Neue Chancen für Network Computer?

Business Online soll Oracles ASP-Einstieg forcieren

15.10.1999
NEW YORK (CW) - Mit "Oracle Business Online" (BOL) will Firmenchef Larry Ellison zum größten Application-Service-Provider (ASP) der USA und Europas aufsteigen. Das Geschäftsmodell für Daten- und Applikations-Hosting soll in wenigen Jahren bereits den halben Umsatz seines Unternehmens ausmachen, so Ellison auf der Internet World in New York.

Verfügbar ist der ASP-Service BOL derzeit allerdings nur in den USA, wo Oracle selbst zwei Rechenzentren betreibt und kürzlich eine Partnerschaft mit dem Carrier Sprint eingegangen ist. Für den Einstieg in das europäische ASP-Geschäft sieht John Repko, Vice-President von BOL, die größten Chancen in Großbritannien. Ein entsprechender Vertrag mit British Telecom (BT) sei inzwischen unter Dach und Fach. Von Vorteil hier: Die besonders im britischen Mittelstand stark vertretene BT könnte Oracles vergleichsweise schwache Marktpräsenz auf der Insel ausgleichen.

Partner ergänzen vertikale Branchenlösungen

Derartige Kooperationsankündigungen prägen zur Zeit die öffentlichen Auftritte von Oracle-CEO Ellison. Rund 30 Abkommen mit Telcos, Internet-Service-Providern, unabhängigen Softwarehäusern und Systemintegratoren sind entweder schon geschlossen oder in Vorbereitung - weitere sollen folgen. Gemeinsam ist allen, daß Oracle seine "Applications" für das Enterprise Re- source Planning (ERP) nicht aus den Händen gibt, sondern selbst als Backend-System für ASP-Dienstleistungen anbieten wird. Die Partner ergänzen diesen Kern um vertikale Branchenerweiterungen, sofern Oracle dies für sinnvoll hält.

Kritik an den vollmundigen Ankündigungen Ellisons kommt derweil von Pierre Mitchell, Analyst bei AMR Research. Angesichts der zahlreichen Partnerschaften vermisse er vor allem Aussagen über Oracles Integrationskonzepte. Dieser Part werde offenbar völlig unterschätzt. Bester Beweis, welche Probleme der Hersteller mit der Anwendungsintegration hat, sei die jetzt gemeldete Verschiebung der Internet-fähigen Version 11i von Applications um sechs Monate.

Derartige Bedenken wischt Ellison mit Grundsatzfloskeln vom Tisch: Application-Hosting werde die Software-Industrie gründlich revolutionieren, im Extremfall könne ein Hersteller nur noch innerhalb eines ASP-Partnerkonstrukts überleben, so seine Prognosen.

Dennoch: Oracle hat die Weichen mit BOL weitgehend gestellt, als mögliche Kunden gelten außer kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die sich die Implementierungskosten von ERP-Modulen sparen wollen, auch Konzerne mit Auslagerungsabsichten für ihre Rechenzentren. Als Gebühr stellt sich Oracle einen Abrechnungsmodus vor, bei dem durchschnittlich 300 Dollar pro Monat und Benutzer anfallen.

Bei der Gelegenheit will Ellison auch die 1998 gescheiterte Initiative des Network Computer (NC) wiederbeleben. Die zwischenzeitlich von NCI in Liberate Inc. umbenannte und mit der Entwicklung von NC-Features für Fernsehgeräte beauftragte Oracle-Tochter könnte bald erneut unter der Bezeichnung Network Computer Inc. firmieren. In deren Portfolio befindet sich dann ein Endgerät, das mit Linux und Netscape Navigator auf Basis eines K6/2-Prozessors von AMD arbeitet. Neben 64 MB RAM ist ein 56-Kbit/s-Modem für den Web-Zugriff integriert. Der Preis soll 250 Dollar mit und 150 Dollar ohne Monitor betragen.