Die meisten Fehler machen die Manager

Call-Center: Job-Wunder mit Schattenseite

16.07.1999
Von Veronika Renkes* Call-Center gelten als Jobmaschinen. Von den Mitarbeitern wird vor allem eines erwartet: Sie müssen präzise wie ein Uhrwerk funktionieren, ihr Output muß stets nachmeßbar sein. Ungünstige Arbeitsbedingungen belasten jedoch nicht nur die Beschäftigten, sondern wirken sich langfristig auch negativ auf den wirtschaftlichen Erfolg der Call- Center aus.

Rund 1500 Call-Center mit zirka 80000 Arbeitsplätzen und zwischen 160000 und 240000 Beschäftigen gibt es derzeit in Deutschland - mit steigender Tendenz. Bis zum Jahr 2000 rechnen die Experten mit mindestens 100000 Arbeitsplätzen, auf die gut 300000 Beschäftigte entfallen. Kein Wunder also, wenn Call-Center gemeinhin als Jobmaschinen bewundert werden.

Skeptische Stimmen werden da leicht überhört. Inzwischen liegen erste Untersuchungen vor, die bezeugen, daß in den Call-Centern einiges im argen liegt; daß dort trotz wirtschaftlicher Erfolge und neuer Arbeitsplätze - eklatante Mißstände vorherrschen, die zu Lasten der Beschäftigten gehen und unter Umständen sogar den Bestand der Call-Center selbst gefährden. Um einen kritischen Dialog anzuregen und soziale und rechtliche Mindeststandards für die Arbeit in den Call-Centern einzuführen, veranstaltete der gewerkschaftsnahe Bund-Verlag in Frankfurt am Main eine Tagung zum Thema "Arbeit im Call-Center: Arbeitsplatz der Zukunft mit Schattenseiten."

"Während amerikanische Call-Center geschaffen wurden, um eine effiziente Kundenorientierung sicherzustellen, werden sie in Deutschland oft nur aus Rationalisierungsgründen eingeführt, um so auf möglichst billige Weise Kundenservice-Bewußtsein zu demonstrieren", brachte Eckart Menzler-Trott seine Kritik auf den Punkt. Für den Münchner Unternehmensberater und Autor des jüngst erschienenen Buches "Call-Center-Ma- nagement: Ein Leitfaden für Unternehmen zum effizienten Kundendialog" dienen Call-Center hierzulande oft der "Dequalifizierung umfassender Sachbearbeitungstätigkeiten".

Wo früher individuelle Produkte auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten wurden, würden heute Standardprodukte angeboten, die in normierten Abläufen bearbeitet werden. Abgesehen davon, daß der Kunde unterm Strich weniger Service erhalte, würden letztlich auch der "Handlungsspielraum" und die "Bearbeitungssouveränität" der Mitarbeiter stark eingeschränkt.

Dies, so Menzler-Trott, werde noch durch den autoritären Führungsstil und "die minutiöse Nachprüfbarkeit der Tätigkeiten durch vielfältige Datenerfassung" forciert.

So wird das Arbeitsverhalten jedes Mitarbeiters registriert und ausgewertet. "Bei der Datenflut, die über jeden Call-Center-Agenten gespeichert werden kann, handelt es sich im Grunde genommen um ein Personal-Informations-System", faßt Sabine Beutert vom DGB in Nordrhein-Westfalen zusammen. Besonders brisant dabei: In vielen Call-Centern hören Vorgesetzte Telefongespräche unbemerkt mit - auch um Beschäftigte unter Druck zu setzen, weiß Berater Menzler-Trott zu berichten. So lautet denn auch seine schonungslose Kritik: "Die meisten Fehler in den Call-Centern machen die Manager, nicht die Mitarbeiter. Führungsunerfahrene Kostensparer, Vertriebsleute aus dem aggressiven "Drücker-Bereich oder völlig Fachfremde probieren sich in diesem sensiblen Umfeld gern aus". Menzler-Trott steht mit seiner Kritik nicht allein da. Gestützt wird sie durch erste Untersuchungen, die zeigen, welche Auswirkungen die Call-Center-Arbeit auf die Mitarbeiter hat.

So verglich Amela Isic vom Institut für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Frankfurt am Main die arbeitspsychologischen Belastungen von Call-Center-Mitarbeitern mit denen von Verwaltungs- und Bankangestellten. 75 Prozent der befragten Personen aus "Inbound"-Call-Centern, wo also ausschließlich eingehende Kundengespräche angenommen werden, waren Frauen. Im Durchschnitt nicht älter als 31 Jahre, hatten über die Hälfte der Befragten Abitur oder einen Hochschulabschluß. 85 Prozent von ihnen arbeiten im Schichtwechsel zwischen sechs und 22 Uhr und an Wochenenden. Call-Center-Mitarbeiter, die nur Bestellungen annehmen oder Auskünfte erteilen, sind deutlich überdurchschnittlichen psychischen Belastungen ausgesetzt. Ihnen fehlen Zeit- und Handlungsspielräume, um auf ungünstige Arbeitsbedingungen selbst Einfluß auszuüben, den Streß abzubauen oder zu verteilen, so Isic.

Auch mit Blick auf die arbeitsrechtlichen Regelungen stehen die Call-Center im Kreuzfeuer der Kritik. Nach Untersuchungen von Peter Wedde, Professor an der Fachhochschule in Frankfurt am Main, könnte die Arbeit in Call-Centern zur Aushöhlung bestehender arbeitsrechtlicher Standards führen. Problemfelder seien die Arbeitsverdichtung ohne entsprechende Gehaltskompensation, individuelle Leistungskontrollen anhand computerisierter Informationen, Vertragsgestaltungen unterhalb üblicher Industriestandards, Mängel bei der praktischen Umsetzung des gesetzlichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes, bei der Gestaltung der Arbeitsplätze und -zeiten sowie das Fehlen von Betriebsräten und Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Die Qualität der Arbeit und die materiellen Standards sind in den Call-Centern höchst unterschiedlich. So schätzt Christine Meier vom Kooperationsbüro Multimedia und Arbeitswelten der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), IG Medien und DPG, daß derzeit noch zirka 60 Prozent der Call-Center-Arbeitsplätze "Inhouse-Call-Center" mit tariflicher Absicherung sind. Viele Unternehmen betrieben jedoch Tarifflucht und gliederten die Center in rechtlich selbständige Unternehmen aus, wie etwa beim Direktbanking.

Im Wettstreit um die Ansiedlung von Arbeitsplätzen würden die Regierungen nicht nur europaweit großzügig Fördermittel vergeben, sondern auch Sozial- und Lohndumping begünstigen, indem sie den Firmen kaum soziale Auflagen machten. So verlangen die Gewerkschaften Arbeitsbedingungen, die Call-Center-Beschäftigte nicht zu Arbeitnehmern zweiter Klasse machen.

Daß Arbeiten im Call-Center auch zukunftsweisend sein kann, zeigt das Projekt "Leben und Arbeiten im Klosterforst". In Kooperation mit Siemens betreibt die Contakt-Marketing im Dialog GmbH & Co. in Itzehoe eines der modernsten Internet-Call-Center Europas. Auf dem ehemaligen Kasernengelände ist der Stadtteil Klosterforst entstanden, dessen 580 Wohnungen sowie Büro- und Gewerbeeinheiten über ein Datennetz verkabelt sind.

Wohnen und Arbeiten in der "Teletown"

Die Bewohner können dank des Glasfasernetzes auch wahlweise von zu Hause aus für das Call-Center arbeiten. Da jeder Anschluß eine Nebenstelle der TK-Anlage ist, können die Mitarbeiter bei Bedarf die Anrufe von der Wohnung ins Büro oder umgekehrt umleiten. Das Call-Center selbst verfügt über 300 Arbeitsplätze, weitere 200 Telearbeitsplätze entstehen in den Büros innerhalb der Wohngebäude.

Auch bei T-Mobil in Bonn hält man die Mitarbeiter durch gute Arbeitsbedingungen bei der Stange. Die tariflich abgesicherten Löhne liegen pro Monat zwischen 3500 und 5000 Mark zuzüglich einer monatlichen Prämie. Die Aufgaben sind komplex. In Teams müssen die Agenten ihre Klientel beraten, die wissen will, wie man sich eine Mobilbox einrichtet, was genau eine Rufumleitung ist oder wie man eine persönliche Identifikationsnummer (PIN) erhält. Zwar gibt es Leistungskontrollen, die beziehen sich jedoch auf das gesamte Team. Derzeit arbeiten von insgesamt 6000 T-Mobil-Mitarbeitern 1200 Agenten in bundesweit sechs Call-Centern. Das Geschäft rund ums Handy floriert, zwei weitere Zentren sind geplant, zusätzliche 600 Mitarbeiter werden noch für dieses Jahr gesucht.

Call-Center in Zahlen

-Durchschnittlich arbeiten 44 Prozent der Beschäftigten Vollzeit, 45 Prozent Teilzeit und elf Prozent als Aushilfen;

-pro Arbeitsplatz werden zwei bis drei Mitarbeiter eingesetzt;

-rund 67 Prozent der Beschäftigten sind Frauen;

-32 Prozent verfügen über eine kaufmännische beziehungsweise Fachausbildung, 27 Prozent haben Abitur und 19 Prozent die Mittlere Reife;

-bei externen Call-Centern sind 60 Prozent der Mitarbeiter nicht älter als 30 Jahre, nur zehn Prozent sind älter als 40;

-bei internen Call-Centern kann von einem höheren Altersdurchschnitt ausgegangen werden, da die Beschäftigten zunächst aus der Belegschaft rekrutiert werden;

-die Hälfte aller Call-Center besteht seit weniger als drei Jahre;

-von den 5000 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland setzen laut DDV (Deutscher Direkt-Marketing-Verband) 30 Prozent Call-Center ein, weitere 20 Prozent planen demnächst die Einrichtung eines eigenen oder die Inanspruchnahme eines externen Call-Centers,

-50 bis 60 Prozent der Call-Center entstehen innerhalb von Unternehmen;

-10,3 Prozent der Telefonate übernehmen externe Center.

*Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn.