WHO-Studie empfiehlt Kontrollen der in PCs oft verwendeten Stoffe

Bromierte Flammschutzmittel belasten die Umwelt langfristig

01.03.1996

Tetrabrombisphenol A, kurz TBBA, steckt hierzulande fast in jedem PC. Mit 60000 Tonnen Jahresproduktion ist es der meistverkaufte bromierte Flammhemmer weltweit und der wichtigste fuer die Computerproduktion. Drei Hersteller - Great Lakes, Albermarle und Dead Sea Bromine - dominieren den TBBA-Markt weltweit. In Westeuropa wurden 1992 schaetzungsweise 7500 Tonnen verarbeitet, 24 000 Tonnen gingen direkt nach Japan.

Verwendung findet TBBA sowohl im Elektronikbereich, also in Platinen und mikroelektronischen Bauelementen, als auch in Gehaeuseteilen, Steckerleisten und anderen Kleinteilen. Es soll verhindern, dass Braende von aussen auf die Rechner uebergreifen oder diese sich selbst entzuenden.

Im Rahmen des IPCS-Programms (International Program on Chemical Safety) stellte die WHO nun zur Jahreswende 1995/96 ein Dossier ueber TBBA vor. Fazit: Moegliche Gefahren sehen die Autoren weniger in der akuten Gesundheitsschaedigung der PC-Benutzer als in langfristigen Umwelteffekten.

In Norwegen und Japan fanden sich TBBA-Anreicherungen in Boden- und Sedimentproben. Ein Abbauprodukt von TBBA liess sich in Fischen nachweisen. Ausserdem besteht immer die Gefahr, dass TBBA verbrannt wird, wobei Dioxine und Furane entstehen koennen.

Die WHO kommt deshalb zu dem Schluss:

-TBBA-haltiges Material sollte nur in entsprechend ausgeruesteten Sondermuellanlagen verbrannt werden;

-die Deponierung von TBBA-haltigen Industrie- und Konsumentenabfaellen ist zu kontrollieren und

-die betreffenden Abwaesser und Emissionen der verarbeitenden Industrie sind zu verringern.

Die Anreicherung bromhaltiger Flammhemmer wie TBBA in der Umwelt ist fuer Umweltschuetzer mit das gewichtigste Argument gegen den Einsatz dieser Stoffe. Andrea Fluthwedel, Flammschutzmittel- Expertin im Umweltbundesamt, verweist in diesem Zusammenhang auf das Vorsorgeprinzip: "Wenn (in der Studie, Anm. d. Red.) bereits zugegeben wird, dass die Abgaben in die Umwelt zu verringern sind und TBBA-haltige Produkte in die Sondermuellverbrennung muessen, sollte man diese Verbindungen ersetzen - zumal es halogenfreie Alternativen auf dem Markt gibt."

Auch die internationale Nordseeschutzkonferenz hat prinzipiell alle bromierten Flammschutzmittel auf eine Liste gesetzt, deren Stoffe bis zum Jahre 2000 ersetzt werden sollten, sofern Alternativen vorliegen. Weitere Unterstuetzung finden die Umweltschuetzer bei Industrieunternehmen, die anorganische Flammhemmer herstellen. So liegt beim Umweltbundesamt ein Antrag auf das Umweltzeichen "Blauer Engel" fuer halogenfreie Flammschutzmittel vor. Als Folge der Diskussion um TBBA und andere bromierte Flammhemmer stecken die PC-Produzenten in einem Spannungsfeld zwischen Umweltimage und Preiskampf.

Auf der einen Seite sind Alternativen zu TBBA zumindest bei den Gehaeusen laengst gaengig. Der Gehaeusekunststoff PC/ABS (Blend aus Polycarbonat und Acrylnitril-Butadien-Styrol) zum Beispiel ist einer der wichtigsten Gehaeusekunststoffe. Mit einem Phosphatsystem erfuellt PC/ABS die Brandschutznorm UL V0.

Zur Zeit sind aber die Alternativen noch teurer als die herkoemmlichen Kunststoffe. Grund dafuer sind die fehlenden Produktionskapazitaeten. Im Niedrigpreissegment ist deswegen, so Branchenkenner, das Umweltargument chancenlos. Dazu kommt, dass bei OEM-DV-Ware wie Monitoren und Tastaturen die Einflussmoeglichkeiten der Rechnerhersteller zugunsten halogenfreier Flammhemmer hierzulande geringer sind als bei den CPU-Gehaeusen, die die PC- Produzenten meist selber fertigen.

Ein anderes Problem ist die Leiterplattenherstellung: Hier fuehrt zur Zeit noch kein Weg an mit TBBA ausgeruesteten Epoxydharzen vorbei. Der Hauptanteil der TBBA-Produktion fliesst in diesen Sektor. Zwar gibt es einen von Siemens entwickelten und von Isola vermarkteten Alternativstoff, aber der ist momentan noch zu teuer, um in die Massenfertigung einzufliessen.