Britischer Privatsender setzt auf Software made in Germany

Britischer Privatsender setzt auf Software made in Germany Ziel ist die Verwaltung des digitalen TV-Konsumenten

12.02.1999
EDINBURGH (qua) - Mit einem Aufwand von 200 Millionen Mark ist der britische Pay-TV-Anbieter BSkyB in das digitale TV-Zeitalter eingestiegen. 18 Millionen Mark allein investierte er in ein neues Abonnenten- und Kartenverwaltungssystem, das er in Zusammenarbeit mit der Software AG (SAG), Darmstadt, und auf Basis der Middleware "Entire" entwickelt hat.

"Unsere traditionellen IT-Systeme sind nur für den Betrieb von einem oder zwei Kanälen konzipiert", erläutert Rob Shepherd, IT- Verantwortlicher beim Satelliten- und Kabelfernsehbetreiber BSkyB. Mit der digitalen TV-Technik lassen sich jedoch mehrere hundert Kanäle gleichzeitig anbieten - ein Potential, das der Fernsehsender im Sommer vergangenen Jahres begonnen hat auszunutzen. Folglich mußte er sich - zumindest im digitalen Bereich - von seinen alten Abonnement-Applikationen verabschieden.

Die IT-Historie bei BSkyB ist relativ jung. Erst 1992 stieg das Unternehmen von Einzel-PCs auf einen Mainframe um. "Wir wollten ein solides, verläßliches System", begründet Shepherd diesen Wechsel, der schon damals als "völlig unmodern" gegolten habe.

Wegen der mangelnden Flexibilität des IT-Boliden kamen jedoch an unterschiedlichen Ecken des Unternehmens mehr und mehr Unix- Systeme zum Einsatz. Zunächst liefen darauf nur Anwendungen, die ursprünglich für den Mainframe entwickelt worden waren. Die erste Applikation, die direkt auf Unix aufsetzte, war das System für die Abrechnung von Pay-per-view-Angeboten.

Im Grunde genommen ist der Client-Server-Trend bislang an BSkyB vorübergegangen. Das Unternehmen übersprang quasi eine Stufe der IT-Entwicklung und betreibt heute eine der größten europäischen NC-Installationen. Im Marketing-Bereich sind derzeit etwa 350 ultradünne Client-Rechner vom Hersteller Wyse Technology im Einsatz. Andere Abteilungen sollen diesem Beispiel peu ê peu folgen.

Sein ursprüngliches "Subscriber Management System" (SMS) entwickelte der TV-Anbieter 1989 auf einem PC und mit Hilfe der 4GL "Magic" vom gleichnamigen israelischen Anbieter. Da das SMS bald an seine Kapazitätsgrenzen stieß, mußte es vier Jahre später einer neuentwickelten "Subscriber Controller Managment Platform" (Scamp) weichen. Sie lief auf dem Mainframe, einem Fujitsu M770, und war bereits mit Hilfe der SAG-Sprache "Natural" entwickelt worden. Die Software AG hatte sich dem TV-Anbieter über dessen australische Mehrheitsaktionärin News Corp., in der Öffentlichkeit besser bekannt als die Kommandozentrale des Medienmoguls Rupert Murdoch, empfohlen.

Inzwischen auf Unix portiert, soll Scamp auch weiterhin für die Verwaltung der Abonnenten im Bereich Analog-TV genutzt werden. Ursprünglich hatte BSkyB geplant, die Altanwendung komplett durch die Neuentwicklung zu erset- zen. Später entschied der Sender, das allmählich nachlassende Geschäft mit den analogen Programmen noch mit Scamp abzuwickeln. Derzeit arbeitet er daran, das System sicher über die Jahrtausendgrenze zu hieven.

Neben den Viertgenerationssprachen aus Israel und Darmstadt setzen die BSkyB-Entwickler seit Jahren auch die Konkurrenzprodukte "Powerbuilder" (heute von Sybase) und "Oracle Forms" (von Oracle) ein. "Wir mögen es, eine Auswahl zu haben", begründet Shepherd die Vielfalt an Entwicklungswerkzeugen. Auch bei den Datenbanken haben sich die TV-Spezialisten nicht festgelegt. "Oracle" läuft auf ihren Systemen genauso wie "Adabas" von der SAG.

Als Shepherd 1996 vor der Frage stand, mit welchen Software-Tools die neuen geschäftskritischen Applikationen für die Betreuung der Digital-TV-Kunden entwickelt werden sollten, schwankte er lange zwischen der Oracle- und der SAG-Welt. Wie der Chefinformatiker berichtet, sammelte die Software AG ihre Pluspunkte vor allem aufgrund ihres durchsatzstarken Datenbanksystems Adabas, aber auch wegen ihrer "Vision" einer komponentenbasierten Software- Entwicklung, die sich mit den Vorstellungen bei BSkyB deckte.

Den Ausschlag gab laut Shepherd jedoch die Art und Weise, wie die Software AG ihrem Kunden gegenüber auftrat. "Sie kamen uns weit mehr entgegen als Oracle", betont Shepherd. "Das liegt zum einen daran, daß wir für die Software AG wichtiger sind als für Oracle. Zum anderen hat sich bei der Software AG auch vieles positiv verändert, seit Erwin Königs dort die Führung übernahm." Königs ist seit dem Herbst 1996 Vorstandsvorsitzender der Software AG und hat nach allgemeinem Urteil der Branche dem ehemals größten deutsche Software-Unternehmen einen neuen, kundenorientierten Geist eingehaucht. Shepherd bestätigt das indirekt, indem er einräumt, den designierten Softwarelieferanten zunächst eine ganze Weile beobachtet zu haben. "Ohne diese Veränderungen hätten wir uns möglicherweise für Oracle entschieden", bekennt der leitende BSkyB-Informatiker.

So aber setzt sich das Entwicklerteam aus BSkyB- und SAG- Mitarbeitern zusammen, und es nutzt Datenbanksoftware, Tools sowie Middleware des hessischen Anbieters. Im einzelnen handelt es sich dabei um die für symmetrisches Multiprocessing (SMP) ausgelegte Version von "Adabas C", das eine Komponentenentwicklung unterstützende Entwicklungssystem "Natural Construct" und das Middleware-Paket "En- tire". Mit diesen Werkzeugen wurde das Abonnentensystem für das Digitalprogramm-Geschäft völlig neu entwickelt - auf einem Sun-Rechner vom Typ "Ultra-Enterprise 10000", auf dem das System heute auch läuft.

Zunächst schufen die Entwickler einen infrastrukturellen Rahmen, die "Subscriber Management System Architecture" (SMSA). Von Anfang an trennten sie, so Shepherd, die Geschäfts- von der Verarbeitungslogik. Dadurch seien so unterschiedliche Geräte wie Internet-Browser oder automatische Antwortsysteme einsetzbar.

Gefüllt wird das Gerüst der SMSA im wesentlichen durch ein "Customer Management System" (CMS) sowie ein "Subscriber Card Management System" (SCMS). Letzteres soll über eine Telefonverbindung mit der Smartcard im Decoder-Gerät des Kunden kommunizieren. Wenn ein Abonnent anruft und Programme aus einem zusätzlichen Kanal beziehen möchte, wird das CMS eine Anforderung an das SCMS schicken, das dann die zugehörigen Änderungen auf der Decoder-Karte vornimmt, damit die Set-top-Box die entsprechenden Sendungen entschlüsselt. Umgekehrt soll das Zugriffsverwaltungs- System des SCMS dafür sorgen, daß die Kunden die Pay-per-view- Programme mit der Fernbedienung ordern können. Dazu muß es in regelmäßigen Abständen Daten von der Smartcard einlesen und an das CMS weiterreichen.

Abonnenten und Karten werden, so verlangt es das britische Wettbewerbsrecht, separat verwaltet. Als Eigentümerin der Decoder- Karten muß BSkyB sogar dafür sorgen, daß die Informationen aus dem SCMS von fremden Programmanbietern genutzt werden können. Voraussetzung dafür ist eine neue, offene IT-Struktur. BSkyB hat mit Hilfe des Corba-konformen "Entire Broker" eine Middleware- Schicht zwischen den beiden Teilsystemen eingezogen und die Schnittstellen der Kartenverwaltungs-Software offengelegt. Die Fremdanbieter können die Application Programming Interfaces (APIs) nutzen, um auf das SCMS zuzugreifen.

Für den Inhouse-Gebrauch stellt der Entire Broker die Verbindung zwischen Kunden- und Kartenverwaltungssystem her. So können die 1200 Mitarbeiter im BSkyB-Call-Center Informationen aus beiden Teilapplikationen nutzen, um die durchschnittlich 150000 Anrufe zu beantworten, die pro Woche bei der Abonnement-Division Sky Subscriber Services Ltd. eingehen.

Last, but not least übernimmt Entire auch die Kommunikation zwischen den SMSA-Bestandteilen und anderen Applikationssystemen sowie - in Gestalt des "Entire Transaction Propagator" - die Replikation zwischen dem Server in Livingstone bei Edinburgh und seinem Back-up-Zwilling im benachbarten Dunfermline. Außerdem plant Shepherd, künftig das für Microsofts Componentware-Konzept "DCOM/ Active X" angepaßte Toolset "Entire X" zu verwenden. Damit lassen sich auch zugekaufte oder selbstentwickelte Softwarekomponenten einbinden, die den Microsoft-Spezifikationen entsprechen ("Active X Controls").

Darüber hinaus lotet der Sender derzeit die Möglichkeiten aus, die das Internet für die Beziehungen zwischen Anbieter und Kunde bietet. In Kürze erhalten Interessenten die Möglichkeit, sich via World Wide Web zur Nutzung des BSkyB-Angebots anzumelden. Später sollen die Kunden über das Internet auf ihre Rechnungsdaten zugreifen und - in etwas entfernterer Zukunft - sogar die Daten ihrer Smartcards ändern, ohne den Hörer in die Hand und einen Mitarbeiter des Call-Centers in Anspruch zu nehmen. "Wenn wir einen Web-Browser als Front-end benutzen, könnte die Software sogar auf Set-top-Boxen laufen", prophezeit Shepherd.

Fernsehen vom Himmel

Davon können Premiere und DF1 nur träumen: BskyB hat mittlerweile sieben Millionen Abonnenten. 200 000 Briten und Iren beziehen über ihre Satellitenschüsseln bereits die digitale Version des BSkyB- Angebots, die seit Mitte des vergangenen Jahres zu haben ist. Derzeit betreibt der Sender elf Kanäle, darunter einen, der Exklusivrechte an der Premier League (höchste Spielklasse des britischen Fußballs) besitzt. Seit zwei Jahren experimentiert BSkyB mit dem Thema Pay per view.

In seiner heutigen Gestalt gibt es den Fernsehanbieter seit November 1990, als die beiden Konkurrenten BSB und Sky TV fusionierten. Die Programmzentrale befindet sich in London. In der Nähe von Edinburgh ist die auf zwei nur wenige Kilometer auseinanderliegende Standorte verteilte Sky Subscriber Services Ltd. (SSSL) ansässig. Sie beschäftigt insgesamt 2900 ständige Mitarbeiter - darunter 250, die qualifizierte Jobs im Bereich Informationstechnik ausüben. BSkyB erzielte zuletzt einen Umsatz von 4,3 Milliarden Mark und einen Profit von mehr als 800 Millionen Mark. Seit 1994 ist das Unternehmen an der Londoner Börse notiert.