechner erwerbe und lediglich die acht Pflichtprozessoren verwende, könne dennoch sämtliche Ressourcen wie I/O-Slots oder Hauptspeicher, die sich auf den Systemboards eines 20-CPU-Systems befinden, nutzen.

Die Kosten für die zusätzliche Infrastruktur, die bei einer voll ausgebauten Maschine bereits beim Kauf zu begleichen sind, bleiben dem Kunden aber letztendlich nicht erspart. Sun amortisiert diese spätestens über die schrittweise Freischaltung der Prozessoren. Nach der Aktivierung der 16. CPU kommt bei den nach dem COD-Verfahren erworbenen Starfire-Rechnern die Wende: Ab dieser Anzahl genutzter Prozessoren zahlt der Kunde nach Angaben von Sun für die gewährte Flexibilität in Sachen Rechenleistung extra - insgesamt immerhin fünf Prozent mehr als für ein von Anfang an komplett erworbenes System.

Etwa der gleiche Aufpreis ist auch für die neuen COD-Kandidaten Enterprise 3500 bis 6500 zu entrichten.

Für die Freischaltung der COD-CPUs verlangt Sun festgelegte Preise, was insbesondere hinsichtlich der auslaufenden aktuellen Prozessorgeneration ungerechtfertigt erscheint. "Unsere Right-to-use-Lizenz beeinhaltet nicht nur die CPU, sondern auch die Nutzung zusätzlicher Infrastruktur", erklärt Schroeder die starre Preisgebung. Bei den Starfire-Servern bekommt der Anwender ab der Freischaltung der neunten bis zur zwanzigsten CPU jeweils eine Rechnung über 210000 Mark, ab der 21. hat er 100000 Mark pro Aktivierung zu zahlen. Für die Freischaltung eines Moduls mit je zwei CPUs in einem COD-Midrange-System verlangt Sun in den USA 29 000 Dollar, die Preise für Deutschland stehen noch nicht fest.

Zugeschaltet werden die Prozessoren über die auf den COD-Systemen installierte Sun-Software Capacity on Demand 1.0, die die Anzahl der CPUs überwacht, die bereits in Betrieb sind. Weitere Prozessoren lassen sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt in Betrieb nehmen. Für unberührte CPUs fallen nach Angaben von Sun keinerlei Kosten an.

Die Preise für die Aktivierung von HPs ICOD-CPUs sind nicht festgelegt, sondern orientieren sich an den tagesaktuellen Systempreisen der HP-9000-Server. Die Freischaltung der Prozessoren erfolgt über einen HP-UX-Befehl.

Die Böblinger finanzieren ihr ICOD-Programm allerdings über eine jährliche "Administrationsgebühr" für jede noch brachliegende CPU. Nach Angaben des Anbieters hängt diese sowohl vom Server-Typ als auch von der Zahl der vom Kunden konfigurierten CPUs ab. Aufgrund dieser Gebühr, die HP mit dem Verwaltungsaufwand der freigeschalteten CPUs rechtfertigt, werden ICOD-Systeme ebenfalls schnell teurer als traditionell ausgestattete Server. "Just for fun sollte man dieses Programm nicht in Anspruch nehmen", räumt HPs Marketing-Mann Meier ein. Der ICOD-Kunde müsse sich über seinen Wachstumspfad von Anfang an im Klaren sein und sollte die im Server installierten ICOD-CPUs auch tatsächlich in absehbarer Zeit nutzen. Denn solange er diese nicht freischaltet, zahlt er die Jahresgebühr umsonst.

Ein weiterer Kritikpunkt von Gartner betrifft beide Anbieter: Demnach greifen weder Sun noch HP ihren Kunden mit entsprechenden Planungs-Tools unter die Arme, um diese bei der Ermittlung des individuellen Ressourcenbedarfs zu unterstützen. In vielen Fällen sei für eine Leistungssteigerung mehr als ein zusätzlicher Prozessor notwendig. So gelte es auch Cache, Speicher, I/O sowie Bandbreite miteinander in Einklang zu bringen. Allerdings sind sich hier weder HP noch Sun einer Unterlassungssünde bewusst. So verweist HP auf das System-Management-Paket "Openview", das sowohl Tools zur Messung der Rechnerauslastung als auch eine ganze Reihe von Analysewerkzeugen enthalte.

"Wir geben den Kunden für unsere Maschinen und unser Betriebssystem durchaus die entsprechenden Tools an die Hand", wehrt sich auch Sun-Produktmarketier Schroeder. So ließen sich beispielsweise mit Hilfe des "Solaris Resource Manager" Speicher- und CPU-Ressourcen sowie über den "Bandwidth Manager" Netzwerkbandbreiten verwalten.

Der Idealfall"Leistung nach Bedarf" setzt im Idealfall voraus, dass sich ein nicht mehr benötigtes CPU-Upgrade auch wieder rückgängig machen lässt. Sowohl bei Sun als auch bei HP ist diese Option im Rahmen ihrer aktuellen Programme jedoch nicht vorgesehen. Nach Angaben beider Hersteller wird die Möglichkeit, die Rechenkapazität bei nachlassendem Bedarf wieder zurückzufahren, aber bereits erwogen.

"Instant Capacity ist im Prinzip eine erste Stufe in Richtung Leistung aus der Steckdose", erklärt HP-Marketier Meier. Seiner Meinung nach liegt die Zukunft in Lösungen, die den Erwerb einer bestimmten Rechenleistung lediglich für einen festgelegten Zeitraum erlauben.