Big-Blue-Beteiligung ist nicht unumstritten

Bull/IBM: Französischer Staat setzt auf Verbrüderungspolitik

07.02.1992

MÜNCHEN - Der neue RISC-Partner und Anteilseigner (zirka 5,7 Prozent) der staatlich dominierten Groupe Bull heißt IBM Corp.; der amerikanische Workstation-Spezialist Hewlett-Packard hat das Nachsehen. Damit verdrängte nach Ansicht von Marktbeobachtern kurzfristiges politisches Kalkül des Bull-Mehrheitsaktionärs das Streben, die Wettbewerbsfähigkeit des Pariser Computermultis durch eine technologisch vielversprechende Allianz auf Dauer zu sichern (siehe auch CW Nr. 5 vom 3 1. Januar 1992, Seite 1).

Auf der eilig einberufenen Pressekonferenz in Paris waren Bull-Chef Francis Lorentz denn auch keine Jubeltöne zu entlocken. Er gab sich vielmehr diplomatisch: "Vor einem Jahr wäre das jetzt getroffene Abkommen zwischen Bull und IBM nur schwer vorstellbar gewesen. Zu der Zeit waren beide Unternehmen sehr stolz auf ihre Vergangenheit. Daß die Vereinbarung jetzt möglich wurde, zeigt den Wandel in der DV-Industrie.

Daß es für die Groupe Bull schon längst ums nackte Überleben geht, zeigen nicht nur die anhaltenden Verluste - auch wenn der Betriebsverlust 1991 nach vorläufigen Bull-Schätzungen gegenüber 1990 um die Hälfte reduziert werden konnte. "Vielmehr", so Helmuth Gümbel von der Gartner Group, "gibt es bis auf Unix wohl keinen Bereich mehr, in dem Bull nicht auf dem Rückzug ist. Hinzu kommt, daß der Mainframe-Markt und damit die alte GCOS-8-Basis langsam, aber sicher schwindet - allein 1991 sank der Absatz dieser Maschinen um 20 Prozent.

Im Bankenbereich, in dem man vor allem in Frankreich, Italien und Spanien bislang ein 'major player' war, sieht man sich mittlerweile starkem Wettbewerb ausgesetzt."

Immerhin konnten die Franzosen bei Unix-Rechnern bis Ende 1991 einen um 35 Prozent gestiegenen Auftragseingang verbuchen, allerdings ist die Zahl der bis dato installierten Systeme nicht gerade überwältigend: 26 000 waren es bis Ende 1991. Es zeichnete sich somit ab, daß die Groupe Bull sich einen starken Partner suchen mußte, um in der offenen Systemwelt am Ball zu bleiben. Ob ihr das mit der IBM gelingt, scheint indes fraglich. Gümbel: "Bei der Betrachtung des technologischen Abkommens fällt auf, daß die Zusammenarbeit weniger von strategischen und architektonischen Aspekten geprägt ist als vielmehr von Taktik." Die IBM verfolge das Ziel, mit ihrer Power-Architektur aus der Exoten-Ecke herauszukommen. "Dazu aber muß man mehrere Leute mit im Boot haben, um von vornherein als so interessant befunden zu werden, daß Applikationen vorportiert werden."

Big Blue muß jedoch, darin sind sich die Branchenanalysten einig, mit den gegenwärtigen und künftigen RISC-Maschinen in ein Marktsegment hinein, daß sich mit dem ihrer proprietären AS/400-Maschinen überschneidet. Das werde um so stärker der Fall sein, wenn die in Aussicht gestellte AIX-Datenbank erhältlich sei. jede RISC-Maschine, komme sie nun aus Bull- oder aus IBM-Kanälen, könnte den AS/400-Absatz verringern. Gümbel hingegen glaubt, daß IBM dies in den Griff bekommt: Im profitablen Geschäft mit der Midrange-Datenbankmaschine "vermasselt sich IBM nicht selbst die Tour", weil es Maschinen von Bull seien, die verdrängt würden. Ein zusätzlicher Spareffekt ergebe sich daraus, daß IBM nicht das leisten müsse, "was teuer ist und wo man bluten muß nämlich den Service, die Betreuung und den Pre-Sales-Support".

Auch mancher Bull-Anwender ist sich nicht sicher, ob IBM in technologischer Hinsicht der richtige Partner für Bull ist. So glaubt Helmut Becker, Bereichsleiter Organisation/Datenverarbeitung bei der Coop Dortmund/Kassel Konsumgenossenschaft e.G., Dortmund, und seit 1961 Bull-Kunde, daß Hewlett-Packard Bull mehr Innovation in Sachen Open Systems hätte bieten können. "Ich halte es für möglich, daß die IBM durch derartige finanzielle Engagements versucht, ihre RISC-Architektur als Standard durchzusetzen, um Märkte abzuschotten. Dadurch könnte das Vorankommen Bulls in der offenen Systemwelt gebremst werden." Becker hofft zudem, daß Bull nun nicht zu einer Vertriebsgesellschaft IBMs "entarte".

Den Befürchtungen Beckers kann Unternehmensberater Erik Hargesheirner von der Bad Homburger Management Services GmbH Erik Hargesheimer & Partner nur zustimmen: "Die IBM muß in der offenen Systemwelt mitschwimmen, weil sie Marktmacht verliert. Sie versucht, aber nach wie vor, ihren eigenen Standard durchzusetzen. Schafft es die IBM, daß sich viele Anbieter ihrer RISC-Architektur anschließen, ist dies für den Kunden auf einmal ein offener Standard, der jedoch von der IBM bestimmt wird." Da seiner Auffassung nach das Unix und die Komponenten von HP einen höheren Öffnungsstan- dard als die IBM-Komponenten haben, hält der Berater die Entscheidung für IBM für eine politische-. "In Frankreich stehen Wahlen vor der Tür. Staatspräsident Francois Mitterrand hat derzeit nicht unbedingt berauschende Ergebnisse vorzuweisen, und die Subvention von Bull ist ein Faß ohne Boden. Mitterrand mußte seinen Gegnern demonstrieren, daß die durch Steuermittel erfolgte Unterstützung Bulls mehr und mehr abgebaut wird." Zugute komme der Regierung zudem, daß das Abkommen neue Arbeitsplätze in Frankreich sichere, da in Bull-Fabriken die RISC-Rechner gebaut würden.

HP: Regierung hat falsche entschieden

Ähnliches verlautete aus den Reihen Hewlett-Packards. Die Entscheidung zugunsten IBMs, so die enttäuschten Kommentare, sei nicht aus technologischen Gründen gefallen. Vielmehr habe die französische Regierung IBM gewählt, um finanzielle Probleme zu beheben. Hätte das Bull-Management die freie Wahl gehabt, so glaubt man, wären finanzielle Überlegungen weniger zum Tragen gekommen. Zwar reduziere sich für den Staat das finanzielle Risiko mit Bull durch IBM mehr als durch HP, zumal die Armonker auch bereit gewesen seien, mehr Geld zu investieren, doch sei man bei HP davon überzeugt daß die Regierung im Hinblick auf Bulls längerfristige Wettbewerbsfähigkeit die falsche Entscheidung getroffen hat.

In hiesigen Bull-Anwenderkreisen kann man dem Pakt mit der IBM indes auch positive Aspekte abgewinnen. Klaus Palmtag, Information Manager der Krones AG, Neutraubling: "Bull tut es gut, nun kleine Workstations anbieten zu können. Vielleicht kann unser Anbieter auch von IBM-Entwicklungen profitieren und sich mehr Professionalität in Sachen Marketing abschauen. Das Hauptproblem der Franzosen ist nämlich, daß sie zwar gute Produkte haben, aber nicht wissen, wie sie an den Mann gebracht werden sollen." Für Anwender Helmut Becker ist ein weiterer Aspekt wesentlich: "Die Sicherheit für den Bull-Kunden ist durch den Einstieg IBMs größer geworden."

Auch Marktforscher Gümbel glaubt, daß der französische Computermulti an Glaubwürdigkeit bei seiner Kundschaft gewonnen hat. "In Sachen Sicherheit hat Bull mit dem IBM-Pakt für den Kunden ein Zeichen gesetzt und das Vertrauen gefördert." Er räumt indes ein, daß es fraglich sei, ob IBM ohne Regierungseinfluß Bulls Partner geworden wäre. Aus seiner Sicht sprechen neben den technologischen Überlegungen auch das Marketing-Argument gegen diese Allianz: "Von der IBM können die Franzosen nicht unbedingt lernen, wie man sich agil auf dem Markt bewegt. Das muß Big Blue erst einmal selbst wieder lernen."