Im OA-Bereich ist Umdenken angebracht:

Bürosoftware muß flexibler gestaltet werden

21.06.1985

*Dr. Peter Wißkirchen ist Institutsleiter in der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), San Augustin, und dort im Institut für angewandte Informationstechnik für Büroorganisationssysteme zuständig.

Das Spektrum genereller Systemleistungen für den Bürobereich ist noch keineswegs ausgeschöpft. Dennoch wird die rechnergestützte Vorgangsbearbeitung von deutschen Herstellern überwiegend nur als längerfristig Interessant eingestuft. Dr. Peter Wißkirchen* von der GMD schildert die aktuelle Lage.

Analysiert man die derzeit am Markt gängige Software zur Unterstützung der Büroarbeit, so fällt diese grundsätzlich in zwei Kategorien. Einmal gibt es branchen- oder funktionsspezifische Programme, etwa zur Warenwirtschaft, Rechnungswesen oder Angebotserstellung. Neben diesem Angebot, welches meistens in Form einer programmierten Datenbankanwendung realisiert ist, gibt es generelle Bürofunktionen wie Textverarbeitung, elektronische Post, Tabellenkalkulation oder Präsentationsgrafik. Auch eine Datenbankschnittstelle kann als eine generelle Bürofunktion angesehen werden.

Beachtet man das Angebot der letzten Jahre, so stellt man fest, daß sich die Benutzerschnittstelle der generellen Funktionen von Jahr zu Jahr dem gerätetechnischen Fortschritt angepaßt hat. Auch werden diese Funktionen (meistens amerikanische Lizenzprodukte) in gewaltigen Stückzahlen verkauft. Verblüffend ist jedoch, daß sich die Anzahl wesentlich verschiedener Leistungen nicht vermehrt hat. Es stellt, sich die Frage, ob für die generellen Funktionen das Angebot prinzipiell erschöpft ist oder es nur an Phantasie mangelt. Hierüber lohnt es sich (nicht nur wegen erhoffter hoher Stückzahlen) nachzudenken oder auch nur wissenschaftliche Veröffentlichungen im Vorfeld einer Produktentwicklung zu analysieren.

Unter einem Bürovorgang ist all das zu verstehen, was mit Formularkrieg zu tun hat: Formulare werden nicht nur ausgefüllt, sie "fließen" auch durch die Organisation, und zwar nach den für den jeweiligen Vorgang typischen Regeln. Steht eine Datenbank zur Verfügung, auf die einzelne Bearbeiter zugreifen können, so kann natürlich die Bearbeitung eines Vorgangs programmiert werden. Für Massenprobleme des gleichen Vorgangstyps mag dies vertretbar sein. Für den Bürobereich kommen jedoch nur flexible Lösungen in Betracht.

Solch ein System unterstützt Vorgangsverarbeitung nicht starr programmiert, sondern als generelle Bürofunktion. Mit den Komponenten "Vorgangssprache, Formulareditor" und (vorhandenem) Mail-System läßt sich Verarbeitung und Formularfluß leicht definieren. Dabei ist zum Beispiel die Vorgangssprache keine nur von Programmierern beherrschbare Computersprache herkömmlicher Art, sondern eine Beschreibung von Empfangs- und Lieferbeziehungen auf hohem Abstraktionsniveau. Nachdem ein Vorgang definiert und kompiliert ist, erlaubt es eine flexible Lösung diesen automatisch zu steuern. Das Programm kennt dann selbst den Weg, den beispielsweise ein Dienstreiseantrag von der Genehmigung bis zur Abrechnung und zur Ablage nehmen muß, sorgt dafür, daß er eingehalten wird, und kann nachprüfen, ob die bei seiner Erledigung von einzelnen Mitarbeitern an ihren Bildschirmarbeitsplätzen durchgeführten Einträge plausibel sind.

Zur Zeit werden in der GMD weiterführende Konzepte zum Ausbau flexibler Systeme erarbeitet. Die Grundidee ist die Nutzung herstellerneutraler Standards zur Kommunikation und Nutzung der in Vorbereitung befindlichen Standards zur Dokumentenarchitektur. Ziel dabei: Ein herstellerneutrales, betriebssystemunabhängiges System, das als eine höhere "ISDN-Dienstleistung" die orts- und organisationsübergreifende Vorgangsbearbeitung erlaubt. In einem derartigen System würden Leistungen wie "Rundlauf einer Nachricht (Text, digitalisierte Sprache) mit Bitte um Kommentare" gleichsam als Spezialfälle abfallen.

Um ein derartiges Vorgangssystem zu schaffen, müssen hochstrukturierte, multimediale Formulare fließen, die beim Empfänger weiterverarbeitet werden können und gerade derartige Formulare sind bereits heute Gegenstand von Normungsbemühungen. Das Terrain ist also planiert für neue Systeme der "Open-systems"-Welt.