BTO - eine Marketing-Blase platzt

07.08.2006
Anwender und Analysten betrachten die Pakete aus Konsolidierungs- und Betriebsprojekten für Geschäftsprozesse, die Anbieter als Business Transformation Outsourcing (BTO) vermarkten, skeptisch.
Die Vorteile des Transformational-Outsourcing liegen auf der Hand, sind organisatorisch aber nicht umzusetzen.
Die Vorteile des Transformational-Outsourcing liegen auf der Hand, sind organisatorisch aber nicht umzusetzen.

Die IBM drückt im Markt für Business Transformational Outsourcing aufs Tempo. In einer aktuellen Pressemitteilung kündigte das Unternehmen zusätzliche BTO-Ressourcen in Europa an. In Braga, Portugal, solle ein neues Shared Services Center Finanz- und Verwaltungsprozesse für Anwender betreiben. Einen ersten Kunden gibt es bereits: der niederländische Konsumgüterhersteller Unilever möchte im Rahmen eines im Jahr 2005 abgeschlossenen Vertrags durch BTO die Leistungsfähigkeit seiner Finanzprozesse erhöhen und gleichzeitig Kosten sparen.

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Begriffsvielfalt

• Business Innovation Transformation Partner (BITP) ist ein Begriff, den das Marktforschungshaus Lünendonk geprägt hat. Er beschreibt breit aufgestellten Generalisten, die klassische Managementberatung, IT-Consulting und Outsourcing kombinieren.

• Business Innovation Partner (BIP) ist der Kreativität von Accentures Marketing-Abteilung entsprungen. Das Beratungshaus bemüht sich intensiv um Outsourcing-Aufträge.

• Business Transformation Outsourcing (BTO) ist der allgemeingültige Begriff für das Servicemodell, Beratung und Betrieb für IT- und Geschäftsprozesse unter einem Dach zu vereinen.

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568288: Das Ende der neutralen Beratung;

549568: Lünendonk stellt BITP-Modell vor.

Das ist bemerkenswert, denn viele Interessenten für Transformational-Outsourcing-Services, die zahlreiche IT-Dienstleister (etwa Accenture, Capgemini, IBM und Hewlett-Packard) im Angebot haben, gibt es nicht. Glaubt man den Einschätzungen von Analysten und Anwendern, werden es auch nicht viel mehr werden. Die meisten beäugen die Offerten der Service-Provider, problematische und ungeordnete IT- oder Verwaltungsprozesse vom Anwender zu übernehmen, um sie anschließend den eigenen Lieferprozessen anzupassen und zu betreiben, sehr skeptisch. "Ich möchte die Kontrolle darüber behalten, was ich auslagere", winkt etwa Günter Weinrauch, CIO bei Premiere Fernsehen in München, ab. "Das geht nur, wenn dem Betriebsdienstleister geordnete, definierte und transparente Prozesse übergeben werden."

Der Umfang sollte klar sein

Premiere hat die operative IT komplett ausgelagert, weite Teile des Betriebs verantwortet der Dienstleister Atos Origin. Dem Betriebsübergang ging ein etwa neun Monate währendes Konsolidierungsprojekt voraus, das Weinrauch jedoch mit der eigenen Mannschaft gestemmt hat. Was dem Manager an dem Komplettangebot der Dienstleister missfällt, ist die mangelnde Übersicht. "Ein Outsourcing-Projekt verläuft insbesondere dann erfolgreich, wenn die Reichweite klar ist. Dazu müssen die Partner im Vorfeld genau beschreiben, was ausgelagert wird, wie der Betrieb gestaltet wird, was die Service-Level-Agreements vorsehen und wie abgerechnet wird. In einer ungeordneten Landschaft ist das unmöglich", warnt Weinrauch. "Wer die Aufräumarbeiten dem späteren IT-Betreiber überlässt, kann zudem kaum noch Einfluss auf die Gestaltung des Outsourcing-Projekts nehmen."

Die Macht des Monopolisten

Die Zurückhaltung ist nachvollziehbar, denn nach Betriebsübergang sind Outsourcing-Kunden zunächst einmal eng mit ihrem Dienstleister verbunden. Die Abhängigkeit ist verständlicherweise Teil des Abkommens, denn der neue Betreiber löst Systeme und bei Bedarf auch Mitarbeiter ab, geht also in Vorleistung und möchte die Investitionen durch exklusive Lieferverträge wieder hereinholen. Problematisch aus Sicht des Anwenders wird das Outsourcing-Projekt dann, wenn er später Leistungen beziehen möchte, die vorher vertraglich nicht festgeschrieben wurden und für die er dann unüblich hohe Preise zahlen muss, weil der Dienstleister seine Monopolstellung ausnutzt. Die Wissenschaft nennt dies das "Hold-up-Problem" und sieht darin "eine wesentliche Barriere für den Erfolg von Transformational-Outsourcing-Angeboten", so Peter Kreutter, von der WHU - Otto Beisheim School of Management, Vallendar. Schon in einfachen lang laufenden IT-Outsourcing-Abkommen lasse sich der komplette Bedarf über die gesamte Laufzeit im Vorfeld vertraglich kaum fixieren. In den sehr komplexen Transformational-Outsourcing-Projekten sei es nahezu unmöglich.

Politische Outsourcing-Projekte

Zu den Vorbehalten der Anwender gesellen sich die Defizite der Anbieter. "Beim Transformational Outsourcing haben Anwender häufig das Ziel vor Augen, also den optimalen Betrieb", beschreibt Peter Dück, Vice President bei Gartner Consulting. "Doch der beste Betriebsdienstleister muss nicht der beste Aufräumer sein." Für Dück ist Transformational Outsourcing kein eigenständiger Service. "Es ist vor allem Marketing", winkt er ab, wenngleich er dem Modell unter speziellen Umständen durchaus etwas Positives abgewinnen kann. "Wenn eine Neuordnung oder Konsolidierung intern nicht durchsetzbar ist, kann es sinnvoll sein, einen externen Dienstleister einzuschalten, der die ungeordnete Umgebung überarbeitet", schildert er. Nach diesem Muster sind in der Vergangenheit bereits einige Anwenderunternehmen bei der Neugestaltung ihrer Desktop-Systeme vorgegangen. Sie haben es nicht aus eigener Kraft geschafft, die Landschaft zu vereinheitlichen und Produkt- beziehungsweise Servicekataloge einzuführen.

Daimler-Chrysler scheitert

Genau das hatten vor rund drei Jahren auch Daimler-Chrysler und Hewlett-Packard vor: Der Autokonzern wollte mit weltweit einheitlichen PCs arbeiten. Das Projekt scheiterte unter anderem an den unterschiedlichen Interessen der HP-Länderorganisationen, unterm Strich konnte der Anbieter keine standardisierten Geräte liefern. Vergleichbares droht den Anbietern der integrierten Dienstleistungen, denn in den meisten Dienstleistungsunternehmen sind Outsourcing- und Beratungseinheiten getrennt und unterliegen je eigener Gewinn- und Verlustverantwortung. "Die Egoismen in den einzelnen Bereichen sind aufgrund unterschiedlicher Geschäftsmodelle zwangsläufig zu groß", warnt Kreutter. "Die Unternehmen sind auf derart integrierte Projekte organisatorisch häufig noch nicht vorbereitet. In der Regel zielt die Beratungsseite primär auf die Projekte ab, bei denen sich gute Tagessätze und damit von Beginn an Gewinn erzielen lässt. Die Outsourcer haben im Gegensatz dazu eine langfristige Perspektive. Sie müssen auch Anlaufverluste in Kauf nehmen, die dadurch ent-stehen, dass die IT des Kunden auf die eigenen, standardisierten Strukturen und Prozesse überführt werden muss."

Neue Ansprechpartner

Insbesondere dann, wenn es um Neugestaltung mit anschließendem Fremdbetrieb von Geschäftsprozessen geht, erhöhen sich die organisatorischen Hürden auf Anwender- und Anbieterseite. "Die IT-Dienstleister müssen wesentlich komplexere Beziehungsgeflechte aufbauen, die nicht nur den CIO oder IT-Leiter umfassen, sondern sich auch auf Geschäftsbereichsleiter, CFO und sogar Executive-Ebene erstrecken", erläutert Pascal Matzke, Principal Analyst bei Forrester Research. "Auf diesem Gebiet sind die Anbieter völlig überfordert." Sie können, so seine Schlussfolgerung, diese Angebote gar nicht verkaufen, weil sie nicht in der Lage sind, einen möglichen Mehrwert zu erläutern.

Budgetierung ist offen

Auch auf Anwenderseite tun sich Barrieren auf, denn Transformationsprojekte erstrecken sich über viele Abteilungen, die Budgetierung ist daher offen. "Das Thema Business Transformation Outsourcing ist verglichen mit dem IT-Outsourcing unter organisatorischen Gesichtspunkten schwerer, weil sehr viel mehr Mitarbeiter aus dem Unternehmen mitentscheiden wollen - und es auch müssen", ergänzt Premiere-Manager Weinrauch. "Die Abläufe im Kerngeschäft - wenn man von einfachen Back-Office-Aufgaben wie Payroll absieht - sind in jedem Unternehmen sehr viel individueller als etwa in der IT, auch deshalb gestalten sich Auslagerungsprojekte in diesem Umfeld sehr viel komplexer."